XIII. Kapitel: Von dem Hingang der Dienerin Gottes Galla1
Hierbei darf ich wohl auch das nicht verschweigen, was mir von ernsten und glaubwürdigen Personen mitgeteilt worden ist. In der Gotenzeit nämlich wurde Galla, ein hochadeliges Mädchen von Rom, eine Tochter des Konsuls und Patriziers Symmachus, noch sehr jung mit einem Manne verehelicht; aber schon nach Ablauf eines Jahres wurde sie durch den Tod des Mannes Witwe. Die Welt stand ihr offen, Reichtum und Jugend luden sie zu einer neuen Ehe ein; sie aber wollte lieber in geistiger Ehe mit Gott verbunden sein, in welcher man zwar mit Trauer anfängt, aber zu ewigen Freuden gelangt, als sich zu einer leiblichen Ehe entschließen, die zwar immer mit Freuden anfängt, aber mit Trauer endigt. Da sie aber eine sehr hitzige Naturanlage hatte, sagten ihr die Ärzte, daß sie wegen zu großer Blutwärme ganz gegen die Natur einen Bart bekommen werde, falls sie sich nicht wieder verheirate; und so geschah es auch später. Aber die heilige Frau fürchtete sich nicht vor äußerer Verunstaltung, da sie die Schönheit des inneren Bräutigams liebte, und scheute sich nicht, das an sich häßlich werden zu lassen, was ja nicht Gegenstand der Liebe für den himmlischen Bräutigam war. Sie legte also alsbald nach dem Tode ihres Gemahls das weltliche Gewand ab und trat im Kloster bei der Kirche des heiligen Apostels Petrus in den Dienst des allmächtigen Gottes. Dort spendete sie, der Herzenseinfalt und dem Gebet ergeben, viele Jahre hindurch den Armen reichliches Almosen. Als der allmächtige Gott beschloß, ihr den ewigen Lohn für ihre Mühen zu geben, wurde S. 203 sie mit dem Brustkrebs behaftet. Zur Nachtzeit brannten immer zwei Lichter vor ihrem Bette; denn als Freundin des Lichtes haßte sie nicht nur die geistige, sondern auch die irdische Finsternis. Als sie nun einmal in der Nacht von ihrer Krankheit gequält dalag, sah sie zwischen beiden Leuchtern den heiligen Petrus vor ihrem Bette stehen; sie erschrak jedoch nicht und fürchtete sich nicht, sondern da ihr die Liebe Mut gab, frohlockte sie und sprach zu ihm: „Wie, mein Herr, sind mir meine Sünden verziehen?” Mit freundlicher Miene nickte er und sprach: „Sie sind verziehen, komm!” Weil Galla aber eine Schwester jenes Klosters mehr als die übrigen liebte, fügte sie hinzu: „Ich bitte, daß die Schwester Benedikta2 mit mir kommen darf.” Er erwiderte ihr: „Nein, sondern jene andere mag mit dir kommen; die aber, um welche du bittest, wird am dreißigsten Tage nachkommen.” Hierauf verschwand die Erscheinung des Apostels, der bei ihr stand und mit ihr redete. Sogleich rief sie die Mutter des ganzen Konventes und erzählte ihr, was sie gesehen und gehört hatte. Sie starb darauf am dritten Tage zugleich mit jener Mitschwester, welche bestimmt worden war; jene, um die sie gebeten hatte, folgte am dreißigsten Tage nach. Dieses Ereignis ist jetzt noch in jenem Kloster in frischer Erinnerung; und wie es von den früheren Vorsteherinnen überliefert wurde, genau so erzählen es die jüngeren, jetzt lebenden Klosterfrauen, gleich als ob sie bei dem großen Wunder damals zugegen gewesen wären.