XXVII. Kapitel: Vom Tode des Grafen Theophanius
Um aber bei dem Punkt, den wir zu besprechen angefangen haben, daß nämlich die scheidenden Seelen viele Dinge voraussehen, zu bleiben, so dürfen wir nicht übergehen, was ich über Theophanius, den Grafen der Stadt Centumcellä,1 bei meiner Anwesenheit dortselbst aus dem Munde vieler Zeugen erfahren habe. Er war nämlich ein der werktätigen Barmherzigkeit ergebener Mann, eifrig in guten Werken, und befliß sich vor allem der Gastfreundschaft. Mit der Sorge für die Ausübung des Grafenamtes beschäftigt, befaßte er sich mit Irdischem und Zeitlichem, aber, wie sich bei seinem Ende deutlich herausstellte, mehr aus Pflicht als aus Neigung. Denn als bei seinem unmittelbar bevorstehenden Tode ein so heftiges Unwetter auftrat, daß man ihn nicht hätte zur Beerdigung tragen können, fragte ihn seine Gemahlin unter lautem Weinen: „Was soll ich denn tun? Wie soll ich dich zur Beerdigung hinausbringen, da ich bei diesem Unwetter gar nicht zur Haustüre hinausgehen kann?” Da erwiderte er: „Weine nicht, Frau; denn sobald ich sterbe, in derselben Stunde, wird das Wetter wieder schön werden.” Kaum hatte er dies gesagt, starb er; und kaum war er gestorben, kam das schöne Wetter. S. 222 Dieses Zeichen war noch von anderen begleitet. Seine Hände und Füße waren nämlich von Podagrasäften angeschwollen und voller Wunden, so daß Eiter herausfloß. Als man aber der Sitte gemäß den Leib zum Waschen entkleidete, fand man Hände und Füße so gesund, wie wenn sie niemals eine Wunde gehabt hätten. Er wurde also hinausgetragen und begraben. Seiner Frau aber kam der Gedanke, am vierten Tag den auf das Grab gelegten Marmorstein austauschen zu lassen. Wie nun der Marmor, der über dem Leichnam lag, entfernt wurde, entströmte dem Leichnam ein so starker Wohlgeruch, als ob das verwesende Fleisch von Spezereien statt von Würmern erfüllt wäre. Als ich das in den Homilien2 erzählte, hatten einige schwache Seelen Zweifel daran; aber eines Tages, als ich an einer Adelsversammlung teilnahm, waren die Steinmetzen, die den Marmorstein am Grabe auswechseln mußten, gerade auch zugegen, weil sie in eigener Angelegenheit mich um etwas bitten wollten. Da fragte ich sie vor Klerus, Adel und Volk über dieses Wunder, und sie bezeugten, daß sie von jenem Wohlgeruch in wunderbarer Weise überströmt worden seien, und erzählten über das Grab noch andere Dinge, wodurch das Wunder noch größer erscheint, aber es würde mich zu weit führen, das jetzt zu erzählen.
Petrus. Meine Frage sehe ich schon genügend beantwortet; aber ich habe noch ein Bedenken, das meinem Geist keine Ruhe läßt. Es wurde nämlich früher gesagt, daß die Seelen der Heiligen im Himmel sind; nun bleibt ohne Zweifel doch nur zu glauben übrig, daß auch die Seelen der Bösen nirgends anders als in der Hölle sein können. Wie es sich damit in Wirklichkeit verhält, weiß ich nicht. Denn die menschlichen Gedanken können das nicht fassen, wie die Seelen der Sünder schon vor dem Gericht sollen gepeinigt werden können. S. 223
