X. Kapitel: Von Fortunatus,1 dem Bischof von Todi
Gregorius. Noch ein anderer Mann von ehrwürdigem Lebenswandel befand sich in jener Gegend, Fortunatus mit Namen, Bischof der Kirche von Todi. Dieser besaß eine immense Kraft und Gnade in Austreibung der bösen Geister, so daß er manchmal aus den Besessenen Legionen von Dämonen austrieb und durch ununterbrochenen Gebetseifer ganze Scharen derselben, wenn sie sich ihm widersetzten, überwand. Julianus nun, Defensor unserer Kirche, der vor nicht langer Zeit hier gestorben ist, war ein sehr vertrauter Freund dieses Mannes. Aus seinem Munde weiß ich auch, was ich jetzt erzähle; denn er wagte es aus Freundschaft oft, seine Taten mit anzusehen, und bewahrte auch nachher sein Andenken zu unserer Belehrung gleichwie süßen Honig in seinem Munde.
In dem nahen Tuscien hatte eine vornehme Matrone eine Schwiegertochter, die bald, nachdem sie deren Sohn geehelicht hatte, mitsamt der Schwiegermutter zur Einweihung der Kirche des heiligen Märtyrers Sebastianus eingeladen wurde. In der Nacht aber vor dem Tage, an dem sie zur Kircheneinweihung gehen wollte, unterlag sie der Fleischeslust und konnte sich von ihrem Manne nicht enthalten.2 Als am Morgen einerseits die gepflogene Fleischeslust sie im Gewissen zurückschreckte, anderseits der Anstand den Kirchengang forderte, fürchtete sie sich mehr vor den Menschen als vor Gottes Gericht und ging mit ihrer Schwiegermutter zur Kirchweihe. In dem Moment aber, in welchem die Reliquien des heiligen Märtyrers Sebastian in die Kirche getragen wurden, ergriff ein böser Geist die Schwiegertochter und begann sie vor allem Volke zu peinigen. Als der Priester der S. 39 Kirche die Frau in ihren großen Schmerzen sah, nahm er ein Tuch vom Altar und bedeckte sie damit, aber auch in ihn fuhr allsogleich der Teufel. Weil er etwas, was über seine Kräfte ging, tun wollte, mußte er erst durch eigene Qual zur Erkenntnis gelangen, was hier vorging.3 Die Anwesenden aber trugen die junge Frau aus der Kirche und brachten sie nach Hause. Da nun der alte böse Feind sie durch beständiges Quälen ganz aufzureiben drohte und da ihre Angehörigen sie dem Fleische nach liebten, ja bis zum Verderben liebten, übergaben sie die Frau zur Wiedererlangung der Gesundheit den Zauberern. So stürzten sie ihre Seele vollends ins Verderben, während sie ihrem Leibe für den Augenblick durch Zauberkünste helfen wollten. Man führte sie also an einen Fluß und tauchte sie ins Wasser unter. Längere Zeit suchten die Zauberer durch ihre Zauberformeln es dahin zu bringen, daß der Teufel, der in sie gefahren war, sie wieder verlasse. Aber durch ein wunderbares Gericht des allmächtigen Gottes fuhr, wenn durch die gottlose Kunst ein Teufel ausgetrieben war, sogleich eine ganze Legion in sie hinein. Sie wurde darum in so vielerlei Bewegungen hin- und hergeworfen und schrie in sovielen Stimmen, als böse Geister von ihr Besitz genommen hatten. Darauf hielten die Anverwandten Rat, gestanden ihre Sünde der Treulosigkeit gegen den Glauben, führten die Frau zu dem ehrwürdigen Bischof Fortunatus und ließen sie bei ihm zurück. Er nahm sie auf und betete viele Tage und Nächte. Er oblag mit einer so großen Anstrengung dem Gebete, weil er sah, daß in dem einen Körper ein ganzes Heer von bösen Geistern gegen ihn stehe. Doch nach einigen Tagen machte er sie so gesund und wohlbehalten, wie wenn der böse Feind nie ein Anrecht auf sie gehabt hätte.
Wieder ein anderes Mal trieb der Diener des S. 40 allmächtigen Gottes aus einem Besessenen einen unreinen Geist aus. Als der böse Geist sah, daß es um die Abendzeit war und zu einer Stunde, wo sich die Menschen zurückziehen, nahm er die Gestalt eines Fremdlings an, ging auf die Plätze der Stadt und schrie: „Ja, das ist ein heiliger Mann, der Bischof Fortunatus! Seht, was er getan hat! Einen Fremdling hat er aus seiner Herberge hinausgestoßen! Ich suche ein Plätzchen, um ausruhen zu können, und finde keines in seiner Stadt!” Da saß eben ein Mann in seinem Hause mit seinem Weibe und seinem kleinen Sohn am Kohlenfeuer; er hörte das Schreien und fragte, was ihm denn der Bischof getan habe; darauf lud er ihn in sein Haus ein und ließ ihn neben sich am Kohlenfeuer Platz nehmen. Während sie nun über verschiedene Dinge miteinander redeten, fuhr der böse Geist in den Knaben, warf ihn in die Glut und nahm ihm schnell das Leben. Der unglückliche, seines Kindes beraubte Vater erkannte nun, wen er aufgenommen und wen der Bischof vertrieben hatte.
Petrus. Wie sollen wir denn das erklären, daß der Erbfeind die Kühnheit hatte, jemanden zu töten und noch dazu in dem Hause eines Mannes, der ihn für einen Fremdling ansah und ihn aus Gastfreundschaft bei sich aufnahm?
Gregorius. Vieles, Petrus, scheint gut zu sein und ist es nicht, weil es nicht in guter Absicht geschieht; deshalb sagt auch die ewige Wahrheit im Evangelium: „Ist dein Auge schalkhaft, so wird dein ganzer Leib finster sein.”4 Denn wenn die Absicht, die vorausgeht, unrecht ist, so ist böse jedes Werk, das nachfolgt, mag es auch aussehen wie ein gutes Werk. Ich glaube nämlich, daß der Mann, der scheinbar Gastfreundschaft übte und dabei seines Kindes beraubt wurde, nicht an dem Werke der Barmherzigkeit seine Freude hatte, sondern an der üblen Nachrede gegen den Bischof; denn die Strafe, die nachfolgte, tat kund, daß die vorhergehende gastliche S. 41 Aufnahme nicht ohne Schuld war. Denn es gibt Leute, die deswegen sich guter Werke befleißen, um den Glanz der Tätigkeit anderer zu verdunkeln; sie freuen sich nicht über das Gute, das sie tun, sondern über das Lob, das sie dafür ernten und womit sie andere in Schatten stellen. Darum glaube ich, daß der Mann, der den bösen Geist als Gast aufnahm, eher an eitle Prahlerei dachte als an ein gutes Werk, damit es den Anschein habe, als handle er besser als der Bischof, da er einen bei sich auf genommen, den Fortunatus, der Mann des Herrn, fortgejagt hatte.
Petrus. Ja, so ist es, wie du sagst; eben der Ausgang zeigte, daß die Absicht beim Werke keine reine war.
Gregorius. Wieder zu einer anderen Zeit wurde ein Mann zu ihm gebracht, der das Augenlicht verloren hatte. Er bat, daß er ihm durch seine Fürsprache helfen möge, und erlangte Hilfe. Denn sowie der Mann Gottes nach einem Gebete die Augen mit dem heiligen Kreuze bezeichnet hatte, wurde ihm das Augenlicht plötzlich wiedergegeben, und die Nacht der Blindheit entschwand. Ferner wurde einmal das Pferd eines Ritters derart scheu, daß es nur mit Mühe von vielen Leuten gehalten werden konnte und alle, die in seine Nähe kamen, biß. Endlich wurde es von einer Anzahl von Leuten gefesselt und vor den Mann Gottes geführt. Dieser streckte seine Hand aus und machte auf den Kopf des Pferdes das Kreuzzeichen und verwandelte dadurch die ganze Raserei in Sanftmut, so daß das Tier hernach zahmer war als vor dem Wutanfall. Auf das hin beschloß der Ritter, das Pferd, das er durch die Macht des Wunders so schnell von der Raserei geheilt sah, dem heiligen Mann als Geschenk anzubieten. Als dieser nun anfänglich die Annahme verweigerte, jener aber fortgesetzt bat, er möge das Geschenk nicht verschmähen, schlug der heilige Mann unter den beiden Möglichkeiten den Mittelweg ein, indem er einerseits die Bitte des Ritters erhörte, anderseits aber es ablehnte, ein Geschenk für ein S. 42 Wunderwerk anzunehmen. Er zahlte nämlich einen entsprechenden Preis, und dann nahm er das angebotene Pferd an. Denn da er sah, daß er den Ritter betrüben würde, wenn er das Pferd nicht annähme, kaufte er aus Liebe, was er nicht nötig hatte.
Ich darf auch jenes Wunderwerk dieses Mannes nicht verschweigen, das ich vor ungefähr zwölf Tagen erfuhr. Es wurde nämlich ein armer alter Mann zu mir gebracht, und da mir eine Unterhaltung mit alten Leuten immer sehr lieb ist, erkundigte ich mich angelegentlich, wo er zu Hause sei. Er sagte, er sei aus der Stadt Todi. Darauf trug ich ihn: „Bitte, Vater, hast du etwa den Bischof Fortunatus gekannt?” „Ja”, sagte er, „ich habe ihn gekannt, und zwar sehr gut.” Darauf fuhr ich fort: „Erzähle mir, bitte, was du für Wunderwerke von ihm weißt, und sag’ mir, was er für ein Mann gewesen ist; denn ich möchte das so gerne wissen.” Darauf antwortete er: „Dieser Mann war ganz anders als die Leute, wie wir sie heutzutage sehen; denn um was immer er den allmächtigen Gott bat, das erhielt er, sowie er darum betete. Nur ein einziges Wunder, das mir gerade in den Sinn kommt, möchte ich von ihm erzählen. Es kamen nämlich einmal Goten, die in die Gegend von Ravenna reisten, in die Nähe der Stadt Todi. Sie hatten aber auf einem Hofe, der ganz nahe bei Todi lag, zwei kleine Knaben entführt. Als das dem heiligen Mann Fortunatus hinterbracht wurde, schickte er sofort hin und ließ die Goten zu sich kommen. Er redete sie mit freundlichen Worten an und gab sich Mühe, zuerst ihr rauhes Wesen zu mildern, und fügte dann schließlich bei: ‘Was ihr als Preis verlangt, das will ich euch geben, aber gebt mir die Knaben, die ihr weggeführt habt, wieder heraus! Schenket mir diesen Beweis eurer Gunst!’ Darauf antwortete der, welcher dem Anschein nach ihr Anführer war: ‘Verlange irgend etwas anderes, und wir werden es tun, die Knaben aber geben wir auf keinen Fall heraus.’ Daraufhin drohte ihm der ehrwürdige Mann mit S. 43 gütigen Worten und sprach: ‘Du betrübst mich, mein Sohn, und hörst nicht auf deinen Vater; betrübe mich nicht, damit die Sache nicht einen schlimmen Ausgang für dich nehme!’ Aber der Gote verharrte in der Wildheit seines Herzens und ging nach einer abschlägigen Antwort davon. Als er am andern Tag abziehen wollte, kam er noch einmal zum Bischof, und wiederum bat ihn der Bischof in gleicher Weise für die erwähnten Kleinen. Als er aber durchaus nicht in die Herausgabe einwilligen wollte, sprach der Bischof voll Trauer: ‘Ich weiß es, daß es für dich nicht gut ist, mich zu betrüben und so davon zu gehen.’ Der Gote aber gab nichts auf diese Worte, ging in seine Herberge zurück, ließ die zwei Knaben, um die es sich handelte, auf Pferde setzen und schickte sie mit seinen Leuten voraus. Er bestieg dann auch selbst sein Pferd und ritt nach. Als er aber in jener Stadt vor die Kirche des heiligen Petrus kam, glitt sein Pferd aus; es stürzte mit ihm zu Boden, und er brach sich dabei das Hüftbein, so daß das Bein in zwei Teile auseinanderging. Man hob ihn auf und trug ihn in die Herberge zurück. Sogleich schickte er und ließ die zwei Knaben zurückholen, sandte zum ehrwürdigen Mann Fortunatus und ließ ihm sagen: ‘Ich bitte dich, Vater, sende deinen Diakon zu mir.’ Als der Diakon an sein Lager kam, ließ er die zwei Knaben, deren Herausgabe er dem Bischof rundweg abgeschlagen hatte, hereinbringen, übergab sie dem Diakon und sprach: ‘Geh' und sage dem Bischof, meinem Herrn: Weil du mich verwunschen hast, sieh, darum bin ich jetzt geschlagen. Nimm aber nun die Knaben, die du verlangt hast, und lege für mich, ich bitte dich, Fürbitte ein.’ Der Diakon nahm die Knaben und führte sie zum Bischof, worauf ihm der ehrwürdige Fortunatus sogleich Weihwasser gab und sagte: ‘Gehe schnell und besprenge damit seinen Leib!’ Der Diakon ging also weg, begab sich zum Goten und besprengte seine Glieder mit dem Weihwasser. Und o wundervolles, höchst staunenswürdiges S. 44 Ereignis! Sobald das Weihwasser die Hüfte des Goten berührte, war der ganze Knochenbruch so gut geheilt und das Hüftbein wieder gesund, daß der Gote zur selben Stunde das Bett verlassen, zu Pferde steigen und seine Reise fortsetzen konnte, gleich als ob er keine Verletzung an seinem Leibe erlitten hätte. So kam es also, daß er die Knaben dem heiligen Fortunatus, durch Strafe gezwungen, umsonst geben mußte, nachdem er sie aus Gehorsam nicht einmal gegen ein Entgelt hatte herausgeben wollen.” Als der Greis mit dieser Erzählung zu Ende war, wollte er mir noch andere Wunder berichten, aber da viele Leute da waren, an welche ich ermunternde Worte richten mußte, und da es schon spät geworden war, konnte ich den Wundertaten des ehrwürdigen Fortunatus nicht länger zuhören, denen ich, wenn es anginge, immer zuhören möchte.
Am anderen Tage aber erzählte mir der Greis eine noch wunderbarere Geschichte von ihm; er erzählte nämlich folgendes: „In derselben Stadt Todi lebte ein wohlgeachteter Mann namens Marcellus mit seinen zwei Schwestern zusammen. Es befiel ihn eine Unpäßlichkeit, und er starb gerade am Abend des hochheiligen Ostersamstags. Da man den Leichnam etwas weiter zum Begräbnis hätte tragen müssen, konnte die Beerdigung an jenem Tage nicht mehr stattfinden. Da sich nun auf diese Weise ein Aufschub des Begräbnisses ergab, eilten seine Schwestern, die der Todesfall in tiefe Trauer versetzt hatte, weinend zum Bischof und klagten ihm laut: ‘Wir wissen, daß du wie die Apostel lebst, die Aussätzigen machst du rein und die Blinden machst du sehend, o komm und erwecke unsern Toten wieder zum Leben!’ Als er vom Tode ihres Bruders erfuhr, mußte auch er darüber weinen und sagte zu ihnen: ‘Gehet heim und saget solche Worte nicht mehr; denn es ist eine Anordnung des allmächtigen Gottes, der kein Mensch entgegenhandeln kann.’ Sie gingen weg, der Bischof aber blieb wegen des Todesfalles in tiefe Trauer versunken. S. 45 Am folgenden Sonntag rief der Bischof noch vor anbrechender Morgendämmerung zwei seiner Diakonen zu sich und begab sich mit ihnen zum Hause des Toten. Er betrat den Raum, wo der entseelte Leichnam lag, und begann zu beten. Nachdem er sein Gebet beendigt hatte, stand er auf und setzte sich neben den Leichnam; mit einer nicht gar lauten Stimme rief er den Verstorbenen beim Namen mit den Worten: ‘Bruder Marcellus!’ Dieser aber schlug sofort, wie wenn er durch eine nahe, leise Stimme aus leichtem Schlummer geweckt worden wäre, die Augen auf, sah den Bischof an und sprach: ‘Oh, was hast du getan? Was hast du getan?’ Darauf erwiderte der Bischof: ‘Was ich getan habe?’ Er aber sagte: ‘Gestern kamen zwei, die mich aus meinem Leibe holten und an einen guten Ort führten; heute aber kam einer gesandt, der sagte: ‘Führt ihn wieder zurück, denn der Bischof Fortunatus ist in sein Haus gekommen!’ Nach diesen Worten erholte er sich bald wieder von seiner Krankheit und blieb noch längere Zeit am Leben.” Man darf jedoch nicht glauben, daß er den Ort, den er schon erlangt hatte, verloren habe, weil er ohne Zweifel durch das Gebet seines Fürsprechers nach dem Tode ein noch besseres Leben führen konnte, nachdem er schon vor seinem Sterben sich bemüht hatte, Gott dem Allmächtigen wohlzugefallen. Doch wozu erzählen wir vieles von seinem Leben, da wir an seinem Leichnam noch bis auf den heutigen Tag so viele Wundererweise erfahren? Denn so oft man ihn mit Vertrauen anfleht, er möge Besessene befreien, Kranke gesund machen, wie er das im Leben unaufhörlich getan hat, so fährt er fort, dies auch bei seinen sterblichen Überresten zu tun.
Doch möchte ich, Petrus, in meiner Erzählung wieder in die Provinz Valeria zurückkehren, von der ich außerordentlich viel Wunder aus dem Munde des ehrwürdigen Fortunatus5 vernommen habe, den ich früher bereits erwähnte. Dieser besucht mich jetzt öfter und verschafft S. 46 mir stets neue Erquickung, wenn er von den Werken der Alten erzählt.
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Martyrol. 14. Okt. ↩
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Nach dem Vorbilde von ex 19,15 verlangten die Väter Enthaltsamkeit vor der Teilnahme an den hl. Geheimnissen; vgl. die Vorschriften des Konzils von Elvira. ↩
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Der Priester scheint den Vorgang für etwas Natürliches gehalten zu haben und wollte durch Auflegen des Altartuches abhelfen. ↩
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Mt 6,23 ↩
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Abt des Klosters Balneum Ciceronis, Kap. 4, S. 13 ↩