V. Kapitel: VonKonstantius,1 dem Mesner an der Kirche des hl. Stephanus
Die folgende Erzählung verdanke ich einem meiner Mitbischöfe, der viele Jahre in der Stadt Ankona als Mönch zubrachte und dort ein Klosterleben von nicht gewöhnlicher Frömmigkeit führte. Mit ihm stimmen auch einige ältere Leute unter uns überein, die aus jener Gegend stammen. In der Nähe jener Stadt also liegt eine Kirche zum seligen Märtyrer Stephanus, an der ein Mann von ehrwürdigem Wandel namens Konstantius das Amt eines Mesners versah. Der Ruf seiner Heiligkeit war weit und breit zu den Leuten gedrungen, da er die irdischen Dinge von Grund aus verachtete und mit aller Kraft der Seele nur nach dem Himmlischen S. 23 verlangte. Da nun eines Tages in jener Kirche das Öl ausging und dem Diener Gottes nichts zu Händen war, womit er die Ampeln hätte anzünden können, füllte er alle Ampeln in der Kirche mit Wasser und tat wie gewöhnlich den Papyrusdocht hinein; darauf nahm er Feuer und zündete die Ampeln an, und das Wasser brannte in den Ampeln wie Öl. Stelle dir also vor, Petrus, wie reich an Verdiensten der Mann gewesen sein muß, der im Notfalle die Natur eines Elementes verwandeln konnte!
Petrus. Das ist sehr wunderbar, was ich da höre; ich möchte aber gern wissen, wie demütig dieser Mann in seinem Innern sein konnte, der nach außen hin so glänzte.
Gregorius. Mit Recht forschest du bei Wunderwerken nach dem Zustand der Seele, weil es gar oft vorkommt, daß die Wunderdinge, die nach außen hin geschehen, innerlich die Seele in ihrer Art in Versuchung führen. Wenn du aber auch nur Eines hörst, das dieser ehrwürdige Konstantius vollbracht hat, so wirst du sogleich sehen, wie demütig er war,
Petrus. Nachdem du mir ein solches Wunder von ihm erzählt hast, mußt du mich auch noch mit seiner Seelendemut erbauen.
Gregorius. Da der Ruf von seiner Heiligkeit sehr groß geworden war, hatten viele Leute aus verschiedenen Gegenden das sehnlichste Verlangen, ihn zu sehen. Eines Tages kam nun ein Bauersmann von weither, um ihn zu sehen. Es traf sich zufällig, daß der heilige Mann zur selben Stunde gerade auf einer hölzernen Leiter stand und die Ampeln richtete. Er war aber sehr klein, schmächtig und unansehnlich von Gestalt. Der Bauer, der ihn sehen wollte, erkundigte sich nach ihm und bat dringend, man möge ihm denselben zeigen; solche, die den heiligen Mann kannten, taten es dann. Doch wie törichte Menschen die Verdienste nach der Beschaffenheit des Körpers bemessen, so konnte der Bauer beim S. 24 Anblicke des kleinen und unansehnlichen Männleins gar nicht glauben, daß dieser es sei. In seinem bäuerlichen Kopfe entstand so gewissermaßen ein Widerstreit zwischen dem, was er gehört hatte, und dem, was er sah, und er meinte, so klein könne der nicht aussehen, den er sich so ganz groß vorgestellt hatte. Allein, da ihm alle versicherten, dieser sei es, so lachte und spottete er über ihn und sagte: „Ich hatte ihn mir als einen großen Mann vorgestellt, aber dieser hat ja gar nichts von einem Manne an sich.” Als der Mann Gottes Konstantius dies hörte, ließ er voll Freude die Ampeln, die er richtete, stehen, stieg eilends herab, umarmte den Bauer und drückte ihn in großer Liebe an sich; er küßte ihn und sagte ihm vielmals Dank dafür, daß er so über ihn geurteilt habe, „denn du allein”, sagte er, „hast offene Augen für mich gehabt.” Aus diesem Vorgang müssen wir abnehmen, wie demütig der in seinem Innern war, der den Bauer trotz seiner abfälligen Bemerkung nur um so mehr liebte. Denn eine Beleidigung bringt es an den Tag, wie einer im Herzen beschaffen ist. Wie nämlich die Stolzen über Ehrenbezeigungen sich freuen, so freuen sich die Demütigen über Kränkungen. Wenn sie sich auch in den Augen anderer gering geschätzt sehen, so freuen sie sich, weil sie das Urteil bestätigt sehen, das sie selbst über sich fällen.
Petrus. Dieser Mann war wirklich, wie ich sehe, groß nach außen in seinen Wundern, aber größer noch im Innern durch die Demut seines Herzens.
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Martyrol, 23. Sept. ↩