3.
Es findet sich, wie du weißt, am Schlüsse des fünften Buches der Tuskulanischen Disputationen Ciceros1 eine Stelle, die in dieser Hinsicht beachtenswert ist. Indem Cicero dort von der leiblichen Blindheit handelt und versichert, auch der blinde Weise könne glücklich sein, spricht er vieles von dem Vergnügen, das ein solcher durch das Gehör empfangen würde; so verlegt er auch bei einem Tauben das Vergnügen in die Augen. Wäre aber jemand beider Sinne beraubt, blind und taub zugleich, so wagt er nicht den Ausspruch zu tun, daß auch ein solcher glücklich sei, sondern denkt sich noch die heftigsten Körperschmerzen hinzu und meint dann: wenn diese ihn nicht töten, so solle er sich selber töten, um durch diese Heldentat befreit im Hafen der Gefühllosigkeit anzukommen. Der Weise gibt also bei den ärgsten Schlägen nach und unterliegt in dem Grade, daß er gezwungen wird, einen Mord an sich selbst zu begehen. Wenn er aber seiner selbst nicht schont, wessen sollte er schonen, um von solchen Leiden S. 591 frei zu sein? Er ist doch immer glücklich, er kann doch die Glückseligkeit, die in seiner Macht liegt, nicht durch die Gewalt irgendeines Unglückes verlieren! Aber siehe, bei Blindheit, Taubheit und den heftigsten Körperschmerzen hat er entweder die Glückseligkeit verloren; oder, wenn sie bei diesen Leiden noch vorhanden ist, so geschieht es infolge der Erörterungen dieser höchst gelehrten Herren, daß die Glückseligkeit manchmal so beschaffen ist, daß der Weise sie nicht zu ertragen vermag oder, was noch abgeschmackter ist, sie gar nicht ertragen darf, sondern sie flieht, ihr ein Ende macht, sie wegwirft und mit Schwert, Gift oder einer anderen freiwilligen Todesart sich ihr entzieht: sein Ziel ist der Hafen der Gefühllosigkeit, um dort entweder, wie die Epikureer und einige ihrer Torheitsgenossen gemeint haben, gar nicht zu existieren oder dadurch glückselig zu sein, daß er sich von jenem glückseligen Leben wie von einer Pest befreit hat. O über stolze Prahlerei! Wenn bei körperlichen Qualen das Leben glückselig ist, warum harrt der Weise da nicht aus, um es zu genießen? Wenn es aber unglücklich ist, was anders als der Hochmut hindert dann, ich bitte dich, dies zu gestehen, zu Gott zu beten, den Gerechten und Barmherzigen anzuflehen, der die Macht besitzt, die Leiden dieses Lebens abzuwenden, sie zu mildern, mit Kraft sie zu ertragen, auszurüsten oder gänzlich von ihnen zu befreien und danach das wahrhaft glückselige Leben zu verleihen, in dem es kein Leiden mehr gibt und wo man das höchste Gut nie verliert?
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Cic. Tuse. disp. V 38, 110-40, 117. ↩