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Vier Bücher über die christliche Lehre (BKV)
6. Kapitel: Auch die Dunkelheit gewisser Stellen der Heiligen Schrift hat ihre Bedeutung
7. Es gibt jedoch in den heiligen Schriften zahlreiche, verschiedene Dunkelheiten und zweideutige Ausdrücke, durch die sich vorwitzige Leser täuschen lassen. Bald verwechseln sie die Gedanken, an manchen Stellen wissen sie nicht einmal eine falsche Vermutung auszusprechen, so dicht ist die Finsternis, die einige dunkle Ausdrücke verbreiten. Diese Vorkehrung wurde ohne Zweifel deshalb von Gott getroffen, um den Hochmut durch mühselige Arbeiten zu zähmen und den Geist, dem ohne Mühe Erforschtes sehr häufig wertlos wird, vor Ekel zu bewahren. Wieviel kommt doch auf die Ausdrucksweise an! Es könnte einer z. B. ganz gut sagen, es gebe heilige und vollkommene Menschen, durch deren Leben und Sitten die Kirche diejenigen, die zu ihr kommen, von jeder Art von Aberglauben lostrennt und sich durch Nachahmung des Guten sozusagen einverleibt: diese guten Gläubigen und wahren Diener Gottes haben die Last der Welt abgelegt und sind zum heiligen Bade der Taufe gekommen, und nach der Taufe bringen sie infolge des Empfangs des Heiligen Geistes die Frucht einer doppelten Liebe hervor, nämlich der Gottes- und Nächstenliebe. Wie kommt es nun, daß eine solche Ausdrucksweise weniger ergötzt, als wenn jemand in demselben Sinn jene Stelle im Hohen Lied erklärt, wo zur Kirche, während sie als schönes Weib gelobt wird, gesagt wird: „Deine Zähne sind wie eine S. 54Herde frischgeschorener Schafe, die gerade aus dem Bade steigt; alle bringen zwei Junge zur Welt, und kein unfruchtbares Schaf ist unter ihnen1.“ Lernt man vielleicht aus dieser Stelle etwas anderes, als was man vorhin mit ganz klaren Worten ohne die Beihilfe des Gleichnisses hörte? Und doch betrachte ich mir die Heiligen — ich kann nicht sagen, woher es kommt — mit größerer Süßigkeit, wenn ich sie gleichsam als die Zähne der Kirche die Menschen vom Irrtum abbeißen, das dem Leib der Kirche innewohnende Herbe mildern und es dann gleichsam zerbissen und zerkaut in ihren Leib überleiten sehe. Die größte Freude macht es mir, wenn ich die Schafe (der Kirche) geschoren sehe, nachdem sie die Last der Welt wie Wolle abgelegt haben; sie steigen aus dem Bade heraus, das heißt aus der Taufe; alle Schafe bringen zwei Junge zur Welt, nämlich die zwei Gebote der Liebe (zu Gott und zum Nächsten), und ich sehe, daß keines an jener heiligen Frucht unfruchtbar ist.
8. Aber warum ich sie lieber so sehe, als wenn aus den göttlichen Schriften kein solches Geheimnis gezogen würde, ist bei der vollen Gleichheit der Sache und des Gedankens freilich schwer anzugeben und gehört auch nicht zur Sache. Es zweifelt aber niemand daran, daß der Mensch die Wahrheit viel lieber durch Vermittlung von Gleichnissen erforscht und an ihrem Auffinden viel mehr Freude hat, wenn es mit einiger Schwierigkeit verbunden ist. Wer nämlich gar nicht zu finden weiß, wonach ihn verlangt, der leidet Hunger; wen aber nach gar nichts verlangt, obwohl es ihm zu Diensten steht, der wird oft vor lauter Ekel ganz mager; in beiden Fällen ist Schwäche zu besorgen. Da hat nun der Heilige Geist in großartiger und bekömmlicher Weise die heiligen Schriften so eingerichtet, daß er durch die klaren Stellen den Hunger stillt, aber auch durch schwerer verständliche den Ekel ferne zu halten weiß. Denn aus den schwierigen Stellen wird fast nichts erhoben, was sich nicht auch anderswo ganz deutlich finden läßt.
Hohel. 4, 2. ↩
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De doctrina Christiana
CAPUT VI.-- Obscuritas Scripturae in tropis et figuris quorsum utilis.
7. Sed multis et multiplicibus obscuritatibus, et ambiguitatibus decipiuntur qui temere legunt, aliud pro alio sentientes; quibusdam autem locis quid vel falso suspicentur non inveniunt, ita obscure quaedam dicta densissimam caliginem obducunt. Quod totum provisum divinitus esse non dubito, ad edomandam labore superbiam, et intellectum a fastidio revocandum, cui facile investigata plerumque vilescunt. Quid enim est, quaeso, quod si quisquam dicat sanctos esse homines atque perfectos, quorum vita et moribus Christi Ecclesia de quibuslibet superstitionibus praecidit eos qui ad se veniunt, et imitatione bonorum sibimet quodammodo incorporat; qui boni fideles et veri Dei servi, deponentes onera saeculi, ad sanctum Baptismi lavacrum venerunt, atque inde ascendentes conceptione sancti Spiritus fructum dant geminae charitatis, id est, Dei et proximi: quid est ergo quod si haec quisque dicat, minus delectat audientem, quam si ad eumdem sensum locum illum exponat de Canticis canticorum, ubi dictum est Ecclesiae, cum tanquam pulchra quaedam femina laudaretur, Dentes tui sicut grex detonsarum, ascendens de lavacro, quae omnes geminos creant, et non est sterilis in eis 1? Num aliud homo discit, quam cum illud planissimis verbis, sine similitudinis hujus adminiculo audiret? Et tamen nescio quomodo suavius intueor sanctos, cum eos quasi dentes Ecclesiae video praecidere ab erroribus homines, atque in ejus corpus, emollita duritia, quasi demorsos mansosque [P. 0039] transferre. Oves etiam jucundissime agnosco detonsas, oneribus saecularibus tanquam velleribus positis, et ascendentes de lavacro, id est de Baptismate, creare omnes geminos, id est duo praecepta dilectionis, et nullam esse ab isto sancto fructu sterilem video.
8. Sed quare suavius videam, quam si nulla de divinis Libris talis similitudo promeretur, cum res eadem sit eademque cognitio, difficile est dicere, et alia quaestio est. Nunc tamen nemo ambigit, et per similitudines libentius quaeque cognosci, et cum aliqua difficultate quaesita multo gratius inveniri. Qui enim prorsus non inveniunt quod quaerunt, fame laborant; qui autem non quaerunt, quia in promptu habent, fastidio saepe marcescunt: in utroque autem languor cavendus est. Magnifice igitur et salubriter Spiritus sanctus ita Scripturas sanctas modificavit, ut locis apertioribus fami occurreret, obscurioribus autem fastidia detergeret. Nihil enim fere de illis obscuritatibus eruitur, quod non planissime dictum alibi reperiatur.
Cant. IV, 2 ↩