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Werke Augustinus von Hippo (354-430) De doctrina christiana Vier Bücher über die christliche Lehre (BKV)
2. Buch

13. Kapitel: Eine vollständig wortgetreue Übertragung des Urtextes macht meistens das Verständnis nicht unmöglich, erschwert es aber vielfach in bedeutendem Grade

19. Der wahre Sinn jedoch, den mehrere Übersetzer je nach ihrer persönlichen Fertigkeit und Urteilsfähigkeit S. 65auszusprechen suchen, steht nicht sicher fest, wenn er nicht in der Ursprache eingesehen wird; sehr häufig verfehlt ein Übersetzer den richtigen Sinn, wenn er nicht sehr gelehrt ist. Daher muß man die Kenntnis jener Sprachen, aus denen die Heilige Schrift ins Lateinische übersetzt wurde, zu erlangen suchen oder man muß sich wenigstens an die Arbeiten solcher Übersetzer halten, die sich wörtlich an ihre Vorlage gehalten haben. Allerdings sind solche (wörtliche) Übersetzungen ungenügend, aber sie dienen doch dazu, Wahrheit oder Irrtum derjenigen aufzudecken, die mehr nach dem Sinn als nach dem Wortlaut übersetzen wollten. Oft werden nämlich nicht allein die einzelnen Worte, sondern auch die Satzverbindungen (des Urtextes wörtlich) übertragen, die durchaus nicht in den lateinischen Sprachgebrauch übergehen können, wenn anders einer den herkömmlichen Stil der bisherigen lateinischen Schriftsteller beibehalten will. Eine solche wörtliche Übertragung ist manchmal dem Verständnis nicht gerade hinderlich, aber sie stört doch solche Leser, denen aus dem Inhalt ein Mehr an Freude erwächst, wenn sich auch dessen sprachliche Fassung eine gewisse Reinheit bewahrt hat. So versteht man unter dem sogenannten Soloecismus1 nichts anderes, als wenn man die Worte nicht nach den Sprachgesetzen aneinanderfügt, nach denen sich diejenigen richteten, deren Sprachgebrauch ehedem bei uns in einigem Ansehen stand. Ob einer z. B. sagt: „unter den Menschen“ oder „unter der Menschen“, das ist für den gleichgültig, der sich bloß um den Inhalt kümmert. Was ist schließlich auch Barbarismus anderes, als wenn man ein Wort mit anderen Buchstaben schreibt oder mit einer anderen Betonung ausspricht, als man es bisher im Lateinischen auszusprechen pflegte. Ob man z. B. ignoscere (das lateinische Wort für „Verzeihung“) in seiner dritten Silbe lang oder kurz ausspricht, das bekümmert jenen nicht viel, der Gott um „Verzeihung“ seiner Sünden bittet, S. 66mag man nun das (lateinische) Wort für Verzeihung mit was immer für einer Betonung aussprechen. Was versteht man also unter Reinheit der Aussprache anderes, als die Beobachtung der durch das Ansehen der alten Schriftsteller bekräftigten Gewohnheiten (des Lateinsprechens)?

20. Je schwächer indes die Menschen sind, um so mehr nehmen sie daran Anstoß, und sie sind um so schwächer, je gelehrter sie scheinen wollen, gelehrter zwar nicht an wirklichem Sachverständnis, wodurch wir ja auferbaut würden, sondern an bloßer Kenntnis von Zeichen. Und durch Zeichen nicht aufgeblasen zu werden ist schwer, da ja gar oft sogar wirkliche Sachkenntnis einem den Nacken steift, wenn er nicht durch das Joch des Herrn niedergehalten wird. Was liegt schließlich dem Fachmann daran, wenn geschrieben steht: „Welches ist das Land, in dem sie wohnen in ihm, ob es gut ist oder schlecht; und welche sind die Staaten, in denen sie wohnen in ihnen2?“ So eine Ausdrucksweise halte ich mehr bloß für fremdklingend als wie für besonders tief. Auch jener Ausdruck, den man dem Mund des singenden Volkes nicht mehr zu entreissen vermag: „super ipsum autem floriet sanctificatio mea3“, tut dem Verständnis gewiß keinen Eintrag, obwohl ein kundiger Hörer das Wort floriet in florebit verbessert wissen möchte; und es steht einer solchen Verbesserung auch gar nichts im Weg als nur der Umstand, daß man es beim Singen einmal so gewohnt ist. Wenn also einer solche sprachliche Fehler, die einem gesunden Verständnis keinen Eintrag tun, nicht gerade absichtlich vermeiden will, dann kann man sie recht wohl einfach unberücksichtigt lassen. So drückt sich beispielsweise der Apostel an der bekannten Stelle folgendermaßen aus: „Quod stultum est Dei, sapientius est hominibus et quod infirmum est Dei, fortius est hominibus4“; wollte S. 67nun einer hierbei die griechische Sprachweise beibehalten und infolgedessen sagen: „Quod stultum est Dei, sapientius est hominum et quod infirmum est Dei, fortius est hominum“, so würde zwar ein achtsamer Leser auch trotzdem das Richtige treffen, ein beschränkterer Leser aber würde es gar nicht oder doch falsch verstehen. Denn eine solche Ausdrucksweise wäre im Lateinischen nicht bloß fehlerhaft, sondern auch zweideutig; (hier an unserer Stelle käme es geradeso heraus,) als ob das Törichte und Schwache am Menschen weiser oder stärker schiene, als das an Gott. Aber auch die Wendung „sapientius est hominibus“ ist nicht frei von Zweideutigkeit, obgleich kein Soloecismus vorliegt. Denn ob „hominibus“ der Dativ oder der Ablativ ist, wird erst im Lichte des Sinnes selbst klar. Besser würde man also sagen: „sapientius est quam homines“ und „fortius est quam homines“.


  1. Unter Solözismen versteht man vor allem Fehler gegen die Satzkonstruktion; angeblich kommt der Name von der kilikischen Stadt Soloi, deren Einwohner ein schlechtes Griechisch gesprochen haben sollen. ↩

  2. Num. 13, 20. ↩

  3. Ps. 131, 18. ↩

  4. 1 Kor. 1, 25: „Was töricht ist an Gott, ist immer noch weiser als die Menschen, und was schwach ist an Gott, ist immer noch stärker als die Menschen.“ ↩

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