29. Kapitel: Der Nutzen der Naturwissenschaften und der Astronomie
45. Es gibt (außer der die Vergangenheit behandelnden Geschichte) auch noch eine mehr der Beschreibung ähnliche Art der Erzählung, durch die der unkundige Mensch nicht über etwas Vergangenes, sondern über Gegenwärtiges unterrichtet wird. Dazu gehört all das, was über die Lage der einzelnen Örtlichkeiten, über die Natur der Lebewesen, der Bäume, der Pflanzen, der Steine oder anderer körperlicher Dinge aufgeschrieben ist. Wir haben davon schon weiter oben gehandelt und dabei gezeigt, daß ein solches Wissen zur Lösung der in der Heiligen Schrift verborgenen Rätsel beitrage. Natürlich dürfen diese Dinge nicht zu gewissen Zeichen dienen, die gewissermaßen nur Mittel und Werkzeuge des Aberglaubens sind. Auch diese Art von Dingen haben wir schon von der hier besprochenen unterschieden. Denn es ist recht wohl ein Unterschied, ob ich sage: Wenn du diese Pflanze da zerreibst und (ihren Saft) trinkst, dann wirst du kein Leibweh haben, oder ob ich sage: Wenn du dir diese Pflanze bloß an den Hals hängst, dann wirst du kein Leibweh haben. Im ersten Falle wird ein heilsamer Gebrauch gebilligt, im zweiten aber ein abergläubisches Zeichen verurteilt. In Fällen jedoch, wo keinerlei Bezauberung, Beschwörung und Zauberzeichen zur Anwendung kommen, da ist es meist zweifelhaft, ob das Ding, das an den der Heilung bedürftigen Körper angebunden oder sonst befestigt werden soll, durch seine natürliche Kraft wirkt, und in dem Falle stünde seine Anwendung frei, oder ob der Erfolg abhängt von einer besonderen Art, wie das betreffende S. 91Ding am Körper befestigt ist: in letzterem Falle muß der Christ um so vorsichtiger sein, je kräftiger der Erfolg zu sein scheint. Ist aber der Grund der Wirksamkeit ganz unklar, dann kommt es auf die Absicht an, in der einer das Mittel gebraucht, ob er sich nämlich der Mittel, welche die medizinische Kunst oder die Naturwissenschaft zur Verfügung stellen, wirklich bloß zur Heilung oder Linderung körperlicher Gebrechen bedient.
46. Auch bei der Kenntnis der Gestirne, deren die Heilige Schrift nur sehr wenige erwähnt, haben wir es nicht mit einer Erzählung, sondern mit einer Beschreibung zu tun. Den allermeisten ist der Lauf des Mondes, nach dem man sich auch bei Berechnung der jährlichen Feier des Leidens des Herrn zu richten pflegt, eine bekannte Sache: gerade so wenig ist aber anderseits das völlig irrtumslose Wissen vom Auf- und Untergang oder von den übrigen Erscheinungen der anderen Gestirne bei den meisten Leuten etwas ganz Bekanntes. Diese Kenntnis führt nun an und für sich nicht zum Aberglauben. Es ist aber damit auch nicht viel oder gar nichts für die Behandlung der göttlichen Schrift gedient, stört vielmehr bloß durch eine nutzlose Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit; und weil sie zudem ganz nahe mit dem ganz verderblichen Irrtum derjenigen verwandt ist, die töricht Lebensschicksale prophezeien, so ist es zweckmäßiger und ehrenvoller, wenn man sich gar nicht damit abgibt. — Die Gestirnkunde hat jedoch außer der Beschreibung gegenwärtiger Vorgänge auch etwas an sich, was mit der Erzählung vergangener Dinge verwandt ist: Man kann nämlich aus der gegenwärtigen Stellung und Bewegung der Gestirne regelmäßig auf ihre früheren Bahnen schließen. Auch für die Zukunft lassen sich aus der Kenntnis der Gestirne regelrechte Schlußfolgerungen ziehen, und zwar keine solchen, die bloß auf Vermutungen und Ahnungen beruhen, sondern ganz bestimmte und feste; (es ist das nun nicht so zu verstehen,) als ob wir aus den Gestirnen etwas herauslesen könnten, was unser Tun und unsere Erfolge betrifft, so etwa, wie es bei den Albernheiten der Astrologen der Fall ist; sondern (was man herauslesen kann,) S. 92das betrifft die Gestirne selbst. Denn gerade so gut wie einer, der Berechnungen am Mond vornimmt, dann, wenn er sieht, wie groß der Mond heute ist und wie groß er vor so und so viel Jahren gewesen ist, auch angeben kann, wie groß er nach beliebig vielen Jahren sein wird, so pflegen erfahrene Astronomen über jedes einzelne Gestirn Auskunft zu geben. Über den praktischen Wert dieser ganzen Wissenschaft habe ich meine Ansichten schon geäußert.