40. Kapitel : Von dem, was die Heiden Wahres besitzen, darf auch der Christ ruhig Gebrauch machen
60. Wenn aber die sogenannten Philosophen, vor allem die Platoniker, einmal etwas aussagen, was wahr ist und mit unserem Glauben übereinstimmt, so brauchen wir uns davor nicht nur durchaus nicht zu fürchten, sondern wir dürfen ihr Wahrheitsgut von ihnen als den ungerechten Besitzern für uns in Gebrauch nehmen. So hatten z. B. auch die Ägypter nicht bloß Götzenbilder und schwere Lasten, die das Volk Israel verabscheuen und fliehen mußte, sondern sie hatten auch goldene und silberne Gefäße und Schmuckgegenstände und Kleider, die sich das Volk Gottes bei seinem Auszug aus Ägypten nicht zwar aus eigener Machtvollkommenheit, sondern auf Befehl Gottes heimlich zum besseren Gebrauch aneignete1; die Ägypter traten damit ihrerseits ohne ihr Wissen diejenigen Güter ab, von denen sie selbst einen schlechten Gebrauch machten: geradeso umfassen auch alle Kenntnisse der Heiden nicht bloß nachgeäffte und abergläubische Gebilde und schwere Lasten einer unnützen Arbeit, die jeder von uns verabscheuen und meiden muß, wenn er unter der Führung Christi aus der Gesellschaft der Heiden auszieht, sondern sie haben auch schöne Künste, die besser zum Dienste der Wahrheit passen. Dazu gehören z. B. einige sehr nützliche Sittenvorschriften; ja selbst über die Verehrung des einen Gottes kann man bei ihnen manches Wahre finden. Was sie so als ihr Gold und Silber besitzen, das haben sie sich nicht selbst gegeben, S. 104sondern sozusagen aus den Schächten der überall waltenden göttlichen Vorsehung (wie aus einem Bergwerk) gezogen, haben es aber dann verkehrt und ungerecht zum Dienst der bösen Geister mißbraucht: wenn sich nun der Christ innerlich von der unglückseligen Gemeinschaft mit den Heiden loslöst, dann muß er ihnen diese Schätze entreißen und in gerechter Weise zur Verkündigung des Evangeliums gebrauchen. Auch ihre Kleider, das heißt die rein menschlichen Einrichtungen, die nur für den Dienst der menschlichen Gesellschaft berechnet und in diesem Leben unentbehrlich sind, dürfen wir uns aneignen und zum Gebrauch der Christen verwenden.
61. Oder haben vielleicht viele gute und gläubige Männer unter uns etwas anderes getan? Sehen wir nicht, wie schwer Cyprian2, der süße Lehrer und selige Märtyrer, mit Gold und Silber belastet war, als er Ägypten verließ? So machten es auch Lactantius3, so Victorinus4, Optatus5, Hilarius6 und, um von den noch Lebenden zu schweigen, unzählige Griechen. So hatte es vordem auch der getreueste Diener Gottes, Moses, gemacht, von dem geschrieben steht7, er sei in jeglicher Weisheit der Ägypter unterrichtet gewesen. All diesen Männern hätten die abergläubischen Heiden, zumal in jenen Zeiten, als sie das Joch Christi ablehnten und die Christen verfolgten, niemals ihre nützlichen Wissenschaften zur Verfügung gestellt, wenn sie vermutet hätten, sie würden zum Gebrauche der Verehrung des einen Gottes verwendet werden, durch den der richtige Götzendienst vernichtet werden sollte. Aber S. 105sie gaben ihr Gold und ihr Silber und ihre Kleider dem aus Ägypten ausziehenden Volk Gottes, eben weil sie nicht wußten, wie die Güter, die sie hergaben, in den Dienst Christi treten sollten. Was dort im Buche Exodus vorging, ist ohne Zweifel ein Vorbild, um dies anzudeuten. Das möchte ich jedoch bloß behauptet haben, ohne dem Urteil eines anderen Mannes von gleicher und besserer Einsicht vorzugreifen.
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Exod. 3, 22 und 12, 35 f. ↩
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Cyprian, Bischof von Karthago (ungefähr 200—258). ↩
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Lactantius, Kirchenschriftsteller (ungefähr 260 bis ungefähr 340). ↩
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Victorinus, Bischof von Pettau, der älteste abendländische Exegete, Märtyrer der diokletian. Verfolgung. ↩
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Optatus, Bischof von Mileve in Numidien; er schrieb um 370 gegen die Donatisten. ↩
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Hilarius, Bischof von Poitiers, der „Athanasius de« Abendlandes“ († 367). ↩
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Apg. 7, 22. ↩