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Werke Augustinus von Hippo (354-430) Tractatus in Euangelium Iohannis Vorträge über das Johannes-Evangelium (BKV)
41. Vortrag

1.

Was aus der vorhergehenden Lesung noch folgt und aus dem heiligen Evangelium uns heute vorgelesen wurde, habe ich letzthin zu besprechen verschoben, weil ich schon vieles gesagt hatte, und von der Freiheit, zu der uns die Gnade des Erlösers ruft, nicht oberflächlich und leichthin gesprochen werden durfte; deshalb habe ich mir vorgenommen, mit Gottes Hilfe heute davon zu euch zu reden. Die nämlich, zu welchen der Herr Jesus Christus sprach, waren Juden, zwar zum großen Teile Feinde, aber zum Teil auch Freunde, sei es daß sie es schon geworden oder noch werden sollten; denn, wie schon gesagt, er sah dort einige, welche nach seinem Leiden gläubig werden sollten. Bei ihrem Anblick hatte er gesagt: „Wenn ihr des Menschen Sohn werdet erhöht haben, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“1. Es waren darunter auch solche, welche bei dieser Rede des Herrn sofort glaubten; zu diesen sagte er, was wir heute vernommen haben: „Es sprach also Jesus zu den Juden, die an ihn geglaubt hatten: Wenn ihr in meinem Worte bleibet, werdet ihr wahrhaft meine Jünger sein“. Indem ihr bleibet, werdet ihr es sein; weil ihr nämlich jetzt Glaubende seid, werdet ihr durch euer Bleiben Sehende sein. Darum folgt: „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen“. Die Wahrheit ist unveränderlich. Die Wahrheit ist ein Brot, sie erquickt die Geister und geht nicht aus2; sie verändert den, der davon ißt, wird aber selbst nicht in den Essenden verwandelt. Das ist die Wahrheit: Das Wort Gottes, Gott bei Gott, der eingeborene S. 604 Sohn. Diese Wahrheit ist unsertwegen mit dem Fleische umkleidet worden, damit sie aus Maria der Jungfrau geboren und die Weissagung erfüllt würde: „Die Wahrheit ist der Erde entsproßt“3. Diese Wahrheit nun war, da sie zu den Juden redete, im Fleische verborgen; sie war aber verborgen, nicht um geleugnet, sondern um hinausgeschoben zu werden; hinausgeschoben aber sollte sie werden, um im Fleische zu leiden; im Fleische aber sollte sie leiden, damit das Fleisch der Sünde erlöst würde. Sichtbar also dastehend nach der Schwachheit des Fleisches und unsichtbar nach der Majestät der Gottheit, sprach unser Herr Jesus Christus zu denjenigen, welche ihm bei jenen Worten geglaubt hatten: „Wenn ihr in meinem Worte bleibet, werdet ihr wahrhaft meine Jünger sein“. Denn „wer ausharret bis zum Ende, der wird selig werden“4. „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen“, welche euch jetzt verborgen ist und die zu euch redet. „Und die Wahrheit wird euch befreien.“ Dieses Wort nahm der Herr von der Freiheit her, „er wird euch befreien“. Denn „er befreit“ heißt eigentlich nichts anderes als „er macht frei“. Wie „er beseligt“ nichts anderes heißt als „er macht selig“; wie „er heilt“ nichts anderes heißt als „er macht heil“; „er bereichert“ nichts anderes heißt als „er macht reich“, so heißt „er befreit“ nichts anderes als „er macht frei“. Dies ist im griechischen Zeitwort5 deutlicher. Denn im lateinischen Sprachgebrauch sagen wir häufig von einem Menschen, er werde befreit nicht mit Bezug auf die Freiheit, sondern nur mit Bezug auf die Gesundheit, z. B. wenn es von jemand heißt, er werde von einer Krankheit befreit; das ist die gewöhnliche, aber nicht die eigentliche Redeweise. Der Herr aber hat dieses Wort bei dem Ausspruche: „Und die Wahrheit wird euch befreien“, so genommen, daß im Griechischen niemand zweifelt, er habe von der Freiheit gesprochen.


  1. Joh. 8, 28. ↩

  2. Reficit nec deficit. ↩

  3. Ps. 84, 12 [hebr. Ps. 85, 12]. ↩

  4. Matth. 10, 22. ↩

  5. ἐλευθερώσει [eleutherōsei]. ↩

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Vorträge über das Johannes-Evangelium (BKV)

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