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De catechizandis rudibus
CAPUT IV. Praecipua causa adventus Christi, charitatis commendatio. Ad dilectionem referenda esse quae de Christo ex Scripturis narrantur in catechismo.
7. Quae autem major causa est adventus Domini, nisi ut ostenderet Deus dilectionem suam in nobis, commendans eam vehementer? quia cum adhuc inimici essemus, Christus pro nobis mortuus est1. Hoc autem ideo, quia finis praecepti et plenitudo legis, charitas est2 ut et nos invicem diligamus, et quemadmodum ille pro nobis animam suam posuit, sic et nos pro fratribus animam ponamus3; et ipsum Deum, quoniam prior dilexit nos4, et Filio suo unico non pepercit, sed pro nobis omnibus tradidit eum5, si amare pigebat, saltem nunc redamare non pigeat. Nulla est enim major ad amorem invitatio, quam praevenire amando; et nimis durus est animus qui dilectionem si nolebat impendere, nolit rependere. Quod si in ipsis flagitiosis et sordidis amoribus videmus, nihil aliud eos agere qui amari vicissim volunt, nisi ut documentis quibus valent aperiant et ostendant quantum ament; eamque imaginem justitiae praetendere affectant, ut vicem sibi reddi quodam modo flagitent ab eis animis quos illecebrare moliuntur; ipsique ardentius aestuant, cum jam moveri eodem igne etiam illas mentes quas appetunt sentiunt: si ergo et animus qui torpebat, cum se amari senserit excitatur, et qui jam fervebat, cum se redamari didicerit magis accenditur; manifestum est nullam esse majorem causam qua vel inchoetur vel augeatur amor, quam cum amari se cognoscit qui [Col. 0315] nondum amat, aut redamari se vel posse sperat, vel jam probat qui prior amat. Et si hoc etiam in turpibus amoribus, quanto plus in amicitia? Quid enim aliud cavemus in offensione amicitiae, nisi ne amicus arbitretur quod eum vel non diligimus, vel minus diligimus quam ipse nos diligit? Quod si crediderit, frigidior erit in eo amore quo invicem homines mutua familiaritate perfruuntur: et si non ita est infirmus, ut haec illum offensio faciat ab omni dilectione frigescere; in ea se tenet, qua non ut fruatur, sed ut consulat diligit. Operae pretium est autem animadvertere, quomodo, quanquam et superiores velint se ab inferioribus diligi, eorumque in se studioso delectentur obsequio, et quanto magis id senserint, tanto magis eos diligant, tamen quanto amore exardescat inferior, cum a superiore se diligi senserit. Ibi enim gratior amor est, ubi non aestuat indigentiae siccitate, sed ubertate beneficentiae profluit. Ille namque amor ex miseria est, iste ex misericordia. Jam vero si etiam se amari posse a superiore desperabat inferior, ineffabiliter commovebitur in amorem, si ultro ille fuerit dignatus ostendere quantum diligat eum qui nequaquam sibi tantum bonum promittere auderet. Quid autem superius Deo judicante, et quid desperatius homine peccante? qui se tanto magis tuendum et subjugandum superbis potestatibus addixerat, quae beatificare non possunt, quanto magis desperaverat posse sui curam geri ab ea potestate quae non malitia sublimis esse vult, sed bonitate sublimis est.
8. Si ergo maxime propterea Christus advenit, ut cognosceret homo quantum eum diligat Deus; et ideo cognosceret, ut in ejus dilectionem a quo prior dilectus est, inardesceret, proximumque illo jubente et demonstrante diligeret, qui non proximum, sed longe peregrinantem diligendo factus est proximus; omnisque Scriptura divina quae ante scripta est, ad praenuntiandum adventum Domini scripta est; et quidquid postea mandatum est litteris et divina auctoritate firmatum, Christum narrat, et dilectionem monet: manifestum est non tantum totam Legem et Prophetas in illis duobus pendere praeceptis dilectionis Dei et proximi6, quae adhuc sola Scriptura sancta erat cum hoc Dominus diceret, sed etiam quaecumque posterius salubriter conscripta sunt memoriaeque mandata divinarum volumina Litterarum. Quapropter in Veteri Testamento est occultatio Novi, in Novo Testamento est manifestatio Veteris. Secundum illam occultationem carnaliter intelligentes carnales, et tunc et nunc poenali timore subjugati sunt. Secundum hanc autem manifestationem spirituales, et tunc quibus pie pulsantibus etiam occulta patuerunt, et nunc qui non superbe quaerunt, ne etiam aperta claudantur, spiritualiter intelligentes donata charitate liberati sunt. Quia ergo charitati nihil adversius quam invidentia; mater autem invidentiae superbia est: [Col. 0316] idem Dominus Jesus Christus, Deus homo, et divinae in nos dilectionis indicium est, et humanae apud nos humilitatis exemplum, ut magnus tumor noster majore contraria medicina sanaretur. Magna est enim miseria, superbus homo; sed major misericordia, humilis Deus. Hac ergo dilectione tibi tanquam fine proposito, quo referas omnia quae dicis, quidquid narras ita narra, ut ille cui loqueris audiendo credat, credendo speret, sperando amet.
Übersetzung
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Vom ersten katechetischen Unterricht (SKV 7)
4. Kapitel
7. Welchen tieferen Grund aber gibt es für die Ankunft des Herrn, als daß er seine Liebe zeigen wollte, »indem er sie eindrücklich an uns kundtat«?1 Obwohl wir nämlich noch Feinde waren, ist Christus für uns gestorben.2 Dies aber tat er deshalb, weil der Endzweck des Gebotes und »die Erfüllung des Gesetzes die Liebe ist«, 3»damit auch wir einander lieben« ;4 »und so wie jener für uns sein Leben hingab, S. 22 sollen auch wir für unsere Brüder das Leben hingeben«,5und wenn wir es vorher verschmähten, Gott unsere Liebe zu schenken, sollen wir es wenigstens jetzt nicht verschmähen, ihm unsere Gegenliebe zu schenken, »da er uns zuerst geliebt hat«6 und »seinen einzigen Sohn nicht geschont, sondern für uns hingegeben hat«.7 Es gibt nämlich keine herzlichere Einladung zur Liebe, als in der Liebe zuvorzukommen; und allzu hart ist ein Herz, das Liebe, die es nicht als erstes schenken wollte, nicht einmal erwidern will. Schon bei den schändlichen und sündigen Liebschaften können wir beobachten, wie Menschen, die um die Erwiderung ihrer Liebe kämpfen, ausschließlich damit beschäftigt sind, mit allen verfügbaren Liebesbeweisen die Größe ihrer Liebe zu demonstrieren, und wie sie sich sogar erkühnen, das Bild der Gerechtigkeit als Vorwand zu nehmen, um gewissermaßen eine Gegenleistung von jenen Personen zu fordern, die sie anzulocken versuchen. Und ihre Liebe lodert noch heftiger auf, wenn sie spüren, daß das Herz der begehrten Person nun auch von demselben Feuer entzündet wurde. Wenn also ein Herz, das gefühllos war, in Erregung gerät, sobald es die Liebe eines anderen Menschen spürt, und wenn ein Herz, das schon entflammt ist, noch heftiger erglüht, sobald es Gegenliebe wahrnimmt, so ist augenfällig, daß es keinen größeren Antrieb für das Entstehen oder Wachsen der Liebe gibt, als wenn der, der noch nicht liebt, merkt, daß er geliebt wird, oder der zuerst Liebende hoffen kann, auf Gegenliebe zu stoßen, oder bereits deutliche Zeichen dafür hat.
Wenn dies schon bei den niedrigen Liebschaften gilt, wieviel mehr dann in der Freundschaft? Denn worauf haben wir bei einer Trübung der Freundschaft mehr zu achten, als daß der Freund nicht den Eindruck bekommt, wir liebten ihn nicht oder aber weniger als er uns? Sollte er diesen Eindruck S. 23 bekommen, wird jene Liebe in ihm gewiß erkalten, welche die Menschen bei gegenseitiger Vertrautheit füreinander empfinden. Selbst wenn der Freund nicht mehr so schwankend ist, daß jene Trübung der Freundschaft bei ihm jegliche Zuneigung erlöschen ließe, wird er sich zumindest auf jene Form der Freundschaft beschränken, die man nicht mehr als reine Freundschaft, sondern als Interessengemeinschaft bezeichnet.
Aufschlußreich ist folgende Beobachtung: Auch Höherstehende haben zwar den Wunsch, von Tieferstehenden geliebt zu werden, und deren beflissene Ergebenheit ist ihnen angenehm; und je mehr sie diese spüren, desto mehr Liebe empfinden sie für sie. Welch geradezu glühende Liebe entwickelt aber der Tieferstehende dem Höherstehenden gegenüber, wenn er sich von ihm geliebt fühlt!8 Da nämlich ist die Liebe willkommener, wo sie nicht schmachtet in der Dürre der Bedürftigkeit, sondern verströmt im Überfluß der Wohltaten; denn jene Liebe ist aus dem Leid und Elend geboren, diese aber aus dem Mitleid. Und wenn der Tieferstehende schon gar nicht erst Hoffnung hatte, daß auch er vom Höherstehenden geliebt werden könnte, wird ihn vollends ein unbeschreibliches Gefühl der Zuneigung ergreifen, wenn jener von sich aus sich herabläßt, dem seine Liebe zu zeigen, der es nie gewagt hätte, ein solches Glück sich vorzustellen.
Wer steht nun höher als der richtende Gott, wer ist hoffnungsloser als der sündige Mensch ? Dieser hatte sich ja um so mehr in die Obhut und Abhängigkeit von jenen stolzen Mächten begeben, die ihm die Glückseligkeit nicht bringen können, je weniger Hoffnung er hatte, daß jene Macht sich seiner annehmen könnte, welche nicht durch Arglist sich erheben will, sondern durch ihre Güte erhaben ist.
8. Wenn Christus also vor allem deswegen in die Welt kam, damit der Mensch erkenne, wie sehr ihn Gott liebe, und der S. 24 Mensch dies erkennen sollte, damit er seinerseits in Liebe zu dem entbrenne, von dem er zuvor geliebt wurde, und damit er auch seinen Nächsten liebe, wie Gott es befohlen und gezeigt hatte, der selbst unser Nächster geworden ist,9 indem er uns liebte, die wir nicht seine Nächsten waren, sondern weitab in der Ferne herumschweiften,10 und wenn weiter die ganze Heilige Schrift, die vor Christus geschrieben war, zur Ankündigung der Ankunft des Herrn geschrieben wurde,11 und alles was nachher schriftlich abgefaßt und durch göttliche Autorität beglaubigt wurde, von Christus erzählt und zur Liebe auffordert: so ist es offensichtlich, daß nicht nur das ganze Gesetz und die Propheten auf jenen zwei Geboten der Gottes- und der Nächstenliebe gründen12– sie allein bildeten die Heilige Schrift, als der Herr jene Gebote aussprach –, sondern auch die übrigen Bücher der Heiligen Schrift, die nachher zu unserem Heil aufgezeichnet und der Nachwelt überliefert wurden. Demnach stellt das Alte Testament eine verborgene Ankündigung des Neuen dar, das Neue Testament aber eine Offenlegung des Alten. Entsprechend jener verborgenen Ankündigung sind die fleischlich Gesinnten, deren Denken sich nach dem Fleisch ausrichtet, damals wie heute der Furcht vor Strafe unterworfen. Entsprechend dieser Offenlegung aber sind die Geistig-Gesinnten, deren Denken sich auf den Geist ausrichtet, durch das Geschenk der Liebe frei geworden.13 Das gilt sowohl für die, denen auch damals schon das Verborgene eröffnet wurde, weil sie gottesfürchtig anklopften, wie für die, welche heute ohne Hochmut suchen, damit ihnen nicht auch das Offengelegte wieder verschlossen werde. Nun gibt es keinen größeren Gegensatz zur Liebe als die Mißgunst, die Mutter der Mißgunst aber ist der Hochmut : Unser Herr Jesus Christus ist als S. 25 Gott-Mensch zugleich Beweis der göttlichen Liebe zu uns, wie auch ein Leitbild menschlicher Demut bei uns, damit unser mächtig angeschwollener Hochmut durch ein noch mächtigeres Gegenmittel geheilt werde. Denn ein großes Elend ist der Mensch in seinem Hochmut, noch größeres Erbarmen ist Gott in seiner Demut.
Diese Liebe nun nimm dir gleichsam als Zielpunkt vor Augen, auf den du alles, was du sagst, ausrichtest! Und gestalte die ganze historische Darstellung so, daß dein Zuhörer vom Hören zum Glauben, vom Glauben zur Hoffnung, von der Hoffnung zur Liebe gelange.14
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Röm 5,8. ↩
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Vgl. Röm 5,10 ↩
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1 Tim 1,5a; Röm 13,10. ↩
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Joh 13,34; vgl. Joh 15,12.17; 1 Joh 4,11. ↩
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1 Joh 3,16. ↩
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1 Joh 4,19. ↩
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Röm 8,32; vgl. 1 Joh 4,10. ↩
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Deutliche Anklänge an Cicero, Laelius 69. ↩
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Vgl. 1 Joh 4,10.19. ↩
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Vgl. Röm 5,10. ↩
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Vgl. Lk 24,27. ↩
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Vgl. Mt 22,40. ↩
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Vgl. Röm 8,5 ↩
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Vgl. 1 Kor. 13,13 ↩