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Apologeticum
VI.
[1] Nunc religiosissimi legum et paternorum institutorum protectores et ultores respondeant velim de sua fide et honore et obsequio erga maiorum consulta, si a nullo desciverunt, si in nullo exorbitaverunt, si non necessaria et aptissima quaeque disciplinae oblitteraverunt. [2] Quonam illae leges abierunt sumptum et ambitionem comprimentes? quae centum aera non amplius in coenam subscribi iubebant nec amplius quam unam inferri gallinam, et eam non saginatam, quae patricium, quod decem pondo argenti habuisset, pro magno ambitionis titulo senatu submovebant, quae theatra stuprandis moribus orientia statim destruebant, quae dignitatum et honestorum natalium insignia non temere nec inpune usurpari sinebant? [3] Video enim et centenarias coenas a centenis iam sestertiis dicendas, et in lances (parum est si senatorum et non libertinorum vel adhuc flagra rumpentium) argentaria metalla producta. Video et theatra nec singula satis esse nec nuda; nam ne vel hieme voluptas inpudica frigeret, primi Lacedaemonii penulam ludis excogitaverunt. Video et inter matronas atque prostibulas nullum de habitu discrimen relictum. [4] Circa feminas quidem etiam illa maiorum instituta ceciderunt quae modestiae, quae sobrietati patrocinabantur, cum aurum nulla norat praeter unico digito quem sponsus obpignorasset pronubo anulo, cum mulieres usque adeo vino abstinerentur, ut matronam ob resignatos cellae vinariae loculos sui inedia necarint, sub Romulo vero quae vinum attigerat, inpune a Metennio marito trucidata sit. [5] Idcirco et oscula propinquis offerre etiam necessitas erat, ut spiritu iudicarentur. [6] Ubi est illa felicitas matrimoniorum de moribus utique prosperata, qua per annos ferme sexcentos ab urbe condita nulla repudium domus scripsit? At nunc in feminis prae auro nullum leve est membrum, prae vino nullum liberum est osculum, repudium vero iam et votum est, quasi matrimonii fructus.
[7] Etiam circa ipsos deos vestros quae prospecte decreverant patres vestri, idem vos obsequentissimi rescidistis. Liberum Patrem cum mysteriis suis consules senatus auctoritate non modo urbe, sed universa Italia eliminaverunt. [8] Serapidem et Isidem et Arpocratem cum suo cynocephalo Capitolio prohibitos inferri, id est curia deorum pulsos, Piso et Gabinius consules non utique Christiani eversis etiam aris eorum abdicaverunt, turpium et otiosarum superstitionum vitia cohibentes. His vos restitutis summam maiestatem contulistis. [9] Ubi religio, ubi veneratio maioribus debita a vobis? Habitu, victu, instructu, sensu, ipso denique sermone proavis renuntiastis. Laudatis semper antiquitatem, et nove de die vivitis. Per quod ostenditur, dum a bonis maiorum institutis deceditis, ea vos retinere et custodire quae non debuistis, cum quae debuistis non custodistis. [10] Ipsum adhuc quod videmini fidelissime tueri a patribus traditum, in quo principaliter reos transgressionis Christianos destinastis, studium dico deorum colendorum, de quo maxime erravit antiquitas, licet Serapidi iam Romano aras restruxeritis, licet Baccho iam Italico furias vestras immoletis, suo loco ostendam proinde despici et neglegi et destrui a vobis adversus maiorum auctoritatem. [11] Nunc enim ad illam occultorum facinorum infamiam respondebo, ut viam mihi ad manifestiora purgem.
Übersetzung
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Apologetikum (BKV)
6. Kap. Geschichte und eigene Erfahrung lehren, daß Gesetze auch aufgehoben werden können und oft aufgehoben worden sind.
Nun sollten, wünschte ich, diese ehrfurchtsvollen Wächter und Rächer der Gesetze und Einrichtungen der Vorfahren sich ihrerseits hinsichtlich ihrer Treue, ihrer Ehrerbietigkeit und ihres Gehorsams gegen die Beschlüsse der Vorfahren verantworten, ob sie keinen verlassen, ob sie von keinem abgewichen, ob sie nicht gerade die Dinge, die zur Erhaltung der Sittlichkeit notwendig und die geeignetsten waren, aufgehoben haben. Wohin sind denn jene Gesetze gekommen, die den Aufwand und den Ehrgeiz einschränkten, wodurch verordnet wurde, nicht mehr als hundert Aß zu einer Mahlzeit zu verwenden, und auch nicht mehr als eine einzige Henne aufzutragen, und zwar eine ungemästete, wodurch ein Patrizier, weil er zehn Pfund Silbergeschirr gehabt hatte, aus dem Senate ausgestoßen wurde, weil man darin einen großen Schuldtitel des Ehrgeizes erblickte, wonach die Theater, die entstanden, um die Sitten zu korrumpieren, sogleich zerstört wurden, und welche nicht gestatteten, die Abzeichen von Würden und Adel sich vermessen und ungestraft anzumaßen? Denn ich finde, daß diese Hunderter-Gastmähler jetzt diese Benennung bekommen müßten nach den S. 56/402 Hunderttausenden von Sesterzen, und daß das Silbermetall zu großen Schüsseln verarbeitet wird nicht für Senatoren -- das wäre noch nichts --, sondern für Freigelassene oder sogar für solche, auf denen noch Peitschen zerschlagen werden1. Ich sehe auch, was die Theater anlangt, daß nicht einmal mehr eins oder unbedeckte genügen. Für die Spiele also, damit die schamlose Lust von der Winterkälte nicht leide, haben die Lazedämo-nier zuerst den Gebrauch der schwerfälligen Mäntel erfunden2. Ich sehe auch, daß zwischen ehrbaren Matronen und Dirnen kein Unterschied mehr in der Kleidung geblieben ist. In Betreff der Frauen sind auch jene Anordnungen der Vorfahren, wodurch die Sittsamkeit und Mäßigkeit geschützt wurde, gefallen, indem nämlich keine Gold kannte, außer für einen einzigen Finger, den der Bräutigam sich mit dem Trauring verpfändete, und indem die Weiber sich bis zu dem Grade des Weines enthielten, daß eine Matrone wegen Öffnung der Behälter im Weinkeller von den Ihrigen durch Hunger getötet wurde. Unter Romulus aber wurde eine, die den Wein angerührt hatte, von ihrem Ehemann Metennius ungestraft umgebracht. Daher mußten sie auch ihre Verwandten mit einem Kusse begrüßen, damit man sie nach dem Atem beurteilen könne. Wo ist jenes, sicher nur aus der Sittlichkeit erblühte Glück der Ehen, daß fast sechshundert Jahre hindurch, von Gründung der Stadt Rom an, keine Frau einen Scheidebrief schrieb? Jetzt hingegen ist bei den Weibern kein Glied von Gold unbelastet und von Weingeruch kein Kuß frei, die Scheidung aber ist bereits Gegenstand der Wünsche, gleichsam wie eine natürliche Folge der Ehe. Auch hinsichtlich eurer Götter selbst habt ihr, was eure Väter mit Bedacht dekretiert hatten, aufgehoben, ihr gehorsamen Leute. Den Vater Liber mit seinen Mysterien hatten die Konsuln auf Senatsgutachten nicht bloß aus der Stadt Rom, sondern sogar aus ganz Italien verbannt. Den S. 57/403 Serapis, die Isis und den Arpokrates mit seinem Hundskopf, die nicht auf das Kapitol gebracht werden durften, d. h. aus der Ratsversammlung der Götter ausgeschlossen waren, haben die Konsuln Piso und Gabinius -- sicher keine Christen -- sogar nach Zerstörung ihrer Altäre entfernt, um die aus schändlichem und müßigem Aberglauben hervorgehenden Laster zu verhindern. Diese habt ihr wieder eingesetzt und ihnen die höchste Majestät verliehen. Wo ist die Pietät, wo die Verehrung, die ihr den Vorfahren schuldig seid? In Kleidung, Lebensweise, Hauseinrichtung, Sinnesart, selbst in der Sprache habt ihr euch von den Vorvätern losgesagt. Ihr lobt immer das Altertum, lebt aber Tag für Tag auf eine neue Weise. Daraus geht hervor, daß ihr, indem ihr von den guten Einrichtungen der Vorfahren abweichet, das beibehaltet und bewahret, was ihr nicht solltet3, da ihr das nicht bewahrt, was ihr solltet. Und selbst, was den Punkt betrifft, den ihr als von den Vätern überkommen am treuesten zu beobachten scheint und worin ihr vorzugsweise die Christen als Übertreter bezeichnet, den Eifer in der Verehrung der Götter, worin das Altertum gerade am meisten geirrt hat, so wird er von euch, wie ich seines Ortes zeigen will, gänzlich verachtet und vernachlässigt und gegen das Ansehen der Vorfahren zerstört, obwohl ihr dem nunmehr römisch gewordenen Serapis seine Altäre wieder aufgerichtet habt, und obwohl ihr dem nunmehr italienischen Bacchus eure Raserei opfert. Denn nunmehr beabsichtige ich auf jene bekannte beschimpfende Anklage wegen der geheimen Verbrechen zu antworten, um mir den Weg zu jenen freizumachen, welche mehr der Öffentlichkeit angehören4.
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d. i. für Sklaven. ↩
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Der Satz enthält eine scharfe Ironie. Das in P vor „ne“ stehende „nam“ ist falsch und zu streichen; ebenso ist sicher mit F „odium penulae“ nicht mit P „penulam“ zu lesen, vgl. Rauschen, 91 f. ↩
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nämlich den Kult der falschen Götter. ↩
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Die Erörterung über die „auctoritas legum“ ist abgeschlossen„ und T. geht zur eigentlichen Abhandlung über, vgl. cap. 4. ↩