1. Einleitung zu dem Teil des Werkes, welcher Ursprung und Ende der zwei Staaten, des himmlischen und des weltlichen, behandeln soll.
Band 16, S. 587 Wir sprechen von einem Gottesstaat1; dazu berechtigt uns das Zeugnis der Schrift, jener Schrift, die nicht durch zufälligen Eindruck auf die Gemüter, sondern geradezu kraft Anordnung der höchsten Vorsehung mehr als alles übrige Schrifttum welchen Volkes immer die Menschengeister jeder Richtung durch die sie auszeichnende göttliche Autorität in ihrem Banne hält. Dort nämlich steht geschrieben2: „Herrliches ist gesagt von dir, Stadt Gottes“; und in einem andern Psalm lesen wir3: „Groß ist der Herr und überaus preiswürdig Band 16, S. 585in der Stadt unseres Gottes, auf seinem heiligen Berge, er, der Frohlocken verbreitet auf der ganzen Erde“. Und weiter unten in demselben Psalme: „Wie wir gehört, so sahen wir auch an der Stadt des Herrn der Heerscharen, an der Stadt unseres Gottes: Gott hat sie auf ewig gegründet“; ebenso in einem anderen4: „Des Flusses Andrang erfreut die Stadt Gottes; geheiligt hat sein Zelt der Höchste; Gott ist in seiner Mitte, es wird nicht erschüttert werden“. Aus diesen und ähnlichen Zeugnissen, die alle anzuführen viel zu weit ginge, ersehen wir, daß es etwas wie einen Gottesstaat gibt, und der Wunsch, darin Bürger zu sein, regt sich in uns kraft des Verlangens, das uns sein Gründer eingeflößt hat. Diesem Gründer des heiligen Staates ziehen die Bürger des Weltstaates ihre Götter vor; denn sie wissen nicht, daß er der Gott der Götter ist, nicht der falschen Götter, d. h. der verruchten und hochmütigen, welche, fern von seinem unwandelbaren und allen gemeinsamen Lichte und deshalb auf eine armselige Macht eingeschränkt, sozusagen ihre Sonderherrschaft aufrichten und von betrogenen Anhängern göttliche Ehren heischen; sondern Gott über die frommen und heiligen Götter, die ihre Freude daran haben, dem Einen Untertan zu sein und ihn zu verehren, nicht aber daran, sich die Menge Untertan zu machen und an Gottes Stelle sich verehren zu lassen. Indes diesen Feinden des heiligen Staates haben wir in den zehn vorhergehenden Büchern nach Kräften mit Hilfe unseres Herrn und Königs Rede gestanden. Jetzt aber werde ich — ich weiß wohl, was man von mir nunmehr zu erwarten berechtigt ist und bin mir meiner Pflicht bewußt — die Erörterung über Ursprung, Entwicklung und verdienten Ausgang der beiden Staaten, des weltlichen und des himmlischen, die, wie erwähnt, in dieser Zeitlichkeit vorläufig ineinander gleichsam verflochten und vermengt sind, nach Maßgabe meiner Kraft, immer im Vertrauen auf den Beistand eben dieses unseres Herrn und Königs in Angriff nehmen und zuerst davon handeln, wie Anfänge dieser beiden Staaten in der Verschiedenheit der Engel vorausgegangen sind.
-
Civitas im Sinne des griechischen polij = Stadtstaat, weshalb in der Übersetzung zwischen den Ausdrücken Staat und Stadt je nach dem Zusammenhang gewechselt wird. Vgl. übrigens Heinr. Scholz, Glaube und Unglaube in der Weltgeschichte. Ein Kommentar zu Augustins De civitate Dei (Leipzig 1911), 84 86. ↩
-
Ps. 86, 3. ↩
-
Ebd. 47, 2. 3. 9. ↩
-
Ps. 45, 5 f. ↩