6. Kapitel. Zurückweisung dieser Anschauung.
S. 132 6. Nicht also deshalb lehnen wir diese Anschauung ab, weil wir die Vorstellung scheuen, daß die heilige, unverletzliche und unwandelbare Liebe gleichsam die Gattin Gottes des Vaters ist, die von ihm ihr Dasein hat, nicht freilich wie sein Sproß, damit er mit ihr das Wort zeuge, durch das alles geworden ist;1 wir lehnen sie vielmehr ab, weil sie die Schrift offenkundig als falsch erweist. Gott sagte nämlich: „Laßt uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis“;2 ein wenig später aber heißt es: „Und es schuf Gott den Menschen nach dem Bilde Gottes.“3 „Unser“ würde es, da es eine Mehrzahl besagt, sicherlich nicht mit Recht heißen, wenn der Mensch nach dem Bilde einer einzigen Person geschaffen würde, sei es nach der Person des Vaters oder nach jener des Sohnes oder nach jener des Heiligen Geistes. Vielmehr heißt es „nach unserem Bilde“, weil er nach dem Bilde der Dreieinigkeit geschaffen wurde. Damit wir hinwieder nicht meinen, man dürfe bei der Dreieinigkeit an drei Götter glauben, während doch eben diese Dreieinigkeit der eine Gott ist, heißt es: „Und es schuf Gott den Menschen nach dem Bilde Gottes“, gerade so wie wenn es hieße: nach seinem Bilde.
7. Solche Ausdrucksweisen sind in den heiligen Büchern üblich. Einige jedoch geben, auch wenn sie den katholischen Glauben für sich in Anspruch nehmen, so wenig sorgfältig auf sie acht, daß sie das Wort: „Gott schuf nach dem Bilde Gottes“ so verstehen, als ob es hieße: Es schuf der Vater nach dem Bilde des Sohnes;4 sie wollen damit behaupten, daß in der Heiligen Schrift Gott auch der Sohn heißt, gleich als ob andere, ganz wahre und klare Zeugnisse fehlten, in denen der Sohn S. 133 nicht nur Gott, sondern auch wahrer Gott heißt. Indem sie nämlich mit diesem Schriftzeugnis einige Schwierigkeiten zu lösen sich anstrengen, verwickeln sie sich so sehr in andere, daß sie keinen Ausweg mehr haben. Wenn nämlich der Vater nach dem Bilde des Sohnes schuf, so daß der Mensch nicht Bild des Vaters, sondern nur des Sohnes ist, dann ist der Sohn dem Vater unähnlich. Wenn aber der fromme Glaube lehrt, wie er tatsächlich lehrt, daß der Sohn bis zur Gleichheit des Wesens dem Vater ähnlich ist, dann muß, was nach der Ähnlichkeit des Sohnes geschaffen ist, auch nach der Ähnlichkeit des Vaters geschaffen sein. Ferner wenn der Vater den Menschen nicht nach seinem, sondern nach des Sohnes Bild schuf, warum sagt er dann nicht: Lasset uns den Menschen machen nach deinem Bilde und Gleichnisse, sondern: nach unserem? Doch nur deshalb, weil das Bild der Dreieinigkeit im Menschen entstand, damit auf diese Weise der Mensch das Bild des einen, wahren Gottes sei; die Dreieinigkeit ist ja selbst der eine wahre Gott. Es gibt aber zahllose derartige Aussprüche in der Schrift. Die angeführten mögen genügen. In den Psalmen heißt es so: „Des Herrn ist das Heil, und in deinem Volke ist dein Preis“,5 gleich als ob zu einem anderen gesprochen würde, nicht mit dem, von dem es hieß: „Des Herrn ist das Heil.“ Und wiederum heißt es: „Von dir werde ich der Prüfung entrissen, und auf meinen Gott hoffend, überschreite ich die Mauer“,6 gleich als ob zu einem anderen gesagt würde: „Von dir werde ich der Prüfung entrissen.“ Und wiederum: „Völker fallen unter dir, im Herzen der Königsfeinde“,7 wie wenn es hieße: Im Herzen deiner Feinde. Eben zum Könige, das heißt zu unserem Herrn Jesus Christus, hatte er ja gesagt: „Völker fallen vor S. 134 dir.“ Dieser König ist zu verstehen, wenn es heißt: „im Herzen der Königsfeinde“. Seltener findet man solche Ausdrucksweise in den Schriften des Neuen Testamentes. Aber im Briefe an die Römer spricht der Apostel „von seinem Sohne, der dem Fleische nach aus dem Geschlechte Davids stammte, der vorherbestimmt ist als Sohn Gottes in Macht, gemäß dem Geiste der Heiligung auf Grund der Totenauferstehung unseres Herrn Jesus Christus“,8 gleich als hätte er anfangs von einem anderen gesprochen. Was ist nämlich der Sohn Gottes, der vorherbestimmt wurde auf Grund der Totenauferstehung unseres Herrn Jesus Christus, anderes als eben dieser Jesus Christus, der als Sohn Gottes in Macht vorherbestimmt wurde? Wie wir also, wenn wir hören: „der Sohn Gottes in der Kraft Jesu Christi“, oder: „der Sohn Gottes gemäß dem Geiste der Heiligung Jesu Christi“, oder: „der Sohn Gottes auf Grund der Totenauferstehung Jesu Christi“, während er doch in gebräuchlicher Weise hätte sagen können: in seiner Kraft, oder: gemäß dem Geiste seiner Heiligung, oder: auf Grund seiner Auferstehung von den Toten, wie wir da nicht gezwungen sind, an eine andere Person zu denken, sondern an ein und dieselbe, nämlich an die Person des Sohnes Gottes, unseres Herrn Jesu Christi, so sind wir, wenn wir hören: „Gott schuf den Menschen nach dem Bilde Gottes“, obgleich in gebräuchlicherer Weise gesagt werden könnte: nach seinem Bilde, doch nicht gezwungen, an eine andere Person in der Dreieinigkeit zu denken, sondern an ein und dieselbe Dreieinigkeit, die der eine Gott ist und nach deren Bild der Mensch erschaffen ist, müssen wir denken.
8. Wenn es anders wäre, wenn wir nämlich eben das Bild der Dreieinigkeit nicht in einem, sondern bloß in drei Menschen annehmen, in Vater, Mutter und Sohn, so war also der Mensch, bevor er eine Gattin hatte und bevor sie einen Sohn zeugten, nicht nach dem Bilde S. 135 Gottes geschaffen, weil es noch keine Dreiheit war. Oder will etwa jemand sagen: Es war schon eine Dreiheit, wenn auch noch nicht in fertiger Gestalt, so doch ursprunghaft durch die Natur; die Frau war ja schon in der Seite des Mannes und der Sohn in den Lenden des Vaters? Warum fuhr dann die Schrift, als sie gesagt hatte: „Gott schuf den Menschen nach dem Bilde Gottes“, fort: „Gott schuf ihn, als Mann und Frau schuf er sie und segnete sie?“9 Vielleicht muß man auch so abteilen: „Und Gott schuf den Menschen“, dann ginge es weiter: „Nach dem Bilde Gottes schuf er ihn“, und dann käme die dritte Beifügung: „Als Mann und Frau schuf er sie“; manche scheuten sich nämlich zu sagen: als Mann und Frau schuf er ihn, damit man nicht gleichsam an eine Art Ungetüm denke, wie es die sogenannten Mannweiber sind; man könnte aber auch so ohne Künstelei verstehen, daß von beiden die Einzahl gebraucht wird, es heißt ja: „zwei in einem Fleische“;10 warum also ― so begann ich vorhin zu fragen ― erwähnt die Schrift, wo sie von der nach dem Bilde Gottes geschaffenen menschlichen Natur spricht, außer Mann und Frau nichts weiter? Zur Vollendung des Bildes der Dreieinigkeit hätte sie doch auch den Sohn hinzufügen müssen, wenngleich er noch in den Lenden des Vaters ruhte wie die Frau in seiner Seite. Oder war etwa die Frau schon geschaffen, und hat die Schrift nur in kurzer Rede zusammengefaßt, wovon sie nachher sorgfältiger erklärte, wie es geschah, und hat deshalb der Sohn nicht erwähnt werden können, weil er noch nicht geboren war? Als ob der Heilige Geist dies nicht auch kurz zusammenfassend hätte darstellen können, um nachher am gehörigen Ort von der Geburt des Sohnes zu erzählen, wie er von der Erschaffung des Weibes aus der Seite des Mannes nachher an der gehörigen Stelle erzählte und doch nicht unterließ, das Weib hier zu nennen.
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Joh. 1, 3. ↩
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Gen. 1, 26. ↩
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Gen. 1, 27. ↩
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Vgl. zu dieser von Augustinus in seiner früheren schriftstellerischen Tätigkeit gleichfalls vertretenen Anschauung Bd. 1, Einleitung S. XXXXIV. ↩
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Ps. 3, 9 [hebr. Ps. 3, 9]. ↩
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Ps. 17, 30 [hebr. Ps. 18, 30]. ↩
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Ps. 44, 6 [hebr. Ps. 45, 6]. Augustinus liest: populi sub te cadent in corde (nicht corda) inimicorum regis. Vgl. seine Erklärung zu Ps. 44, 6 [hebr. Ps. 45, 6]. ↩
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Röm. 1, 3 f. ↩
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Gen. 1, 27 f. ↩
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Gen. 2, 24. ↩