5. Kapitel. Fortsetzung.
8. Oder kann es uns vielleicht aus dieser Verlegenheit heraushelfen, daß wir, wie wir vorhin sagten, daß manche das glückliche Leben darein verlegen, woran sie sich besonders ergötzten, wie Epikur in die Lust, Zeno in die Tugend, andere wieder in etwas anderes, nun sagen, daß glücklich leben nichts anderes ist als nach dem Ergötzen leben, und daß es daher keine falsche Behauptung ist, daß alle glücklich leben wollen, weil alle so leben wollen, wie es jeden ergötzt? Denn wenn dies dem Volke im Theater gesagt worden wäre, dann würden auch dies alle in ihren Willensrichtungen entdecken. Aber auch das hat Cicero, als er sich mit dem gegnerischen Standpunkt auseinandersetzte, so zurückgewiesen, daß diejenigen, welche es hören, erröten müssen. Er sagt nämlich: „Siehe, nicht zwar die Philosophen, wohl aber die zum Wechselgespräch Bereiten sagen, daß alle glücklich sind, die so leben, wie sie wollen“; das ist das gleiche, was wir so ausdrückten: wie es jeden ergötzt. Sogleich aber fügt jener hinzu: „Das ist freilich falsch. Wollen nämlich, was sich nicht ziemt, ist in sich selbst etwas ganz Elendes. Nicht aber ist es so elend, wenn man nicht erlangt, was man will, wie wenn man erlangen will, was sich nicht gehört.“ Ganz ausgezeichnet und richtig. Denn wer sollte so blind sein im Geiste und von jedem Blick für Würde so verlassen und so in die Finsternis der Würdelosigkeit verwickelt, daß er denjenigen, der nichtswürdig lebt und schändlich, dem niemand Einhalt gebietet, den niemand straft, ja den nicht einmal jemand zu tadeln wagt, und obendrein noch viele loben, — die Schrift sagt ja: „Gelobt wird der Sünder in den Lüsten seiner Seele, und wer S. 172 Unrechtes treibt, wird gepriesen“1 — und der so alle verbrecherischen und schändlichen Wünsche seines Willens verwirklicht, daß er einen solchen deshalb glücklich nennt, weil er lebt, wie er will, während er in Wirklichkeit, wenngleich er auch so elend wäre, doch weniger elend wäre, wenn er nichts von dem, was er verkehrterweise wünscht, haben könnte? Auch schon durch den bösen Willen allein wird man nämlich unglücklich; aber unglücklicher wird man durch die Macht, in der man das Verlangen des bösen Willens ausführen kann. Da es sonach wahr ist, daß alle Menschen glücklich sein wollen und mit glühendster Liebe dieses eine anstreben und um dieses einen willen alles übrige, was immer es sei, anstreben, und da niemand lieben kann, was er nach Wesen und Beschaffenheit ganz und gar nicht kennt, und da er notwendigerweise wissen muß, was das sei, von dem er weiß, daß er es will, so folgt, daß alle das glückliche Leben kennen. Alle Glücklichen aber besitzen, was sie wollen, wenngleich nicht alle, die besitzen, was sie wollen, sogleich schon glücklich sind. Unglücklich aber sind sogleich jene, die entweder nicht haben, was sie wollen, oder haben, was sie nicht in rechter Weise wollen. Glücklich ist also nur jener, der hat, was er will, und der nichts mit bösem Sinne will.
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Ps. 9, 3 [hebr. Ps. 9, 3]. ↩