Einleitung
S. a275 Als Cassian, im Jahre 416 sammt seinen Genossen von den Pelagianern aus dem Kloster zu Bethlehem vertrieben, sich nach Marseille in Gallien gewendet und dort zwei große Klöster gegründet hatte, wollte er diese seine Gründung auch geistig möglichst festigen und schrieb deßhalb zur Belehrung und Erbauung seiner Mönche und Nonnen, sowie auf Andringen des Bischofs Castor und für dessen neue Klöster Dasjenige auf, was er früher auf weiten Reifen und in langjährigem Umgange mit den berühmtesten Einsiedlern und Mönchen Ägyptens gehört und gelernt, überdacht und geübt hatte. War Dieß in dem vorhergehenden Büchlein von den „Einrichtungen der Klöster“ für den mehr äussern und vorbereitenden Theil des mönchischen Lebens geschehen, so sollte in der bei weitem größern und wichtigeren Schrift „Unterredungen mit den Vätern“ (collationes Patrum) das eigentliche und innere Ringen und Streben des geistlichen Lebens gezeigt werden.
Sieben Jahre hatte Cassian in den Klöstern der scythischen oder scetischen Wüste Ägyptens gelebt und gelernt, hatte die Eremiten der Thebais besucht und berathen und auch unter den Mönchen des jenseitigen Ägyptens seine S. a276 Erfahrungen bereichert. So theilt er denn auch den reichen gesammelten Schatz in drei Abschnitte, deren erster zehn Unterredungen mit Vätern der scythischen Wüste, 1 der zweite sieben mit den Eremiten der Thebais, und der dritte die letzten sieben mit den Vätern des jenseitigen Ägyptens enthält.
Die erste Unterredung des ersten Abschnittes, gehalten mit dem Abte Moyses, handelt von der Absicht und dem Ziele des Mönches; die zweite, gleichfalls mit Moyses, von der Klugheit; die dritte mit Abt Paphnutius von den drei Entsagungen; die vierte mit Abt Daniel von der Begierlichkeit des Fleisches und des Geistes; die fünfte mit Abt Serapion von den acht Hauptlastern; die sechste mit Abt Theodor, warum Gott dulde, daß die Heiligen von den Gottlosen verfolgt und getödtet werden; die siebente mit Abt Serenus von der Veränderlichkeit der Seele und der Bosheit der Dämonen; die achte mit demselben Serenus über die Herrschaften oder Mächte (der Finsterniß); die neunte mit Abt Isaak vom Gebete; die zehnte mit demselben Isaak wieder vom Gebete.
Nun folgt die zweite Reibe der Unterredungen, und zwar die erste (die eilfte im Ganzen) mit dem Abte Chäremon über die Vollkommenheit, die zweite mit demselben Chäremon über die Keuschheit, die dritte (die fatale dreizehnte) über den Schutz Gottes, die vierte mit Abt Nesteros über die geistliche Wissenschaft; die fünfte mit demselben über die göttlichen Gnadengaben (gratiae gratis datae, hier besonders die Gabe, Kranke zu heilen und andere Wunder zu wirken); die sechste mit Abt Joseph über die Freundschaft; die siebte mit demselben über Bestimmungen und Versprechungen für die Zukunft. — In der dritten und letzten Serie handelt die erste Unterredung mit Abt Piam- S. a277 mon von den drei Arten der Mönche und einer vierten, neu entstandenen; die zweite mit Abt Johannes über das Ziel des Mönches und Einsiedlers; die dritte mit Abt Pinufius über das Ziel der Buße und die Genugthuung; die vierte mit Abt Theonas über die Unterlassung (des Fastens) in den fünfzig Tagen (von Ostern bis Pfingsten); die fünfte mit demselben von den nächtlichen Bethörungen (Befleckungen); die sechste mit demselben über das Wort des Apostels: „Denn ich thue nicht das Gute, das ich will, — sondern ich thue das Böse, das ich nicht will;“ die siebente mit dem Abte Abraham über die Abtödtung.
Das sind nun diese 24 hoch berühmten Unterredungen voll der reichsten Erfahrung und Seelenkenntniß, voll ächter Frömmigkeit und erleuchteter Mystik, die deßhalb schon im Alterthume, besonders aber im Mittelalter und noch in den nächstfolgenden Jahrhunderten im höchsten Ansehen standen. Wohl enthalten sie leider an mehreren Stellen, besonders in der dreizehnten Collation, irrthümliche Anschauungen über die Gnadenlehre, die nur zu sehr gegen Augustinus sich an Pelagius anlehnen und beim Gebrauche des Buches Vorsicht nöthig machen; aber wir werden gleich aus den Aussprüchen der berühmtesten Männer ersehen, wie wenig Dieß dem Gesammtwerthe der Schrift und ihrem Ansehen Eintrag gethan hat. So sagt unter Andern schon der große hl. Benedikt, der die Collationen selbst eifrig las und ihre stete Lektüre seinen Mönchen als Regel vorschrieb: „Die Unterredungen der Väter etc. … was sind sie anders, als Muster- und Tugendmittel fromm lebender, gehorsamer Mönche?“ Der hl. Fulgentius wurde durch sie so begeistert, daß er selbst die Reise nach Ägypten zu machen beschloß. — Der berühmte Cassiodor empfiehlt sie gleichfalls seinen Mönchen, und im Leben des hl. Dominikus lesen wir, daß er fleissig diese Unterredungen studirte und daraus die Reinheit des Herzens, den Weg der Beschauung und die Vollkommenheit in allen Tugenden erlernte.
S. a278 Der hl. Thomas von Aquin, um nur die wichtigsten Autoritäten anzuführen, pflegte durch die stets wiederholte Lektüre dieser Schrift Cassians sich von seiner hohen Spekulation zu erholen und für die Beschauung zu erwärmen, um Scholastik und Mystik zu vereinen. Sehr häufig citirt er das Buch in seiner theologischen Summe. Der berühmte Theologe Dionys der Karthäuser, welcher Cassian sehr hoch schätzte und anpries, schrieb eine Paraphrase und suchte die irrigen Stellen möglichst katholisch zu deuten. Wie die Väter des Jesuitenordens von Cassian dachten, ersehen wir daraus, daß ihn der hl. Ignatius selbst eifrig las, sowie aus dem Lobe Maldonats und des Platus, eines der größten Geisteslehrer der Jesuiten, der es als allgemein bekannt voraussetzte, „welche Vollkommenheit in den Schriften Cassians enthalten sei“. Aber auch noch im siebzehnten Jahrhundert zeigt uns der tüchtige Commentator Cassians, Alardus Gazäus, ein Benediktiner, wie hoch jener alte Schriftsteller selbst zu dieser Zeit noch in Ehren stand. Nicht nur, daß ihn Gazäus selbst mit den höchsten Lobsprüchen überhäuft, sondern er berichtet uns auch, wie sehr ihn sein Prälat Philipp Caverelli, der ihn zur Abfassung der Commentare bewog, schätzte, so daß er ihn nicht nur selbst unablässig studirte, sondern auch bei seinen Untergebenen und sonst nach Kräften die Kenntniß desselben förderte. Welcher Beweis ferner für die damals noch verbreitete Hochschätzung Cassians muß es uns sein, wenn wir sehen, daß die Ausgabe des Gazäus, die gewiß nicht sehr billig war, schon nach zwölf Jahren eine zweite Auflage erforderte, obwohl wenige Jahre vorher auch die Ausgabe von Cuyk und darauf die von Ciaconius erschienen war! Es mochte also damals doch einigermaßen noch sein wie im Mittelalter, wo die Collationen von Cassian die gewöhnliche geistliche Lesung in den Klöstern bildeten. Möchten sie auch heut zu Tage wieder die Beachtung und Verbreitung finden, welche sie verdienen!
Was die Schreibweise betrifft, so kommen die Fehler derselben, nemlich die Breite der Darstellung und die ge- S. a279 waltsam gestreckte Länge der Perioden in dieser Schrift, wo Cassian durch keinen so konkreten Gegenstand gebunden, freiere Hand hatte, wohl noch mehr vor als in der vorigen. Davon blieben manche Proben zur Kenntnißnahme des Lesers stehen; meist aber suchte die Übersetzung abzuhelfen, wenigstens was den Bau der Perioden betrifft.
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Nur die ersten zehn Unterredungen, nicht aber alle 24, wie oft irrig angegeben wird, sind mit den Vätern der scythischen Wüste gehalten. ↩