Vorwort des Priesters Johann Cassian zu den Büchern über die Menschwerdung Christi gegen den Häretiker Nestorius. An Leo, den Bischof der Stadt Rom.
S. 433 Als ich vor einiger Zeit die Bücher der geistlichen Unterredungen fertig gemacht hatte, die mehr durch den Inhalt als die Darstellung sich auszeichnen, weil ja unser ungeübtes Wort den hohen Gedanken der hl. Männer nicht gewachsen war: da hatte ich gedacht und fast beschlossen, nach dieser Beschämung meiner bloßgestellten Unfähigkeit mich so in den Hafen des Stillschweigens zurückzuziehen, daß, so viel auf mich ankäme, die kühne Redseligkeit entschuldigt wäre durch schüchternes Schweigen. Aber du hast mit lobenswerthem Eifer und deinem mir so gebieterischen Wunsche meinen Vorsatz und Entschluß besiegt, o mein verehrungswürdiger Leo, zu dem ich in Liebe aufschaue, du Zierde der römischen Kirche und des göttlichen Amtes! S. 434 Du führst mich aus dem Zufluchtsorte des vorgenommenen Schweigens wieder heraus vor das öffentliche Urtheil, das so zu scheuen ist, zwingst mich, Neues zu unternehmen, während noch wegen des Vergangenen sich die Wange röthet, und obwohl ich dem Geringern nicht gewachsen war, treibst du mich an, mit der größern Aufgabe mich zu messen. Ich hätte ja nicht einmal in jenen Schriftchen, in welchen ich mit den Gaben meines kleinen Geistes dem Herrn ein Opfer brachte, Etwas zu unternehmen oder mir herauszunehmen versucht, wenn nicht bischöflicher Befehl mich gezogen hätte. Nun aber soll durch dich meine Rede und Darstellung sich zu größerer Würde erheben; denn während wir vorher nach Befehl über göttliche Bestrebungen sprachen, verlangst du nun, daß wir über die Menschwerdung und Majestät des Herrn selbst reden. So dringen wir nun unter deiner Führung und Hilfe in das Allerheiligste ein, da wir vorher nur wie von Priesterhand in das Heiligthum des Tempels geleitet wurden. Groß ist die Ehre, aber gefährlich der Fortschritt, weil die Palme des heiligen Geheimnisses und des göttlichen Siegeslohnes nicht erlangt werden kann, es sei denn der Feind überwunden. Du verlangst und befiehlst also, ich solle mit meiner schwachen Hand gegen die eben entstandene Häresie und gegen den neuen Feind des Glaubens kämpfen; ich solle gegen den furchtbaren Hauch der pestbringenden Schlange mit offenem Munde, wie man sagt, Stand halten, damit nämlich den Drachen, der in krummen Zügen in die Kirchen Gottes einbrechen will, gleichsam durch meine Beschwörung die Kraft der Propheten und die göttliche Macht des evangelischen Wortes treffe. Ich entspreche deinem Drängen, ich gehorche deinem Befehle; denn ich will in Betreff Meiner lieber dir als mir glauben, besonders weil Jenes zugleich mit dir auch die Liebe meines Herrn Jesu Christi verlangt, der zu Ebendemselben auch dich antreibt. Es erübrigt nur, daß du den Erfolg der befohlenen Arbeit auch von Jenem erflehest, durch welchen du sie geboten hast. Denn es handelt sich hier mehr um deine Angelegenheit als um die meine, S. 435 und dein Urtheil ist mehr in Gefahr als meine Leistung. Für mich ist ja, ich mag nun deinem Auftrage gewachsen sein oder nicht, immerhin der Gehorsam und die Demuth einiger Entschuldigungsgrund, wenn nicht in meinem Gehorsam noch um so mehr Verdienst liegt, je geringer mein Vermögen ist; denn wir genügen leicht irgend einem Befehle im Überflusse der Kraft; aber Jener leistet Großes und Bewundernswerthes, welcher selbst für Das noch Bereitwilligkeit hat, wofür er die Kraft nicht hat. Also dein ist diese Angelegenheit, dein dieß Geschäft, du mußt dabei in Scham kommen; bitte und flehe, daß nicht durch meine Unfähigkeit deine Wahl eine gefährliche werde und so, wenn ich einer so hohen Meinung nicht entspreche, auf dich der Schein falle, in unüberlegtem Urtheil schlecht befohlen zu haben, während ich, dem der Gehorsam zu gute kommt, trefflich gehorcht hätte.