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S. 1 Die römische Provinz Syrien umfaßte die Gebiete von Antiocheia bis hinunter nach Jerusalem. Die Christengemeinden dieser beiden Städte waren auch die Träger der Tradition der christlichen Abendmahlsübung. Verrät uns Lukas, der Verfasser der Apostelgeschichte und Evangelist, daß die Christen in Jerusalem zum Brotbrechen zusammenkamen, um die Speise in Freude und Einfalt des Herzens zu genießen (Act. 2, 42, 45— 47a)1, und weiß Papst Klemens von Rom in seinem (ersten) Korintherbriefe2 ums Jahr 96 von einem Opferritus zu Jerusalem, den von Gott eingesetzte Liturgen vornehmen, zu berichten (c. 41,1), so gibt der Apostelschüler und Martyrer Ignatius von Antiocheia in seinen Briefen uns Kunde, daß die Eucharistie, deren Kernpunkt das Fleisch des Herrn3 war, wie es gelitten hat, unter dem Vorsitz des Bischofs gefeiert wurde. Die Teilnehmer genossen dabei Leib und Blut des Herrn, als Heilmittel der Unsterblichkeit4.
War hier die Idee des Opfers charakterisiert, so tritt in andern syrischen Quellen der Gebetskomplex, mit dem der Liturge das Mahl umgab, uns entgegen. Die zwei Kapitel der Didache5, dieses frühesten „Katechismus“, c. 9 und 10 zeigen, wie eng die christliche Sprache an jüdische Formulare sich anschloß, und wie weit sie doch in den bezeichneten Momenten davon abweicht. Darüber dürfte doch kein Streit mehr entstehen, daß gewisse jüdische Gebete, wie sie bei den Sabbatmahlen zur Verwendung kamen, in den christlichen Formeln verarbeitet sind. Und auch darüber scheint man einig zu sein, daß das Kapitel 9 Gebete zu einer christlichen Agape und daß Kapitel 10 ähnliche Gebete mit einer höheren Weihe der dargereichten Speise und des Trankes enthält. Was liegt näher, als beide Mahle in der Weise in Verbindung zu bringen, daß zuerst eine Agape nach Analogie des jüdischen Sabbatmahles S. 2 gefeiert wurde, an die sich nach reichlichem Genusse das eucharistische Mahl, zu dem Brot und Wein zurückgelegt wurde, anschloß. Nicht allein das Vorbild des Herrn, der ja auch das Passah nach jüdischer Art feierte und diese Gelegenheit benützte, um damit sein Gedächtnismahl zu verbinden, sondern auch die in Ägypten bis ins 4. und 5. Jahrhundert übliche Verbindung beider Mahle an den Sabbaten läßt eine solche Interpretation uns wahrscheinlich erscheinen. Gab dieses Gebetsrituale dem weniger begabten Liturgen die sprachliche Fassung an die Hand — die Propheten (Geistbegabten) konnten eigene Gebete sprechen: Did. 10, 7 — so gibt eine andere Stelle (c. 14,1) die Bedeutung des Herrnmahles am Sonntag an: „Wenn ihr euch am Sonntage des Herrn versammelt, so brechet Brot, feiert unter Dankgebeten das Mahl, bekennet vorher eure Vergehen, damit euer Opfer rein sei“, worauf Malach. 1, 11 zitiert wird.
Ein halbes Jahrhundert später, um die Mitte des zweiten Jahrhunderts finden wir bereits eine feststehende Gruppierung von Gebeten, deren Kern die Rezitation der Abendmahlsworte ausmacht. Es dürfte verwundern, daß damit der Bericht Justins6 in seiner ersten Apologie an den Kaiser und Senat (c. 65, 66, 67) zum Bereiche syrischer liturgischer Denkmäler gerechnet wird. Glaubte man bisher in diesen Kapiteln Zeugen ausschließlich römischer Liturgie erblicken zu dürfen, so scheint doch die ehemalige Heimat des späteren christlichen Philosophen und Märtyrers, Sichem (Flavia Neapolis) in Palästina, der dann wahrscheinlich in Ephesus zum Christentum übertrat, ferner die damals so ziemlich einheitliche Liturgie — wie wir aus der Übereinstimmung der Messe des liturgischen Papyrus mit dem Berichte Justins schließen können – uns die Berechtigung zu geben, auch in Syrien eine gleichmäßige Entwicklung annehmen zu dürfen.
Zwar ist c. 65 eine Beschreibung der Messe, an welcher die Neugetauften zum erstenmal teilnehmen durften, allein der Nachtrag in c. 67, welcher vom sonntäglichen Gottesdienst handelt, läßt uns unschwer erkennen, welche Bestandteile bereits feste Form S. 3 angenommen haben, und welche nur akzidentell sind. Zudem bietet c. 67 insoferne mehr, als da auch der Wortgottesdienst ausführlich beschrieben ist, der bei der Taufmesse nicht mitgeteilt ist.
Nur am Sonntag wurden für alle Anwesende von Stadt und Land (c. 67) vom Vorleser neutestamentliche oder alttestamentliche Stücke verlesen, welche dann vom Vorsteher mit einer Homilie und Nutzanwendung kommentiert wurden. Dann steht alles auf und verrichtet das Bittgebet; über den weiteren Ritus verweist Justin auf die soeben gegebene Beschreibung der Taufmesse.
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(5.) s. Derselbe [Th. Schermann], Das Brotbrechen im Urchristentum, Biblische Zeitschrift VIII 1909, 164, 167, 169 f. Ephr. Baumgartner, Eucharistie und Agape im Urchristentum, Solothurn 1909. ↩
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(6.) s. Philologus LXIX S. 393. ↩
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(7.) ebenda [Philologus LXIX], Philologus 395. ↩
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(8.) Th. Schermann, Zur Erklärung der epist. ad Ephes. 20, 2 s. Theologische Quartalschrift Tübingen 1910, 13 ff. ↩
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(9.) Derselbe, [Th. Schermann] Die Gebete in Didache Kap. 9 und 10, Festschr. für AI. Knöpfler, Veröffentlichungen aus dem Kirchenhist. Seminar München III. Reihe, Nr. 1 1906, 225—239; Ephr. Baumgartner, Eucharistie a. a. O. S. 271 ff.; H. Lietzmann, Liturgische Texte I: Zur Geschichte der oriental. Taufe und Messe im 2. und 4. Jahrh. Bonn, 2. Ausgabe 1907, S. 4.; G. Klein, Die Gebete in der Didache, Zeitschr. f. neutest. Wissensch. und die Kunde des Urchristent. IX 1908, 132—147; G. Rauschen, Florilegium patristicum fasc. VII. Monumenta eucharistica et liturgica vetustissima 1909; J. P. Bock, in Zeitschr. f. kath. Theologie 1909, 417 ff., 669 ff.; s. Philologus LXIX S. 390 ff. ↩
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(10.) Ausgaben s. bei Lietzmann, Liturgische Texte I a. a. O. [ Zur Geschichte der oriental. Taufe und Messe im 2. und 4. Jahrh. Bonn, 2. Ausgabe 1907] und Gerh. Rauschen, Floril. patrist. VII a. a. O. [ Monumenta eucharistica et liturgica vetustissima 1909]. Zur Frage einer einheitlichen Liturgie um c. 150 s. Rietschel, Lehrbuch der Liturgik I 1900, 252 ff. Drews, Götting. Gelehrten-Anzeigen 1906, 773. ↩