• Start
  • Werke
  • Einführung Anleitung Mitarbeit Sponsoren / Mitarbeiter Copyrights Kontakt Impressum
Bibliothek der Kirchenväter
Suche
DE EN FR
Werke Thomas von Aquin (1225-1274) Summa Theologiae

Übersetzung ausblenden
Summe der Theologie

Elfter Artikel. Gott erkennt die einzelnen Dinge als einzelne.

a) Dies scheint gegen die Vollkommenheit der göttlichen Vernunft zu sein. Denn: I. Die göttliche Vernunft ist einfacher und vom Stoffe weiter entfernt wie die unsrige. Die letztere aber erkennt das Einzelne nicht als solches auf Grund ih«er Stofflosigkeit; vielmehr „ist der Gegenstand der Vernunft“ nach Aristoteles (2. de anima) „das Allgemeine, der Gegenstand der Sinne das Einzelne als solches“. Also erkennt noch weniger Gott das Einzelne als solches. II. Nur jene Kräfte in uns richten sich auf das Einzelne als solches, welche in sich solche Formen aufnehmen, die von den stofflichen Existenzbedingungen, wie Zeit, Ort, Umsang, nicht losgelöst sind. Das Lichtbild z. B. steht zusammen mit diesen stofflichen Bedingungen im Auge. Gott aber ist auf der höchsten Stufe der Stofflosigkeit. Also nimmt Er solche Formen nicht in Sich auf und erkennt somit nicht das Einzelne. III. Kenntnis geschieht auf Grund einer Ähnlichkeit. Eine Ähnlichkeit aber zwischen Gott und dem Einzelnen als Einzelnem scheint in Gott nicht angenommen werden zu dürfen; da das Princip des Einzelnen der Stoff und somit nur reines Vermögen ist, um etwas zu werden, zwischen welchem und der reinen Thatsächlichkeit, wie sie in Gott ist, offenbar keine Ähnlichkeit besteht. Auf der anderen Seite heißt es prov. 16, 2. „Alle Wege der Menschen liegen offen vor seinen Augen.“

b) Ich antworte, daß Gott Einzelnes erkennt. Alle Volllommenheiten nämlich, die in den Geschöpfen vorgefunden werden, sind in Gott von vornherein vorhanden und zwar in einer höheren Seinsweise. Einzelnes erkennen gehört aber zu dem, was wir an Vollkommenheit in uns besitzen. AIso muß notwendigerweise Gott das Einzelne erkennen. So betrachtet es auch Aristoteles für unzukömmlich, daß etwas von uns erkannt werde, was Gott seinerseits nicht erkenne; und er argumentiert gegen Empedocles, daß Gott ja höchst unwissend sein müsse, nenn er die Zwietracht nicht kännte. Jene Vollkommenheiten jedoch, welche in den niedrigen Seinsarten geteilt existieren, sind in Gott in höchster Einheit und Einfachheit vorhanden und aus diesem Grunde erkennt Gott sowohl das Einzelne als auch das Allgemeine vermittelst seiner in höchster Einfachheit bestehenden Vernunft, während wir durch ein anderes Vermögen das Allgemeine und vom Stoffe Losgelöste und durch ein anderes das Einzelne im Stoffe Befindliche erkennen. Auf welche Weise jedoch diese im höchsten Grade einfache Erkenntnisweise rücksichtlich des Einzelnen in Gott zu denken sei, das wollten einige Gelehrte darthun und meinten, daß Gott das Einzelne erkennt auf Grund und vermittelst des Erkennens der allgemeinen Ursachen. Denn in keinem Einzelnen findet sich etwas vor, was nicht von einer allgemeinen Ursache herrührte. Zum Beispiel: Wenn ein Astronom alle Bewegungen der Himmelskörper mathematisch wüßte, so könnte er vorhererkennen alle zukünftigen Sonnenfinsternisse. Das genügt jedoch in keiner Weise. Denn die Formen und Vollkommenheiten, welche das Einzelne vermittelst der allgemeinen Ursachen erhält, mögen wie auch immer miteinander verbunden werden; sie werden nicht zu etwas Einzelnem, wenn nicht der Stoff sie dazu macht. Wer sonach den Sokrates erkannte dadurch, daß derselbe weiß ist oder des Sophroniskus Sohn oder was auch sonst anstatt dessen genommen wird, der würde ihn nicht erkennen, insofern Solrates dieser (einzelne) Mensch ist. In der eben angegebenen Weise würde also Gott das Einzelne nicht kraft und in dessen Einzelnheit, nicht eben als Einzelnes erkennen. Andere noch behaupteten, daß Gott das Einzelne erkenne dadurch, daß Er allgemeine Ursachen für besondere einzelne Wirkungen gebrauche. Das ist aber nun gar nichts. Denn niemand kann etwas zu irgend welcher besonderen Wirkung gebrauchen oder auf eine solche anwenden, wenn er diese letztere nicht vorherkennt. Ein solcher Gebrauch oder eine solche Anwendung kann also kein Grund sein, Einzelnes oder Besonderes zu erkennen; sondern setzt vielmehr die Erkenntnis des Einzelnen voraus. So muß denn diese Kenntnis anders erklärt werden. Da nämlich Gott die Ursache der Dinge kraft und vermittelst seines Wissens ist, so erstreckt sich so weit das göttliche Wissen, als sich erstreckt seine verursachende Kraft. Da nun die thätige verursachende Kraft Gottes sich nicht nur auf die Formen erstreckt, welche den Grund abgeben für das Allgemeine, sondern auch auf den Stoff, der den Grund abgiebt für das Besondere, Einzelne; so erscheint es notwendig, daß das Wissen Gottes sich bis auf das Einzelne erstreckt, da dieses eben erst durch den Stoff ein Einzelnes wird. Denn da Gott kraft seines Wesens Anderes als Er selbst ist erkennt, inwiefern dieses Wesen nämlich als das bewirkende Princip alles anderen Seins dessen Ähnlichkeit ist, erscheint es unbedingt erfordert, daß das Wesen Gottes das vollauf hinreichende Princip für die Kenntnis alles dessen ist, was durch dasselbe geschieht; nicht nur gemäß den allgemeinen Formen, sondern auch gerade insoweit das Einzelne als Einzelnes erwogen wird. Das Wissen des Künstlers könnte hier als Beispiel benützt werden, wenn durch dasselbe das Kunstwerk seinem ganzen Sein nach hervorgebracht würde und nicht bloß die demselben gegebene Form.

c) I. Unsere Vernunft löst die Erkenntnisform oder die allgemeine Idee von allen Einzelheiten und deren Principien los. Es kann da also keine Ähnlichkeit bestehen zwischen unserer Vernunft, resp. deren vom Stoffe losgelöster Erkenntnisform, und den Einzelheiten oder deren Principien. Deshalb erkennt unsere Vernunft nicht die Principien des Einzelnen in den Dingen; denn sie kann nur erkennen, soweit ihre Erkenntnisform reicht, vermittelst deren sie thatsächlich erkennt; — und diese Erkenntnisform ist nur deshalb eine solche, weil sie die Principien des Einzelnen, das suppositum als innere Möglichkeit für das Einzelne, von sich ausschließt. Die Erkenntnisform Gottes aber ist nicht deshalb stofflos, weil sie vom Stoffe absieht; sondern aus und durch sich selbst. Sie ist das Princip aller Principien im Seienden, mögen diese die Gattung begründen oder das Einzelsein; durch sie, also durch sein Wesen, erkennt Er als wirkendes Princip alles Einzelne. II. Dasselbe gilt als Antwort auf den zweiten Einwand. Stoffliche Seinsbedingungen hat die Erkenntnisform Gottes nicht; aber ihre wirkende Kraft erstreckt sich auf Stoffliches und Stoffloses. III. Insoweit der Urstoff etwas werden kann, hat Er dies von Gott und ist Ihm danach ähnlich.

Edition ausblenden
Summa theologiae

Articulus 11

Iª q. 14 a. 11 arg. 1

Ad undecimum sic proceditur. Videtur quod Deus non cognoscat singularia. Intellectus enim divinus immaterialior est quam intellectus humanus. Sed intellectus humanus, propter suam immaterialitatem, non cognoscit singularia, sed, sicut dicitur in II de anima, ratio est universalium, sensus vero singularium. Ergo Deus non cognoscit singularia.

Iª q. 14 a. 11 arg. 2

Praeterea, illae solae virtutes in nobis sunt singularium cognoscitivae, quae recipiunt species non abstractas a materialibus conditionibus. Sed res in Deo sunt maxime abstractae ab omni materialitate. Ergo Deus non cognoscit singularia.

Iª q. 14 a. 11 arg. 3

Praeterea, omnis cognitio est per aliquam similitudinem. Sed similitudo singularium, inquantum sunt singularia, non videtur esse in Deo, quia principium singularitatis est materia, quae, cum sit ens in potentia tantum, omnino est dissimilis Deo, qui est actus purus. Non ergo Deus potest cognoscere singularia.

Iª q. 14 a. 11 s. c.

Sed contra est quod dicitur, Proverb. XVI, omnes viae hominum patent oculis eius.

Iª q. 14 a. 11 co.

Respondeo dicendum quod Deus cognoscit singularia. Omnes enim perfectiones in creaturis inventae, in Deo praeexistunt secundum altiorem modum, ut ex dictis patet. Cognoscere autem singularia pertinet ad perfectionem nostram. Unde necesse est quod Deus singularia cognoscat. Nam et philosophus pro inconvenienti habet, quod aliquid cognoscatur a nobis, quod non cognoscatur a Deo. Unde contra Empedoclem arguit, in I de anima et in III Metaphys., quod accideret Deum esse insipientissimum, si discordiam ignoraret. Sed perfectiones quae in inferioribus dividuntur, in Deo simpliciter et unite existunt. Unde, licet nos per aliam potentiam cognoscamus universalia et immaterialia, et per aliam singularia et materialia; Deus tamen per suum simplicem intellectum utraque cognoscit. Sed qualiter hoc esse possit, quidam manifestare volentes, dixerunt quod Deus cognoscit singularia per causas universales, nam nihil est in aliquo singularium, quod non ex aliqua causa oriatur universali. Et ponunt exemplum, sicut si aliquis astrologus cognosceret omnes motus universales caeli, posset praenuntiare omnes eclipses futuras. Sed istud non sufficit. Quia singularia ex causis universalibus sortiuntur quasdam formas et virtutes, quae, quantumcumque ad invicem coniungantur, non individuantur nisi per materiam individualem. Unde qui cognosceret Socratem per hoc quod est albus vel Sophronisci filius, vel quidquid aliud sic dicatur, non cognosceret ipsum inquantum est hic homo. Unde secundum modum praedictum, Deus non cognosceret singularia in sua singularitate. Alii vero dixerunt quod Deus cognoscit singularia, applicando causas universales ad particulares effectus. Sed hoc nihil est. Quia nullus potest applicare aliquid ad alterum, nisi illud praecognoscat, unde dicta applicatio non potest esse ratio cognoscendi particularia, sed cognitionem singularium praesupponit. Et ideo aliter dicendum est, quod, cum Deus sit causa rerum per suam scientiam, ut dictum est, intantum se extendit scientia Dei, inquantum se extendit eius causalitas. Unde, cum virtus activa Dei se extendat non solum ad formas, a quibus accipitur ratio universalis, sed etiam usque ad materiam, ut infra ostendetur; necesse est quod scientia Dei usque ad singularia se extendat, quae per materiam individuantur. Cum enim sciat alia a se per essentiam suam, inquantum est similitudo rerum velut principium activum earum, necesse est quod essentia sua sit principium sufficiens cognoscendi omnia quae per ipsum fiunt, non solum in universali, sed etiam in singulari. Et esset simile de scientia artificis, si esset productiva totius rei, et non formae tantum.

Iª q. 14 a. 11 ad 1

Ad primum ergo dicendum quod intellectus noster speciem intelligibilem abstrahit a principiis individuantibus, unde species intelligibilis nostri intellectus non potest esse similitudo principiorum individualium. Et propter hoc, intellectus noster singularia non cognoscit. Sed species intelligibilis divini intellectus, quae est Dei essentia, non est immaterialis per abstractionem, sed per seipsam, principium existens omnium principiorum quae intrant rei compositionem, sive sint principia speciei, sive principia individui. Unde per eam Deus cognoscit non solum universalia, sed etiam singularia.

Iª q. 14 a. 11 ad 2

Ad secundum dicendum quod, quamvis species intellectus divini secundum esse suum non habeat conditiones materiales, sicut species receptae in imaginatione et sensu; tamen virtute se extendit ad immaterialia et materialia, ut dictum est.

Iª q. 14 a. 11 ad 3

Ad tertium dicendum quod materia, licet recedat a Dei similitudine secundum suam potentialitatem, tamen inquantum vel sic esse habet, similitudinem quandam retinet divini esse.

  Drucken   Fehler melden
  • Text anzeigen
  • Bibliographische Angabe
  • Scans dieser Version
Editionen dieses Werks
Summa theologiae
Übersetzungen dieses Werks
Summe der Theologie

Inhaltsangabe

Theologische Fakultät, Patristik und Geschichte der alten Kirche
Miséricorde, Av. Europe 20, CH 1700 Fribourg

© 2025 Gregor Emmenegger
Impressum
Datenschutzerklärung