Erster Artikel. Das Gute allein ist Ursache der Liebe.
a) Dagegen wird: I. Auch das Übel geliebt nach Ps. 10.: „Wer die Bosheit liebt, haßt seine Seele.“ Also nicht immer ist das Gute Ursache der Liebe. II. Aristoteles schreibt (2 Rhet. 4.): „Wir lieben jene, die das Böse, was sie gethan, eingestehen.“ Also ist das Böse auch die Ursache der Liebe. III. Dionysius (4. de div. nom.) sagt: „Nicht nur das Gute, sondern auch das Schöne ist allen liebwert.“ Auf der anderen Seite sagt Augustin (8. de Trin. 3.): „Jedenfalls wird nichts geliebt als das Gute.“
b) Ich antworte, daß die Liebe sich auf das Begehrungsvermögen bezieht, welches eine leidende, den Eindruck aufnehmende Kraft ist. Der Gegenstand desselben also steht im Verhältnisse zu diesem Vermögen wie die Ursache der Bewegung oder der Thätigkeit desselben. Das Nämliche ist somit eigentlich Ursache der Liebe, was ihr Gegenstand ist. Nun ist der eigenste Gegenstand der Liebe das Gute. Denn die Liebe schließt ein, wie bereits gesagt, ein gewisses Wohlgefallen und einen gewissen Zusammenhang in der Natur zwischen dem Liebenden und dem geliebten Gute; für ein Jegliches aber erscheint das als gut was seiner Natur angemessen ist und in einem bestimmten Verhältnisse zu ihr steht. Also folgt, daß eben das Gute die eigenste Ursache der Liebe ist.
c) I. Das Böse wird niemals geliebt außer auf Grund des Guten, soweit es nämlich thatsächlich nur in gewisser Beziehung ein Gut ist und trotzdem aufgefaßt wird als ein Gut schlechthin. Auf diese Weise giebt es eine schlechte Liebe vermittelst deren man nach dem schlechthin strebt, was nicht ohne Bedingung und Voraussetzung ein wahres Gut schlechthin ist. So also „liebt der Mensch die Bosheit“; insofern man durch die Bosheit ein gewisses Gut erreicht, z. B. ein Ergötzen oder etwas Geld und Ähnliches, was aber kein Gut schlechthin ist. II. Die da ihre Übel eingestehen, werden nicht wegen dieser Übel geliebt, sondern weil sie dieselben eingestehen. Denn sie eingestehen, ist gut; es schließt die Heuchelei aus. III. „Schön“ ist der thatsächlichen Wirklichkeit nach dasselbe wie „gut“; nur in der Auffassung besteht da ein Unterschied. Denn da das Gute von Allem erstrebt wird, ist „gut“ seinem Wesen nach das, worin die Begehrkraft oder der Wille ruht. Zum Wesen des Schönen aber gehört es, daß in seinem Anblicke oder in seiner Kenntnis das Begehren ruht; so daß jene Sinne vorzugsweise auf das Schöne sich richten, die an erster Stelle dem Erkennen gewidmet sind, nämlich das Gehör und das Gesicht, insoweitsie der Vernunft dienen; schön nennen wir das schöne Sichtbare und schöne Töne. In den sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen der anderen Sinne aber bedienen wir uns nicht des Namens der Schönheit, denn wir sagen nicht „schöne Düfte oder schönes Wohlschmeckende.“ So also fügt offenbar das „Schöne“ zum „Guten“ hinzu eine gewisse Beziehung zu den Erkenntnisvermögen; so daß „gut“ heißt was dem Begehren gefällt; „schön“ das, dessen Auffassung selber gefällt.