Fünfter Artikel. Das Plötzliche wird mehr gefürchtet.
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. Wie die Hoffnung sich zum Guten verhält, so die Furcht zum Übel. Die Erfahrung aber trägt zur Stärkung der Hoffnung bei. Also vermehrt sie auch die Furcht. II. Aristoteles (2 Rhet. 5.) sagt: „Mehr werden gefürchtet, die mild und sanftmütig sind wie die in plötzlichen Zorn geraten.“ Letztere aber haben natürlich ebenso plötzliche Bewegungen, wie sie Zorn haben. Also das Plötzliche wird weniger gefürchtet. III. Was plötzlich kommt, kann nicht so in Erwägung gezogen werden. Desto mehr aber wird ein Übel gefürchtet, je mehr es in Erwägung gezogen wird; weshalb Aristoteles (3 Ethic. 8.) sagt: „Einige erscheinen tapfer, weil sie in Unkenntnis sind; wüßten sie, daß etwas Anderes bevorsteht als was sie mutmaßen, so würden sie fliehen.“ Also Plötzliches wird weniger gefürchtet. Auf der anderen Seite sagt Augustin (2. Conf. 6.): „Die Furcht hat zum Gegenstande Ungewöhnliches und Plötzliches; den Dingen, die man liebt, Entgegengesetztes; und sie sorgt für Sicherheit.“
b) Ich antworte, der Gegenstand der Furcht sei ein drohendes Übel, dem man nicht mit Leichtigkeit widerstehen kann. Das aber kommt von Zwei Seiten her: von der Größe des Übels und von der Schwäche des Fürchtenden. Nach beiden Seiten hin nun trägt bei zur Vermehrung der Furcht das Plötzliche und Ungewohnte. Denn alle körperlichen Übel erscheinen erstens als desto geringere, je mehr und tiefer sie erwogen werden; deshalb wird durch die Länge der Zeit ein Schmerz leichter zu ertragen (Cicero 3 Tuscul.); und vermittelst der vorgehenden Überlegung mindert sich die Furcht vor dem zukünftigen Übel. Sodann trägt das Plötzliche und Unvorhergesehene bei zur Schwächung des Fürchtenden; denn es entzieht die Heilmittel, welche der Fürchtende hätte vorbereiten können zur Abwehr gegen das Übel.
c) I. Die Hoffnung hat zum Gegenstande das, was der Mensch erlangen kann. Was also die Macht des Menschen vermehrt, das erhöht die Hoffnung und vermindert aus dem gleichen Grunde die Furcht; insofern diese auf ein Übel sich richtet, welches mit Leichtigkeit nicht vermieden werdenkann. Die Erfahrung macht den Menschen geeigneter zum Handeln; also vermehrt sie die Hoffnung und mindert die Furcht. II. Wer einen heftigen Zorn hat, verbirgt ihn nicht. Und deshalb ist der Schaden, den der betreffende Zornige macht, nicht so plötzlich; denn man kennt ihn vorher und kann sich davor hüten. Die stillen und schlauen Menschen aber verbergen den Zorn; also kommt von ihnen der Schaden in mehr unvorgesehener Weise. III. Die körperlichen Übel und Güter erscheinen als größere im Anfange. Denn Jedwedes erscheint um so mehr, je unmittelbarer es seinem Gegensatze gegenübersteht; wie wenn jemand plötzlich aus einem Armen ein Reicher wird, er mehr sich freut, weil er vorher arm gewesen; und im Gegenteil der Reiche, der plötzlich arm wird, hat mehr Schrecken davor. Deshalb also wird ein plötzlich einbrechendes Übel mehr gefürchtet; denn es erscheint mehr als Übel. Nebensächlich aber kann es geschehen, daß die Größe eines Übels verborgen ist; wie wenn z. B. die Feinde sich im Hinterhalt verbergen; — und dann wird infolge näheren Zuschauens das Übel größer.