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Werke Thomas von Aquin (1225-1274) Summa Theologiae Summe der Theologie
Prima Pars Secundae Partis
Quaestio 65

Erster Artikel. Die moralischen Tugenden sind untereinander verknüpft.

a) Dies scheint nicht notwendig der Fall zu sein. Denn: I. Die moralischen Tugenden werden von unseren Thätigkeiten aus verursacht. Der Mensch aber kann sich üben in der einen Tugend, ohne daß er sich damit übt in der anderen. Also eine moralische Tugend kann bestehen ohne die andere. II. Prachtliebe und Großherzigkeit sind zwei Tugenden. „Der Arme aber“ heißt es 4 Ethic. 2. „kann nicht prachtliebend sein;“ und „jener, der auf Kleinigkeiten halt und da seine Würde findet, ist wohl gemäßigt, aber nicht großherzig.“ Solche können aber andere Tugenden haben. Also besteht kein Band zwischen den moralischen Tugenden. III. Wie die moralischen Tugenden den begehrenden Teil, so vollenden die in der Vernunft den vernünftigen auffassenden Teil. Diese letzteren aber sind nicht miteinander verknüpft; denn jemand kann gut eine Wissenschaft haben und nicht die anderen. Also sind es auch nicht die ersteren. IV. Sind die moralischen Tugenden miteinander verbunden, so sind sie dies nur in der Klugheit. Dies aber genügt nicht. Denn es kann jemand ganz wohl klug in der einen Art Wirksamkeit sein, der es nicht für die andere Art ist. Also kann auch jemand ganz wohl klug für eine Tugend sein und nicht für die andere. Auf der anderen Seite sagt Ambrosius sup. Luc. cap. 6. Beati paup.: „Verbunden und miteinander verkettet sind die Tugenden, so daß wer eine hat, sogleich damit mehrere zu haben scheint.“ Augustin ebenso (6. de Trin. 4.): Die Tugenden in der menschlichen Seele trennen sich nicht voneinander;“ und Gregor (22. morali. 1.): „Die eine Tugend ohne die anderen ist entweder keine oder eine sehr unvollkommene.“ Cicero desgleichen (2. Tuscul.): „Wenn du bekennst, daß du eine Tugend nicht hast, so ist damit notwendig verbunden, daß du keine hast.“

b) Ich antworte, man könne die Tugenden betrachten als unvollkommene oder als vollkommene. In der ersten Bestandsweise sind sie nur Hinneigungen zu irgend einem Werke, das da von sich aus gut ist, sei es daß diese Hinneigung von Natur ist oder erworben von uns. Und so sind die Tugenden nicht miteinander verbunden, sehen wir doch den einen von Natur, infolge der körperlichen Komplexion nämlich, angelegt zur Freigebigkeit z. B. und nicht zur Keuschheit. Die vollkommene Tugend aber ist ein Zustand, der dazu hinneigt, ein gutes Werk gut zu vollbringen; und nach dieser Auffassung sind, wie beinahe alle zugestehen, die Tugenden untereinander verbunden. Dafür besteht ein doppelter Grund. 1. Einige fassen die Kardinaltugenden als allgemeine Eigenschaften der Tugend auf. Nach ihnen ist die Klugheit die Richtung auf den Zweck, die Gerechtigkeit die Geradheit in der Wahl der Mittel, die Mäßigkeit die Beobachtung der Regeln und Gleichförmigkeit mit selben, die Stärke eine gewisse Festigkeit des Geistes. Und danach sind offenbar die Tugenden verbunden, denn die Festigkeit verdient nicht, als Tugend gelobt zu werden, wenn sie nicht maßvoll, geraden Sinnes und zweckgemäß ist. Und das berührt Gregor (22. mor. 1.): „Sind die Tugenden voneinander getrennt, so sind sie nach dem Wesen der Tugend nicht vollkommen; denn die Klugheit ist keine wahre Klugheit, wenn sie nicht gerecht, maßvoll, stark ist etc.“ Ähnlich Augustin (6. de Trin. 4.) 2. Andere aber unterscheiden diese Tugenden gemäß den entsprechenden Materien. Danach nun kann (vgl. Arist. 6 Ethic. ult.) keine moralische Tugend bestehen ohne die Klugheit; denn es ist der moralischen Tugend als einem dem Auswählen geltenden Zustande eigen, die rechte Auswahl zu treffen. Dazu aber genügt nicht, daß man die Hinneigung hat zum gebührenden Zwecke, sondern man muß auch wählen können, was dem Zwecke dient; und dies Letztere geschieht vermittelst der Klugheit, welche rät, urteilt und vorschreibt rücksichtlich alles dessen, was dem Zwecke dient. Und ähnlich kann die Klugheit nicht bestehen ohne die moralischen Tugenden; denn sie ist „die rechte Richtschnur dessen, was man wirkt“; und das Wirken geht aus wie von seinen Principien, von den Zwecken, zu denen man sich gebührend verhält kraft der moralischen Tugenden. Wie also eine spekulative Wissenschaft nicht möglich ist ohne die Principien, von denen sie ausgeht, so ist Klugheit nicht möglich ohne die moralischen Tugenden. Also sind alle Tugenden miteinander verbunden.

c) I. Nach mancher Seite hin vollenden die moralischen Tugenden den Menschen mit Rücksicht auf Alles das, was im gesamten Leben als Gegenstand des Wirkens vorkommt. Und so muß der Mensch in allen diesen Tugenden nach dieser Seite hin sich üben. Wenn er nun wirklich in der Materie all dieser Tugenden sich übt vermittelst des guten Wirkens, so wird er den Zustand aller solcher Tugenden erlangen. Übt er aber sich nur darin z. B. daß er den Zorn zügelt, nicht aber rücksichtlich der sinnlichen Begierden, so wird er den dem erstgenannten Wirken entsprechenden Zustand erhalten, der jedoch den Mangel an Klugheit haben wird, infolge welchen Mangels er sich den Begierden zügellos überläßt; und so wird dies keine vollendete Tugend sein, da die Klugheit nicht gebührend vorhanden ist. Manche Tugenden aber vollenden den Menschen gemäß einem gewissen hohen Stande, den er einnimmt; wie die Prachtliebe und Großherzigkeit. Und weil im gemeinen Leben die Materie dieser Tugenden nicht entgegentritt, so kann jemand wohl die anderen Tugenden besitzen ohne diese; sobald es sich eben nur um die durch die Thätigkeiten erworbene Tugenden handelt. Trotzdem hat er auch diese dann einem gewissen Vermögen nach. Denn wenn jemand durch seine mehrfach wiederholte Thätigkeit die Tugend der Freigebigkeit erlangt rücksichtlich kleiner Geschenke und Gefälligkeiten, so wird er, wenn er ein großes Vermögen bekommt, durch geringe Thätigkeit auch die Tugend der Großherzigkeit und Prachtliebe erwerben; wie der geübte Mathematiker vermittelst geringer Mühe die Wissenschaft einer diesbezüglichen Schlußfolge gewinnen wird, die er noch nie beachtet hatte: „Wo aber wenig fehlt, das wird für nichts erachtet“ heißt es 2 Physic. II. Ist damit beantwortet. III. Die Gegenstände der Tugenden in der Vernunft sind nicht in geregelter Beziehung zu einander, wie das bei den Wissenschaften und Künsten deutlich hervortritt. Deshalb findet sich in ihnen nicht jene Verbindung, die den moralischen Tugenden zukommt; letztere beschäftigen sich ja mit Thätigkeiten und Leidenschaften, die offenbar miteinander verknüpft sind. Denn alle Leidenschaften gehen von der Liebe aus und enden in Ergötzen oder Trauer. Und ähnlich haben die Thätigkeiten Beziehung zu einander und zu den Leidenschaften. Die ganze Materie zudem, mit der die moralischen Tugenden sich befassen, fällt unter den einen Gesichtspunkt der Klugheit. Jedoch haben auch alle erkennbaren Dinge als solche gewisse Beziehungen zu den ersten Principien und hängen deshalb ab vom „Verständnis der allgemeinen Grundprincipien“, wie die Klugheit von den moralischen Tugenden; vgl. oben. Die allgemeinen Principien aber hängen nicht ab von den Schlußfolgerungen, welche berücksichtigt werden von den anderen Tugenden in der Vernunft; wie die moralischen Tugenden abhängen von der Klugheit, insofern das Begehren in einem gewissen Sinne in Bewegung setzt die Vernunft und diese das Begehren; wie Kap. 9, Art. 1 u. Kap. 58, Art. 5 ad 1. gesagt worden. IV. Die moralischen Tugenden verhalten sich mit Rücksicht auf den verschiedenen Zweck, zu dem sie hinneigen, zur Klugheit wie Principien; die Kunstwerke aber verhalten sich nicht so zur Kunst, sondern nur wie deren Materie oder Gegenstand. Offenbar aber kann wohl die Vernunft richtig sein bezüglich eines Gegenstandes und falsch bezüglich eines anderen; jedoch kann sie auf keine Weise recht sein, wenn ihr irgend ein Princip mangelt. So z. B. wenn jemand irrte in diesem Princip: „Das Ganze ist größer als sein Teil“, so könnte er in keiner Weise die geometrische Wissenschaft besitzen, weil er in den Folgerungen viel von der Wahrheit abweichen würde. Gerade die Zwecke aber, zu welchen die moralischen Tugenden hinneigen, sind Principien für die Schlußfolgerungen der Klugheit; und diese Zwecke sind zu einander in lebendiger Wechselbeziehung; — fehlt da also etwas, so fehlt der Klugheit in ihren Principien etwas; und somit weichen auch ihre Schlußfolgerungen von der gewollten Regel ab. Das aber ist bei den Erzeugnissen der Kunst nicht der Fall.

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