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Werke Thomas von Aquin (1225-1274) Summa Theologiae Summe der Theologie
Prima Pars Secundae Partis
Quaestio 72

Neunter Artikel. Die Umstände und die Verschiedenheit in der Gattung der Sünden.

a) Die Umstände scheinen verschiedene Gattungen von Lastern und Sünden zu begründen. Denn: I. „Das Übel kommt von jedem einzelnen Mangel“ nach Dionysius. (4. de div. nom.) Einzelne Mängel aber rühren von der Verkehrtheit der einzelnen Umstände her. Solche Verkehrtheit also in einem Umstande ist die Ursache für die Verschiedenheit in der Gattung der Sünden. II. Die menschlichen Handlungen erhalten zuweilen ihr Gattungswesen von den Umständen her (Kap. 18, Art. 10); also ist das auch bei den Sünden der Fall. III. Die verschiedenen Gattungen Gaumenlust werden bezeichnet nach folgenden Eigenheiten: „Voreilig, zu viel, heißhungrig, wählerisch, zu sorgfältig.“ Das sind aber verschiedene Umstände. Denn voreilig heißt „bevor die Zeit da ist;“ zu viel, „mehr als man benötigt“ etc. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (3 Ethic. 7.): „Jede einzelne Gattung der Laster sündigt, indem sie mehr thut als notwendig ist; oder dann handelt, wann es nicht erforderlich ist und ähnlich gemäß den anderen Umständen.“ Also danach bestimmen sich nicht die verschiedenen Gattungen der Sünden.

b) Ich antworte; wo ein verschiedener Beweggrund besteht, da ergiebt sich auch eine verschiedene Gattung Sünde; denn der Beweggrund für die Sünde ist der Zweck und der Gegenstand. Nun ist in der Verkehrtheit verschiedener Umstände zuweilen der gleiche Beweggrund; wie der Geizige es von demselben Beweggrunde her hat, daß er nimmt, wann es nicht sein soll und wo es nicht sein soll und mehr als er soll etc. Überall ist da der nämliche Beweggrund: die ungeregelte Sucht nach Geld. Bei solchen Sünden also verändert die Verkehrtheit der Umstände nicht die Gattungen der Sünden, sondern da gehört dies Alles zu einer einzigen Gattung Sünde. Bisweilen aber kommt die Verkehrtheit der verschiedenen Umstände von verschiedenen Beweggründen her. Daß z. B. jemand „vor der Zeit“ ißt, kann von daher kommen, weil er den Aufschub der Nahrung wegen der allzu leichten Verdauung des feuchten Elementes nicht ertragen kann; und daß er „zu viel“ Speise begehrt, kann darin seinen Grund haben, daß seine Natur kräftig ist, um viel Nahrung in die eigene Substanz zu verwandeln; und daß er „fein zubereitete“ Speisen begehrt, geschieht auf Grund des Begehrens nach der in der Speise befindlichen Ergötzung. Auf diese Weise nun kann die Verkehrtheit in den Umständen verschiedene Gattungen in der Sünde hervorbringen.

c) I. Das Übel ist allerdings ein Mangel; und deshalb wird darin ein Unterschied in der Gattung hergestellt gemäß den Dingen, deren es ermangelt, wie das auch bei den übrigen Arten Mangel der Fall ist. Die Sünde aber hat nicht ihre Gattung unmittelbar und positiv von seiten des Mangels oder der Abwendung vom letzten Endzwecke her, sondern von seiten der Zuwendung zum Gegenstande der Thätigkeit. II. Nur wenn ein anderer Beweggrund damit verbunden ist, begründet ein Umstand die Änderung in der Gattung des Thätigseins. III. Es herrschen da verschiedene Beweggründe vor.

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