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Werke Thomas von Aquin (1225-1274) Summa Theologiae Summe der Theologie
Prima Pars Secundae Partis
Quaestio 94

Dritter Artikel. Alle Tugendakte gehören zum Naturgesetze.

a) Dies scheint nicht. Denn: I. Zum Wesen des Gesetzes gehört es, daß es auf das Gemeinbeste sich richtet. Viele Tugendakte aber, wie z. B. die der Mäßigkeit, haben zum Gegenstande das Privatbeste des einzelnen. Also fallen sie nicht unter das Naturgesetz. II. Alle Sünden stehen gegenüber einzelnen Tugendakten. Sind also alle Tugendakte zum Naturgesetze gehörig, so sind alle Sünden gegen die Natur; was falsch ist. III. In der Natur kommen alle überein; nicht aber in dem, was die Tugend angeht. Denn was für den einen etwas Tugendhaftes ist, das ist für den anderen ein Fehler. Also gehören nicht alle Tugendakte zum Naturgesetze. Auf der anderen Seite sagt Damascenus (3. de orth. fide 4.): „Die Tugenden entsprechen der Natur.“

b) Ich antworte, die Tugendakte seien einmal etwas Tugendhaftes; und dann einzelnen bestimmten Gattungen zugehörig. Im ersten Sinne aufgefaßt gehören alle Tugendakte dem Gesetze der Natur an. Denn dazu gehört, wie Art. 2 gesagt worden, Alles, wozu der Mensch hingeneigt ist kraft seiner Natur. Jegliches Wesen aber neigt hin zu dem, was ihm entspricht gemäß seiner Form, und es verlangt, danach thätig zu sein; wie das Feuer z. B. verlangt, warm zu machen. Da also die vernünftige Seele die dem Menschen eigens entsprechende Wesensform ist, so wohnt jedem Menschen von Natur die Neigung inne, daß er nach der Vernunft handle; was nichts Anderes ist als tugendhaft handeln. Die eigene Vernunft somit ordnet für jeden Menschen naturgemäß an, daß er tugendhaft handle und demgemäß sind alle Tugendakte zum Naturgesetze gehörig. Sprechen wir im zweiten Sinne von den Tugendakten, so sind nicht alle dem Naturgesetze zugehörig. Denn Vieles geschieht gemäß der Tugend, wozu nicht in erster Linie die Vernunft hinneigt; sondern die Vernunft hat dies nur erforscht als nützlich, um gut zu leben.

c) I. Das Essen und Trinken u. s. w. hat Beziehung zum allgemeinen Besten der menschlichen Natur. II. Wird als „Natur des Menschen“ bezeichnet jene, die dem Menschen eigens zukommt, so sind danach alle Sünden auch gegen diese Natur, nach Damascenus I. c. 1.; — oder jene, die der Mensch mit den Tieren gemeinsam hat, so sind einzelne Sünden speciell gegen die Natur; — wie die geschlechtliche Verbindung von Mann und Mann, die gegen die Natur ist; weil nach der Natur Mann und Frau zur Fortpflanzung der Gattung sich verbinden. III. Dieser Einwurf betrifft die einzelnen Tugendakte in ihren einzelnen Gattungen und Arten. So ist manchmal die eine Gattung Tugendakte für den einen zukömmlich, für den anderen fehlerhaft; weil sie wohl zu dem einen im gebührenden Verhältnisse stehen, nicht aber zum anderen.

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