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Werke Thomas von Aquin (1225-1274) Summa Theologiae Summe der Theologie
Secunda Pars Secundae Partis
Quaestio 67

Vierter Artikel. Der Richter kann nicht dem schuldigen die Strafe nachlassen.

a) Dies kann erlaubterweise der Richter. Denn: I. Jakob. 2. heißt es: „Ein Gericht ohne Barmherzigkeit wird ergehen über jenen, der nicht Barmherzigkeit geübt hat.“ Keiner aber wird bestraft für das, was er nicht gethan, weil er es nicht durfte thun. Also darf der Richter die Strafe nachlassen. II. „Gott will nicht den Tod des Sünders.“ (Ezech. 18.) Also soll auch die menschliche Gerechtigkeit dem reuigen die Strafe nachlassen. III. Was keinem schadet, manchem aber nützt, kann jeder thun. Die Strafe nachlassen aber schadet keinem und nützt diesem anderen. Also. Auf der anderen Seite heißt es Deut. 13.: „Es soll seiner (des Sünders, der zur Abgötterei verführt) dein Auge nicht schonen, daß du Erbarmen habest und ihn verbergest; sogleich sollst du ihn töten;“ und vom Mörder (Deut. 19.): „Er sterbe und seiner sollst du dich nicht erbarmen.“

b) Ich antworte, der Richter müsse 1. urteilen zwischen dem Ankläger und dem schuldigen; und 2. fällt er sein Urteil, nicht auf Grund eigener, sondern der öffentlichen Gewalt. Also darf der Richter dem schuldigen die Strafe nicht nachlassen:

a) wegen des Anklägers, dessen Recht es manchmal ist, daß der schuldige bestraft werde, z. B. wenn ihm ein Unrecht vom schuldigen angethan worden; des Richters Sache aber ist es, jedem das Seine zu geben; —

b) wegen des Gemeinbesten, das der Richter vertritt und das die Bestrafung der Übelthäter erfordert. Es besteht aber ein Unterschied zwischen dem untergeordneten Richter und dem höchsten, nämlich dem Fürsten, der an erster Stelle und mit Vollgewalt das Gemeinwesen leitet. Vom untergeordneten Richter nun gilt, was Augustin zu Joh. 19. (Non haberes addversum me potestatem ullam) bemerkt (iu Joan. tract. 116.): „Solche Gewalt hatte Gott dem Pilatus gegeben, daß er unter der Macht des Kaisers stehe und daß in keiner Weise es ihm freistände, den angeklagten ohne weiteres zu befreien.“ Der Fürstaber mit seiner Vollgewalt kann dem schuldigen die Strafe nachlassen, wenn der beleidigte das ihm angethaene Unrecht verzeihen will und wenn dies dem Gemeinbesten nicht schädlich ist.

c) I. In dem, was der Willkür des Richters unterliegt, kann er barmherzig sein; „ein guter Mann vermindert die Strafen,“ sagt Aristoteles. (5 Ethic. 10.) In dem aber, was vom menschlichen und göttlichen Gesetze bestimmt wird, ist es nicht seine Sache, Barmherzigkeit walten zu lassen. II. Gott hat alle Vollgewalt; Er kann frei alle Strafen nachlassen, zumal ja Er der vom Sünder beleidigte ist. Nur aber gemäß seiner Güte, der Wurzel aller Gesetze, läßt Er die Strafe nach. III. Dem Gemeinbesten würde es ganz gewiß schaden, wenn Übeltätern die Strafe ungeregelterweise nachgelassen würde. Deshalb heißt es Deut. 13, 11.: „Damit ganz Israel es höre und fürchte und daß keiner jemals mehr Derartiges begehe.“ Auch der beleidigten Person würde der Richter durch den Nachlaß der Strafe schaden, die ja keinen Ersatz erhielte für das ihr angethaene Unrecht.

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