Vierter Artikel. Der Tod gehört zum Wesen des Martyriums.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Hieronymus sagt (serm. de assumpt.): „Mit Recht sage ich, die seligste Jungfrau sei Jungfrau und Märtyrer gewesen, obgleich sie in Frieden ihr Leben geendet hat.“ Gregor ebenso (3. in Evgl.): „Obgleich die Gelegenheit der Verfolgung nicht da ist, so hat doch der Friede auch sein Martyrium. Denn wenn wir auch unseren Nacken nicht unter das Henkersbeil legen, so ertöten wir doch mit geistigem Schwerte unsere fleischlichen Begierden.“ Also kann ohne Tod ein wahres Martyrium bestehen. II. Man lobt einige Frauen, weil sie um der jungfräulichen Keuschheit willen ihr Leben verachtet haben. Also steht die unversehrte jungfräuliche Keuschheit höher wie das körperliche Leben. Manchmal aber hat man wegen des Bekenntnisses der christlichen Wahrheit die Jungfräulichkeit verletzt oder zu verletzen gesucht, wie dies bei der heiligen Agnes und bei der heiligen Lucia geschah. Also ist es vielmehr Martyrium, wenn eine Jungfrau für den Glauben ihre körperliche Unversehrtheit verliert als wenn sie das körperliche Leben verliert; wonach die heilige Lucia sagte: „Läßt du mich gegen meinen Willen verletzen, so wird meine himmlische Krone verdoppelt werden.“ III. Der heilige Papst Marcellus wird als Märtyrer gefeiert und doch ist er im Kerker, nicht gewaltsam gestorben. Denn zur Stärke gehört es; nicht nur den Tod, sondern auch andere Mühseligkeiten für den Glauben Christi zu ertragen wie Kerker, Verbannung, Beschlagnahme der Güter. (Hebr. 10.) IV. Das Martyrium ist ein verdienstvoller Akt. Ein solcher kann aber nach dem Tode nicht mehr stattfinden. Also ist er vor dem Tode; und somit gehört der thatsächliche Tod nicht zum Wesen des Martyriums. Auf der anderen Seite sagt Maximus über einen Märtyrer: „Er siegt, weil er stirbt für den Glauben; er, der besiegt würde, wenn er ohne Glauben lebte.“
b) Ich antworte, der Märtyrer sei ein Zeuge der christlichen Wahrheit, durch die uns vorgestellt wird, wie wir um des Unsichtbaren willen das Sichtbare verachten müssen. (Hebr. 11.) Zum Martyrium also gehört zu bezeugen, daß man alle Güter dieses Lebens verachte, um die unsichtbaren, zukünftigen Güter zu besitzen. So lange aber dem Menschen daskörperliche Leben bleibt, hat er noch nicht durch die That bezeugt, er habe alle irdischen Güter verachtet. Denn die Menschen pflegen ihre blutsverwandten und ihren Besitz preiszugeben, nur um das Leben zu behalten; selbst körperliche Schmerzen ertragen sie, damit sie nur diesen Verlust nicht leiden. Deshalb sagt auch Satan in Job 2.: „Haut für Haut; Alles was der Mensch hat, wird er geben für seine Seele“ d. h. für sein Leben. Damit also das Wesen des Martyriums vollendet sei, ist erfordert, daß man das Leben verliere für Christum.
c) I. Da wird vom Martyrium gemäß einer gewissen Ähnlichkeit gesprochen. II. In solchem Falle wie der gegebene ist es nicht offenbar, ob die betreffende Jungfrau die Verletzung ihrer körperlichen Jungfräulichkeit erleide um der Liebe zum Glauben willen oder aus Verachtung der Keuschheit. Vor den Menschen also besteht da kein genügendes Zeugnis für den Glauben; und somit fehlt da das Wesen des Martyriums. Vor Gott kann dies der Lohn verdoppeln. III. Die Stärke richtet sich hauptsächlich auf die Todesgefahren. Also ist es auch kein eigentliches Martyrium, wenn Kerker etc. ertragen wird außer wenn der Tod daraus folgt. IV. Daß jemand freiwillig den Tod leidet, ist das Verdienst des Martyriums; nicht etwas nach dem Tode. Lebt jedoch jemand noch längere Zeit, nachdem er tödliche Wunden erhalten oder fortgesetzt bis zum Tod andere Trübsale für den Glauben erduldet hat, so ist da der verdienstvolle Akt des Martyriums zu jener Zeit, da der betreffende so gelitten hatte.