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Werke Thomas von Aquin (1225-1274) Summa Theologiae Summe der Theologie
Secunda Pars Secundae Partis
Quaestio 152

Erster Artikel. Der Wesenscharakter der Jungfräulichkeit.

a) Das Wesen der Jungfräulichkeit besteht nicht in der Unversehrtheit des Fleisches. Denn: I. Augustin (de s. virginit. 13.) sagt: „Die Jungfräulichkeit ist in dem der Verderbnis ausgesetzten Fleische die beständige Betrachtung der Unverderbtheit.“ Betrachten aber ist keine Sache des Fleisches. II. Die Jungfräulichkeit schließt Schamhaftigkeit in sich ein. Diese aber hat ihren Sitz in der Seele. (Aug. 1. de civ. Dei 18.) III. Die erwähnte Unversehrtheit scheint in dem äußeren Merkmale der jungfräulichen Scham zu bestehen, wonach gewußt werden kann, ob jemand noch Jungfrau sei. Dieses Merkmal aber wird oft zerstört ohne irgend einen Nachteil für die Jungfräulichkeit. Denn Augustin fagt (de civ. Dei I. c.): „Jene Glieder können infolge verschiedener Zufälligkeiten Gewalt erleiden. Die Ärzte thun manchmal, um für die Gesundheit zu sorgen, das, wovor der Anblick zurückschreckt. Auch Hebammen haben schon, wenn sie mit der Hand die Jungfräulichkeit einer Jungfrau gleichsam untersuchen wollten, dieselbe zerstört.… Ich meine nicht, daß es einen solchen Thoren gebe, der da glaubte, einer solchen Jungfrau ginge irgend etwas an der Heiligkeit verloren, wenn auch jenes äußere Merkmal der Unversehrtheit zerstört ist.“ Also besteht die Jungfräulichkeit nicht in der Unversehrtheit des Fleisches. IV. Die Unversehrtheit des Fleisches besteht zumal in der Auflösung, des Samens. Diese aber vollzieht sich auch ohne geschlechtliches Zusammenleben: im Schlafe und bisweilen ebenso beim Wachen. Ohne geschlechtliches Zusammenleben aber scheint die Jungfräulichkeit nicht verloren gehen zu. können; wie Augustin sagt (de virginit. 13.): „Die jungfräuliche Unversehrtheit und die durch fromme Enthaltsamkeit bedingte Freiheit von allem geschlechtlichen Zusammenleben, ist ein den heiligen Engeln ähnlicher Anteil.“ Also ist die Jungfräulichkeit nicht die Unversehrtheit des Fleisches. Auf der anderen Seite sagt Augustin (I. c. c. 8.): „Die Jungfräulichkeit ist Enthaltsamkeit, kraft deren die Unversehrtheit des Fleisches dem Schöpfer selbst von Leib und Seele gelobt, geweiht, dargebracht wird.“

b) Ich antworte, die Jungfräulichkeit schließe in sich ein, daß die betreffende Person frei sei von der Befriedigung des höchsten körperlichen Ergötzens, was da ist das geschlechtliche. Deshalb definiert Ambrosius (1. de virginit.) die Jungfräulichkeit als „jene Unversehrtheit, die frei von aller Befleckung ist.“ In diesem geschlechtlichen Ergötzen ist aber dreierlei zu beachten: 1. von seiten des Körpers die Verletzung des Merkmals der Jungfräulichkeit; — 2. die Verbindung der Begierde, welche von der Seele kommt, mit dem, was vom Körper herrührt; nämlich die Auflösung des Samens, welche das geschlechtliche Ergötzen verursacht; — 3. das, was einzig von der Seele kommt, nämlich der Vorsatz, zu solchem Ergötzen zu gelangen. Von diesen drei Dingen nun verhält sich das Erste in nebensächlicher Weise zum moralischen Akte, ist für diesen äußerlich, per accidens; denn der moralische Akt gehört an sich betrachtet der Seele an. Das Zweite ist das materiale oder bestimmbare Element im moralischen Akte; denn die Leidenschaften im sinnlichen Teile sind der Gegenstand der moralischen Akte. Das Dritte ist das formal bestimmende Element; denn das Wesen der moralischen Akte vollendet sich in der Vernunft. Daraus folgt, daß die Unversehrtheit des entsprechenden körperlichen Gliedes sich zur Jungfräulichkeit wie etwas Nebensächliches, Äußerliches verhält. Das Fernbleiben vom Ergötzen, das in der Auflösung des Samens besteht, verhält sich wie das bestimmbare materiale Element. Der Vorsatz aber, beständig sich von solchem Ergötzen fernzuhalten, ist der bestimmende, vollendende Teil in der Jungfräulichkeit.

c) I. Diese Definition des heiligen Augustin berührt direkt das formal bestimmende Element in der Jungfräulichkeit. Denn „Betrachtung“ will sagen „den Vorsatz haben.“ Der Ausdruck aber „beständig“ bedeutet nicht, daß man fortwährend solche Betrachtung pflegen; sondern daß der Vorsatz dahin gehen müsse, beständig jungfräulich zu bleiben. Das materiale oder bestimmbare Element wird indirekt berührt in den Worten „der Unverderbtheit in dem der Verderbnis ausgesetzten Fleische.“ Es wird dies hinzugefügt, um auf die Schwierigkeit aufmerksam zu machen, die mit der Jungfräulichkeit verbunden erscheint; denn wäre das Fleisch nicht der Verderbnis ausgesetzt, so wäre es leicht, sich vorzunehmen, dasselbe unverderbt zu bewahren. II. Das Wesen der Schamhaftigkeit hat seinen Sitz in der Seele, ihr Gegenstand aber findet sich im Fleische; und ähnlich verhält es sich mit der Jungfräulichkeit. Deshalb sagt Augustin (de virginit. 6.): „Obgleich die Jungfräulichkeit im Fleische bewahrt wird (und somit körperlich ist), so ist sie doch dem Wesen nach etwas Geistiges, da die fromme Enthaltsamkeit sie pflegt und wahrt.“ III. Die Unversehrtheit des betreffenden Gliedes ist etwas Äußerliches (per accidens) mit Bezug auf die Jungfräulichkeit; insoweit nämlich kraft des Vorsatzes im Willen sich jemand der geschlechtlichen Ergötzung enthält und so das erwähnte Glied unversehrt bleibt. Wird es also in anderer Weise zufällig verletzt und nicht weil der Wille das geschlechtliche Ergötzen erwählt, so schadet dies der Jungfräulichkeit ebensowenig wie wenn eine Hand oder ein Fuß abgeschnitten wird. IV. Geschieht die Ergießung des Samens kraft der freien Entschließung des Willens, so wird dadurch die Jungfräulichkeit hinweggenommen; mag dies im geschlechtlichen Zusammenleben vor sich gehen oder ohne ein solches. Augustin erwähnt nur deshalb das geschlechtliche Zusammenleben, weil gemeinhin und der Natur gemäß solche Ergießung von demselben verursacht wird. Findet aber dies im Schlafe statt oder infolge von Krankheit oder Gewalt, die man leidet, wo der Wille nicht zustimmt, so geht die Jungfräulichkeit nicht verloren, mag auch das Fleisch ein Ergötzen empfinden; denn solche Befleckung kommt nicht von dem Mangel an Schamhaftigkeit, welchen die Jungfräulichkeit ausschließt.

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