Viertes Kapitel. Gottes Vollkommenheit.
Nachdem wir über die Einfachheit Gottes gehandelt, ist es zukömmlich, über seine Vollkommenheit zu sprechen: Und weil jegliches Sein insoweit gut und erstrebenswert erscheint, als es vollkommen ist, werden wir zuerst die Vollkommenheit Gottes begründen und dann seine Güte besprechen. \textit{„O Gott! Die Heiden brachen ein in Dein Erbe; Dein Heiligtum haben sie verunreinigt; Jerusalem erniedrigten sie zur Hüterin von Äpfeln.“ (Ps. 78.) So ruft voll Entsetzen der königliche Prophet aus, da er im Geiste sieht, wie die Menschen der hohen Gaben, welche Gott der Schöpfung verliehen, wie sie des Abglanzes der Vollkommenheiten Gottes hier auf Erden sich bedienen. Anstatt sie zu verbinden mit dem Urquell und dem Ursitze aller Vollkommenheiten und sie so unendlich fruchtbar zu machen, folgen sie den Heiden, den in das Heiligtum der unsterblichen Seele eindringenden Leidenschaften nämlich; steigen sie hernieder in den Schmutz und erniedrigen sich selbst zu Hütern der allerniedrigsten Güter. Was sind denn Äpfel anders, als vom lebenspendenden Baume abgefallene und abgerissene Fruchte! Was thut der Mensch also anders, wenn er die Güter der Erde, die wohl schwachen, aber immerhin von Gott kommenden und seine Herrlichkeit unbewußt preisenden Schönheiten der Natur und des Geistes, ohne das gesetzte Maß genießen will, als sie losreißen von ihrem Lebensbaume und hüten, was der Mühe einer so hohen Kreatur wie der Mensch ist, nicht wert erscheint! „Zeichen“ nur sollen sein die Kreaturen, „Zeichen des völlig vollendeten Guten“; einladen nur sollen sie zu höherem Genusse; eine Gabe sind sie, die der Allmächtige dem Bettler giebt, auf daß er wieder komme und van Ihm mehr verlange und immer mehr bis zur unerschöpflichen Herrlichkeit! Mensch! Sei nicht so elendiglich genügsam, daß dich Vergängliches sättige. Mag der König in goldenem Wagen in das armselige Städtchen kommen; so arm die Leute sind, sie schauen nicht auf die Pracht des Wagens. Den wollen sie sehen, dem all dies gehört. Dessen Antlitz soll leuchten über sie, der mit so großem Wohlwollen und Weisheit sie regiert. Und du, Christ, du willst die wunderbare Schöpfung, wunderbar nur, weil die leitenden Fäden in der Hand der allmächtigen Liebe ruhen; du willst sie zerreißen, daß du das eine nimmst, damit du das andere, das unendlich Größere verlierst! In Gott haben ihren dauernden Sitz alle Schönheiten und Vorzüge des Geschaffen; hier auf Erden gehen sie vorüber. Willst du nach dem Sonnenstrahl haschen, wo die Sonne dir zu Gebote steht? An einem Wassertropfen dir genügen lassen, wo das endlose Meer dich anfüllen will? Ein Staubkörnchen auflesen, wo „derjenige, dem die Erde gehört mit ihrer Fülle“, dein werden und zwar in innigster Weise ohne Ende dein werden will! Deine Ohnmacht ist groß; aber nur deshalb, damit du eine Macht genießest, welche durch die reinste, süßeste Liebe, aus der sie fließt, als Geschenk des über alles Geliebten erst wertvoll werden soll. Tod herrscht in dir; aber nur deshalb, weil Leben ohne Ende dein Anteil werden soll und du dann um so mehr in Liebe zum Lebenspender jubeln und lobpreisen wirst, weil es dir mit deinen Kräften unmöglich war, es zu erlangen! Mühsal und Arbeit ist dein Los, das eines Sklaven; aber gerade deshalb sollst du die Freiheit im Ewigen desto mehr ersehnen; — denn je mehr der Mensch Mühe aufgewandt hat für die Erreichung eines Zweckes, desto tiefer ist seine Freude später über den Sieg! Die allseitige Vollkommenheit Gottes enthülle sich immer mehr deinem Geiste; dies wird dein wahrer Trost sein auf der irdischen Pilgerschaft. Das Herz des Geizigen frohlockt beim Anblicke großer Schätze; das Herz des Ehrsüchtigen bei hoher Bevorzugung, die ihm zu teil wird. Das Herz des Menschen, soll er anders der Wahrheit folgen, muß frohlocken beim Anstaunen der Vollkommenheiten und des Schatzes der Reichtümer Gottes; denn da ist eine Fülle, welche das wunde, nach Wahrheit und Liebe verlangende Herz über alles Ahnen hinaus gleichsam von der Wurzel her, mit allen Gütern zu übergießen vermag. So jubelte jener, der da schrieb (Eccli. c. 43.): „Verherrlichet Gott, so viel auch immer ihr vermöget; Er ist herrlich weit darüber hinaus und staunenswert ist seine Vollgewalt. Preiset den Herrn und feiert Ihn mit Lobpreisungen, wie es in eurer Macht liegt: größer ist Er immerdar als jegliches Lob. Erhebet Ihn und Kraft wird euch erfüllen; und was verborgen in Ihm ist, das ist noch weit größer als dies alles!“ „Dir geziemt Lobgesang, o Herr, in Sion,“ frohlockt der Psalmist. Und andere lesen: „Dir geziemt es, daß alles vor Dir schweigt.“ Te decet silentium. Hieronymus vereinigt beides: „Vor Dir schweigt der Lobgesang.“ So muß unser Preis sein. Lobsingen; aber zugleich bekennen, daß unaussprechlich Gottes Herrlichkeit ist. Preisen; aber zugleich den eigenen Preis für nichts halten im Vergleiche zu dem Preise, der ertönen müßte. Wie schön der honigsüße Lehrer schreibt: „Nenne Gott gut; nenne Ihn groß; nenne Ihn selig; nenne Ihn weise; nenne Ihn wie du willst: Er ist. Das ist für Ihn Sein, was da besagt: dieses alles zugleich sein. Füge hundert andere solcher Vollkommenheiten hinzu; du entfernst dich nicht vom Sein. Sprichst du sie aus; du hast nichts zu Gott hinzugefügt. Sprichst du sie nicht aus; du hast nichts an Ihm vermindert. Wenn du an dieses Sein denkst, das so ganz allein dasteht und so im höchsten Grade groß ist; meinst du nicht, daß, was auch immer dieses Sein nicht ist, daß dies vielmehr nicht ist, als daß es ist?“ (de consid. c. 6.) Und Ambrosius im selben Sinne (I. de Tri. c. 7.):“Gott wird ausgesprochen; aber Er kann nicht ausgesprochen werden. Er wird gelobt; aber da erscheint es erst, wie Er nicht nach Gebühr gelobt werden kann. Es wird erklärt, was Er ist; aber Er wächst damit gleichsam, denn nur das eine wird klar, daß sein Wesen durch keinen Begriff erreicht werden kann.“ „Was ist Gott?“ ruft wiederum Bernardus aus, Länge, Breite, Höhe, Tiefe. Länge ohne Verlängerung, Breite ohne Ausdehnung, überschreitend alle örtlichen und zeitlichen Schranken; und zwar nicht durch die ungeheure Größe seiner Substanz, sondern durch die einzig dastehende Freiheit seiner Natur; unerreichbare Höhe, ünerforschliche Tiefe. Er ist Lange; denn es giebt keine geschöpfliche Vollkommenheit, die in seiner Macht nicht enthalten ist. Er ist Breite; weil Er alle seine Vollkommenheiten bis ins Unermeßliche erweitert. Er ist Höhe; weil an Güte Er alles Maß der Kreatur übersteigt. Er ist Tiefe; denn je länger man Ihn betrachtet, desto mehr erscheint Er in seiner Unerforschlichkeit! Das Anstaunen seiner majestätischen Größe wird getragen durch die Furcht vor so erhabener Hoheit, durchdrungen von der Liebe zur unermeßlichen Majestät und bis zum unerschütterlichen Herrscherthrone emporgehoben durch die Hoffnung auf eine glorreiche Ewigkeit.“ „Tritt, o Mensch, zu jenem Herzen heran, das wahrhaft voll ist von erhabenster Größe; und Gott wird verherrlicht werden“ (Ps. 73.). Deine Erhebung bis zum Herzen, bis zur Liebe Gottes, bis zur Würde eines Kindes Gottes ist zugleich die Verherrlichung des Höchsten; denn sie ist in erster Linie das Werk seiner Freiheit und Barmherzigkeit. Mache deine Seele nicht zur Hüterin von verächtlichen Gütern, die nur dadurch verächtlich geworden, daß sie getrennt sind von ihrer Wurzel und von ihrer Krone. Lasse sie hängen die schönen Früchte deiner guten Werke, die schönen Früchte der Gaben Gottes in deiner Seele; lasse sie hängen am Lebensbaume der Liebe Gottes. Reißest du sie herab durch Hochmut, durch das Gefühl des Wohlgefallens an dir selbst, durch vorzeitigen Genuß, mit einem Worte durch Mißbrauch, getrieben durch die mannigfachen Völker deiner inneren Leidenschaften; so werden sie zum Aas, das man hinauswirft und das nur den Leidenschaften, den Feinden deiner Seele und deines Wohles, den Teufeln selber Freude macht. „Und sie warfen vor die Leiber deiner Feinde den Vögeln des Himmels als Speise und den Tieren des Feldes das Fleisch deiner Diener.“ Vertraust du aber dies alles der Hand Gottes an, wie das Kind seine Sparpfennige der Mutter; überIäßt du Ihm alle Ehre; gebrauchst du nach seinem Willen und nach der Sprache deiner Vernunft die geschaffenen Güter; — alle Werke, die du in solcher Gesinnung thust, werden dann in der Hand des Allmächtigen wie Samenkörner sein, die, von der Liebe Gottes kraft unendlicher Vollkommenheit vervielfacht, die Frucht des ewigen Lebens dir bringen werden. Dann, wenn die Zeit der Prüfung vorüber, wenn zur Zeit des Todes „Blüten bereits aus der Erde sprossen“ wie Vorahnung ewiger Herrlichkeit, dann ist es Zeit, daß du „hinaufsteigst zur Palme, und die Frucht“, welche die Barmherzigkeit deines Gottes zuerst in dir vorbereitet, gereift und verherrlicht hat, „ergreifest,“ um sie nie mehr von dir zu lassen. Lassen wir nun Thomas mit nüchternster Klarheit die Vollkommenheit Gottes auseinandersetzen. }