Achtes Kapitel Die Existenz Gottes in den Dingen. Überleitung.
„Wer, der da einen Turm bauen will, überlegt nicht vorher, ob er genug besitze, um ihn zu vollenden!“ (Luk. 14.) So ermahnt der Heiland, wir mögen doch ja in uns eintreten und bei uns selber recht tief überlegen, wozu wir von uns aus fähig sind, damit wir demgemäß handeln! Ein gewaltiges Nichts gähnt uns aus der ganzen Schöpfung entgegen; — ein Nichts, was so manche in schwere Täuschungen führt; das aber richtig aufgefaßt um so mehr lehrt, die Hände zu falten und zu flehen: „Verlasse mich nicht, o Herr; Herr, blicke auf mich, um zu helfen.“ Jener hatte sich von diesem Nichts täuschen lassen, der wohl „in aller Pracht und Herrlichkeit am Morgen der Schöpfung wie ein glänzendes Gestirn aufging;“ — aber auch hören mußte: „Wie bist du gefallen, Luzifer; bis in die Tiefen der Hölle ist hinabgestürzt worden deine Herrlichkeit!“ Alles, was den Geschöpfen der Urquell aller Güte verleiht, wird, sobald es die Kreatur in sich empfängt, nur wieder Vermögen, mehr zu empfangen und muß einladen, noch tiefer die eigene Nichtigkeit zu sehen und die allein wahrhaft wirkende Kraft des Herrn zu verherrlichen. Kein geschaffenes Vermögen, keine geschaffene Substanz ist von sich aus Quell der Wirklichkeit für sich selbst. Nichts, auch wenn es die Substanz und die Fähigkeiten des höchsten Geistes hätte, ist vermögend, von sich allein aus thätig zu sein. Das Geschöpf bleibt da stehen, wo die wirkende Ursächlichkeit des Schöpfers es verläßt; — es beginnt von da aus um so mehr zu fallen, je höher der Wert der Fähigkeiten ist, die es erhalten hatte. Mit allen seinen Vermögen bleibt auch das edelste Geschöpf vor dem Allgewaltigen ein Nichts; und es hat nur soweit wirkliches Sein und wirkliche Thätigkeit, als die wirkende Kraft des Urgrundes in ihm waltet. Nimm der Pflanze das Sonnenlicht; — so herrlich auch immer sie war, sie verliert ihre Kraft, verdorrt, fällt in sich zusammen. Nimm der Substanz, nimm den Fähigkeiten des Geschöpfes die stete Einwirkung der göttlichen Klaft; — und so weit auch immer das Geschöpf von derselben sich fernhält, so weit zerfällt seine Substanz, werden ohnmächtig seine Vermögen, sinkt es schließlich zum Nichts hinab. Vom Wirklichen im Geschöpfe hängt alles in ihm Mögliche ab; — und das Wirkliche erfordert wieder den Einfluß der einwirkenden Allmacht Gottes. So ist in jedem Geschöpfe der bethätigende Einfluß des Schöpfers der Wirklichkeit des Geschöpfes näher als das eigene Sein des Geschöpfes. Denn erst muß dieser Einfluß da sein, ehe das Geschöpf irgend ein Sein besitzt; diesem Einflüsse erst entfließt das eigene geschöpfliche Sein. Näher ist die wirkende Kraft des Herrn dem Geschöpfe als dessen Substanz; — denn diese Substanz gehört erst dann dem Geschöpfe, wenn dieses ein eigenes Sein hat, und dieses Sein setzt wieder den einwirkenden Urgrund voraus. Näher ist die wirkende Allmacht Gottes dem Geschöpfe als dessen eigene Vermögen und Fähigkeiten; — denn dieselben können nur an einer Substanz sich finden und nur von einer Substanz ausfließen; die Substanz aber ist nur insoweit wirklich, als das Geschöpf wirkliches Sein hat, und das letztere ist, so lange es ist, die beständige Wirkung der erstwirkenden Ursache. Aber diese wirkende Kraft, was ist sie anders, als das Wesen Gottes selber! Gottes Wesen ist ja sein Sein, alles Sein ist Kraft, Gottes Wesen ist die einwirkende Kraft, die da Wirklichsein und demgemäß auch wirklich bestehende Vermögen giebt. Das ist wunderbar! Gottes Wesen ist näher dem Geschöpfe, wie dessen eigenes Sein, wie dessen eigene Substanz, wie dessen eigensten Vermögen; ist dem Menschen näher wie seine Seele, wie seine Vernunft, wie sein freier Wille; erst wenn dieses Wesen einwirkt, dann und insoweit wirkt der freie Wille, erkennt die Vernunft, ist thätig die Seele. Und doch! Wie fern ist dieses Wesen Gottes wieder andererseits vom Geschöpfe! Hier reine Wirklichkeit, dort nur Vermögen; hier notwendig Seinsfülle, dort notwendig Nichts, wenn keine Hilfe kommt! Nur die Liebe des Schöpfers kann diesen großen, unermeßlichen Abgrund überbrücken. Er hat Kreaturen hervorgebracht, nicht weil Er so mußte, sondern einzig und allein weil Er so wollte. Er erhebt die einen dieser Kreaturen vermittelst der anderen, nicht als ob er nicht jede Kreatur für sich allein leiten könnte; sondern damit Er die Schätze seiner Liebe verbreite. Die Kreaturen nehmen teil an seiner Weisheit, indem die eine die andere führt und vollendet. Sie nehmen teil an seiner Allmacht, indem sie das Vermögen zu wirken in sich selber tragen und somit selbstthätig sind. Sie nehmen teil an seiner Barmherzigkeit, indem die eine von dem, was sie zu viel hat, der anderen giebt, die zu wenig hat. Sie nehmen teil an seiner Gegenwart, denn immerdar ist die Substanz eines jeden Dinges gegenwärtig ganz und zugleich jedem einzelnen Teile, jeder Wassertropfen im Meere ist ganz und gar Wasser und nichts anderes. Die höheren Kreaturen aber nehmen teil an seiner Gegenwart, indem durch die Vernunft ihnen auch andere Seinsarten und vermittelst deren sie selbst mit ihren Vermögen und Fähigkeiten, mit ihrer Substanz als dem inneren Grunde des Seins, mit ihren einzelnen Handlungen und Thätigkeiten sich gegenwärtig sind. In allem aber wird diese Ähnlichkeit mit sich selber, diese Teilnahme an den höchsten Vollkommenheiten je nach der Seinsstufe der Geschöpfe durch das einwirkende Wesen Gottes bewirkt, welches zuerst Sich selber als reines thätiges Sein durchaus erschöpfend mit aller inneren Notwendigkeit gegenwärtig ist; und das da kraft dessen auch allem dem, was es in Sich selber als dem vollendeten Princip jeglichen Anfanges und Fortschrittes und aller Vollendung sieht; in der vollen Ausdehnung des Seins gegenwärtig sein muß. In seinem reinsten Sein als dem wirkenden Princip von allem schließt Gott jede Wirklichkeit und Möglichkeit ein; sein reinstes Sein ist Ihm beständig gegenwärtig; also muß es auch allem Wirklichen und Möglichen, soweit Wirklichkeit und Möglichkeit reicht, gegenwärtig sein. „Wirf einen Schwamm ins unermeßliche Meer,“ ruft Augustin aus, „daß das Wasser des Meerees ihn von allen Seiten durchdringe und seine Poren anfülle; — so etwa ist die Welt getaucht in die Unermeßlichkeit Gottes.“ (I. Conf. 5.) — „Des Schöpfers Macht ist die Ursache für das Bestehen eines jeden Seins“, so wieder Augustin; „und würde die Kraft dieser Ursache einmal zu wirken aufhören, so würde jede Substanz und jegliches Wesen zu nichte werden. Denn Gott ist nicht wie ein Baumeister, der, nachdem er den Bau ausgeführt, ihn verläßt; sondern seine Kraft bleibt beständig bei den Kreaturen, um das zu erhalten, was Er geschaffen; und wir sind deshalb in Ihm, weil Er in uns wirkt.“ (4. de Gen. ad litt. 12.) „Weil nichts ohne Gott sein kann und erhalten werden kann im Sein, deshalb sind wir gezwungen zu bekennen, daß Gott überall und immer sei;“ sagt Anselmus (monol. 22.). „Ganz ist Gott über allem und doch nicht erhöht;“ so Gregor der Große; „ganz ist Er unter allem und doch nicht erniedrigt; ganz innerhalb von allem und doch nicht eingeschlossen; ganz außerhalb aller Dinge und doch nicht ausgeschlossen. Ganz oben alles leitend, ganz unten alles erhaltend, ganz innen alles anfüllend, ganz außerhalb alles umfangend.“ (2. mor. 12.) Die Bosheiten der Welt verderben Ihn nicht, die Seuchen der Welt verunreinigen Ihn nicht, die Strafen und Laster der Hölle thun Ihm nichts an. Er gleicht dem Sonnenstrahl, der in den Kot leuchtet und doch in strahlender Reinheit bleibt. Gott ist überall gegenwärtig, ungeschwächt in seiner Schönheit, Reinheit, Heiligkeit, Macht, Weisheit. Denn so spricht der heilige Dionysius: „Weil die innerliche Einfachheit,die Gott mit Sich hat, Ihn nie verläßt, deshalb bleibt Er alle Zeit in Sich selber, beständig, unbeweglich, allen Wechsel verursachend und selbst ohne Veränderung!“ Dermaßen ist Gott herrlich und so wirkt Er im Innersten der Kreaturen, damit wir uns beständig erinnern, wie wir seiner bedürfen. Und wenn wir wollen zumal den Turm der Vollkommenheit in unseren Seelen aufführen; dann sei der Reichtum Gottes unser Reichtum, die Macht Gottes unsere Macht, seine Weisheit, seine Liebe sei die unsrige. Alles außer Ihm genügt nicht! „Bauen wir ohne Ihn das Haus;“ dann werden wir es nicht zur Vollendung bringen können; „die Leute werden spotten und sagen: Schauet da einen Menschen; er hat begonnen und konnte nicht vollenden.“