11.
Zuweilen kommt es mir vor, als gebe die Seele wie in größter Not umher, sich selbst fragend und sprechend: »Wo ist dein Gott?« Und merkwürdig! Zuvor verstand ich diese Verse in der Muttersprache nicht gut; nachdem ich sie aber verstanden, war es mir tröstlich, zu sehen, wie der Herr sie mir ohne mein Zutun ins Gedächtnis gerufen. Öfter gedachte ich auch der Worte des heiligen Paulus, er sei der Welt gekreuzigt. Ich sage nicht, daß ich dies ebenso sei, denn ich sehe klar das Gegenteil an mir. Indessen scheint sich hier die Seele in einem Zustande zu befinden, daß sie einerseits weder im Himmel ist, noch vom Himmel einen Trost erhält, und anderseits weder auf Erden ist, noch von der Erde einen Trost haben möchte; sie schwebt also gleichsam gekreuzigt zwischen Himmel und Erde und leidet, ohne daß ihr von irgendeiner Seite Hilfe kommt. Denn die Hilfe, die sie vom Himmel hat — und das ist, wie gesagt, eine so wunderbare Erkenntnis Gottes, die alles, was immer wir begehren können, weit übertrifft —, vermehrt nur ihre Qual. Dadurch nimmt nämlich ihre Sehnsucht (nach Gott) in einer Weise zu, daß nach meinem Dafürhalten die Heftigkeit der daraus entspringenden Pein sie manchmal, wenn auch nur auf kurze Zeit, der Sinne beraubt. Solche Zustände kommen mir wie Todesnöten vor; nur bringt hier das Leiden eine so große Wonne mit sich, daß ich nicht weiß, womit ich sie vergleichen soll. Es ist eine bittere, aber auch süße Marter; denn was immer von der Erde sich der Seele darbieten mag, auch wenn es ihr sonst noch so süß und angenehm zu sein pflegt, die Seele nimmt es nicht an, sondern scheint es unverzüglich von sich zu stoßen. Sie erkennt wohl, daß sie nichts liebt als ihren Gott; aber sie liebt nicht irgend etwas in Sonderheit an ihm, sondern alles zusammen, was in ihm ist, ohne zu wissen, was sie an ihm liebt. Ich sage, sie wisse es nicht; denn die Einbildungskraft stellt ihr nichts vor. Aber auch die anderen Vermögen sind während dieses Zustandes, wie ich meine, eine geraume Zeit hindurch außer Tätigkeit; sie sind, wie bei der Vereinigung und Verzückung durch die Wonne, so hier durch den Schmerz aufgehoben.