53.
In der Oktav non Allerheiligen verbrachte ich zwei bis vier sehr schmerzliche Tage in der Erinnerung an meine großen Sünden; ich empfand außerdem eine sehr große Furcht vor den Verfolgungen, die auf mich warteten, eine Furcht, die sich nur auf Verleumdungen gründete, mit denen man mich überhäufen wollte; und ich hatte nicht den Mut, der mich gewöhnlich beseelt, wenn es sich darum handelt, für Gott zu leiden. Ich machte jedoch Anstrengungen, um mich aufzuraffen, und erweckte Akte des Großmutes; denn ich sah, welche Früchte mir daraus erwachsen könnten. Allein es nützte mir das wenig; denn die Furcht verließ mich nicht. Es war ein schrecklicher Kampf. Plötzlich fielen meine Blicke auf einen Brief, in dem mein guter Vater an das Wort des heiligen Paulus erinnert: »Gott gibt nicht zu, daß wir über unsere Kräfte versucht werden.« Dieses Wort brachte mir große Erleichterung, zerstreute aber nicht alle meine Befürchtungen. Am folgenden Tage war ich sogar sehr darüber betrübt, daß ich mich ohne den Beistand dieses Paters befand. Ich hatte niemanden, zu dem ich in dieser Betrübnis meine Zuflucht nehmen konnte; ich sah mich in großer Verlassenheit. Noch etwas vermehrte meinen Schmerz, nämlich der Umstand, daß ich damals außer ihm niemanden hatte, der mich hätte trösten können; da er gewöhnlich abwesend sein mußte, so war mein Kummer groß.
Am folgenden Abend nahm ich ein Buch und las ein anderes Wort des heiligen Paulus, daß mir etwas Trost verschaffte.
Als ich mich etwas gesammelt hatte, betrachtete ich, wie innig ich vorher mit Unserem Herrn vereinigt war, der mir in Wahrheit als der lebendige Gott erschien. Ich befaßte mich mit diesem Gedanken, als mir der Herr in einer geistigen Vision im Innersten meines Herzens erschien und zu mir sagte: »Ich bin da, aber ich will, daß zu siehst, wie wenig du ohne mich vermagst.« Sogleich gewann ich meine Zuversicht wieder, und all meine Furcht verschwand. Am gleichen Abend erschien mir der Herr bei der Matutin in einer so erhabenen geistigen Vision, daß ich sie fast für eine Einbildung hielt. Er fiel in meine Arme, ebenso mit ihn daß fünfte Geheimnis des Leidens darstellt. Ich war sehr verwirrt durch diese Vision, die mir so klar und so nahe vorkam, daß ich mich fragte, ob es nicht eine Täuschung sei. Da sagte der Herr zu mir: »Wundere dich nicht darüber; denn die Vereinigung meines Vaters mit deiner Seele ist unvergleichlich inniger.« Diese Vision hat bis zum jetzigen Augenblicke angedauert. Was ich von Unserem Herrn gesagt habe, hat bei mir über einen Monat angedauert, aber es ist jetzt schon vorüber.