Einführung in die Märtyrerakten des zweiten Jahrhunderts
S. 1 Seit neunzehn Jahrhunderten kann man mitten im Lärm der Menschengeschichte die unüberhörbaren Stimmen derjenigen vernehmen, die „Zeugen des Wortes“ sind, die mit den wechselnden Lauten der Erdensprachen in erhabener Eintönigkeit Zeugnis ablegen von der unfaßlichen Tatsache, daß das WORT Mensch wurde, um die sündig zersplitterte Vielfalt der Menschenworte wieder zusammenzufügen zu dem einen Loblied auf den Vater, das sich von nun an von den Menschenlippen des Wortes emporschwingt ins Innerste der Gottheit. An der Spitze dieser Wortzeugen schreitet das menschgewordene Wort selbst als der „treue Zeuge“ (Offb. 1, 5), der sein Zeugnis, sein Martyrion, herabgebracht hat aus den Tiefen seiner ewigen Gottgleichheit (Joh. 3,11). Unmittelbar hinter dem „Allwahrhaftigen, dem getreuen Martyr, dem Urgrund der Schöpfung Gottes“ (Offb. 3,14), aber ziehen die Märtyrer, das sind die Menschgeborenen, die es wagten, für das Zeugnis vom getöteten und auferstandenen Wort ihr Blut hinzugeben.
Wenn darum diese Sammlung der „Zeugen des Wortes“ es sich zur hohen Aufgabe gemacht hat, einzelne Stimmen aus dem Zeugenchor der zwei christlichen Jahrtausende wieder zum Klingen zu bringen, unserer dünnblütigen Glaubensschwachheit wieder etwas von jenem Feuerblut einzuflößen, das S. 2 im zwölften Kapitel des Hebräerbriefs aufglüht im Anblick der „Wolke von Zeugen“, die uns umhüllt: dann dürfen hier die Stimmen der Zeugen nicht fehlen, die ihr Zeugnis für das Wort unterschrieben haben mit Blut. „Glauben kann ich nur jener Geschichte, für die sich Zeugen töten ließen“, hat einmal Pascal gesagt. Getötete Zeugen: hier sollen sie zu Wort kommen. Sie sprechen nicht zu uns mit dem Genius der Sprachgewalt und nicht in den kunstvollen Gebilden der hohen Literatur. Getötete Zeugen des getöteten Wortes schenken uns hier ein vollkommen allem Irdischen entwordenes Zeugnis: ausgesprochen während des Sterbens, Zeugnis oft schon jenes Heiligen Geistes, der da spricht „vor Königen und Richtern“ (Matth. 10, 18 20), und darum umwittert nicht nur von der Majestät menschlichen Todes, sondern ebenso von dem mystischen Einbruch jenseitiger Herrlichkeit.
In dem vorliegenden Bändchen der Sammlung, das als erstes einer auf drei Bändchen verteilten Ausgabe der altchristlichen Martyrerakten erscheint, finden sich die echten Martyrerberichte des zweiten christlichen Jahrhunderts vereinigt.
Es hat eine tiefe theologische und geschichtliche Berechtigung, wenn wir vollständig und ausschließlich die Akten des zweiten Jahrhunderts zu einem Ganzen zusammenfügen. In der ersten Hälfte dieses Säkulums stirbt die begnadete Generation aus, die den einen oder andern der Apostel des Herrn gesehen hat. Aber auch die Männer der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sind noch stolz darauf, die S. 3 mit scheuer, fast erschrockener Ehrfurcht angestaunten „Presbyteroi“, die „Alten“ aus den Tagen der Apostel, gekannt und aus ihrem Mund die Worte des fleischgewordenen Wortes vernommen zu haben. Aus der Mitte des Jahrhunderts aber ragt die hehre Gestalt des Bischofs Polykarp von Smyrna, des „seligen, apostelgleichen Presbyters“, wie ihn sein Schüler Irenäus nennt. Polykarp war noch zu Füßen des Apostels Johannes gesessen. Er gehörte als letzter zur begnadeten Schar der „Zeugen des Wortes“: denn wir wissen es aus einem Brief des Irenäus von Lugdunum, den uns Eusebius (Kirchengeschichte V, 20) aufbewahrt hat, wie er seinen Schülern nicht müde wurde zu berichten von seinen Unterredungen „mit denen, die das Wort des Lebens noch mit eigenen Augen gesehen hatten“. Und nun ist es nicht Zufall, sondern tiefsinnige Fügung: mit dem Bericht über das Blutzeugnis dieses lebendigen Zeugen des Wortes beginnt die stolze Reihe der christlichen Martyrerakten. Aus dem zweiten Jahrhundert sind uns, wenn wir alles wuchernde Rankenwerk der Legende oder der zeitlich nicht bestimmbaren unverbürgten Nachrichten abstreifen, sieben Berichte überliefert, die im unnachahmlichen Glanz der Echtheit, schlicht und steinhart wie antiker Marmor, vor uns stehen. Was zu ihrem geschichtlichen Verständnis und zur theologischen Vertiefung ihrer Lehre vom christlichen Blutzeugnis notwendig ist, möge hier vorweggenommen werden, damit später kein einziges zusätzliches Wort die unsterbliche Schlichtheit dieser Berichte störe.