2.
So zum Beispiel herrschte der Tod, der mit Adam seine verderbliche Macht begann, aber auch zur Zeit des Moses behielt er seine böse Gewalt bei,1 da das Gesetz die böse Macht des Todes in keiner Weise abschwächte. Es kam die Herrschaft des Lebens, und die Macht des Todes wurde gebrochen. Und es entstand ein anderes Geschlecht, ein anderes Leben, eine andere Gestalt des Lebens, selbst eine Umwandlung unserer Natur, ein Geschlecht, das nicht aus Blut, nicht aus dem Willen des Mannes noch aus dem Willen des Fleisches, sondern aus Gott geboren ist.2 Wie so? Deutlich werde ich dir in meiner Rede die Gnade darstellen. Diese Geburt ist durch den Glauben empfangen und wird durch die Wiedergeburt der Taufe an’s Licht gebracht. Amme ist für sie die Kirche, Muttermilch die Lehre, Nahrung das himmlische Brod, Reife des Lebens die erhabene Lebensweise, Ehe das Zusammenleben mit der Weisheit, Kinder die Hoffnungen, Häuser die Herrschaft, Erbschaft und Reichthum die Freuden des Paradieses, Ende statt des Todes das ewige Leben in der Seligkeit, die den Heiligen aufbewahrt ist. In dieser Gnade sieht auch der große Zacharias den Anfang der Umwandlung zum Guten und schwankt über die Benennung, wie man die Gnade des S. 302 heutigen Tages passend bezeichnen soll. Denn nachdem er die übrigen Wunder des Leidens erörtert hat, sagt er über diese Zeit auch Dieses: „Es ist kein Tag und keine Nacht,“3 wodurch er andeutet, daß von einem Tage keine Rede sein könne, wo die Sonne fehlt, daß es aber auch keine Nacht gibt, weil auch keine Finsterniß vorhanden ist. Denn die Finsterniß nannte Gott Nacht, wie Moses sagt.4 Da es nun der Zeit nach Nacht ist, wegen des Lichtes aber Tag, so sagt deßhalb der Prophet: „Es ist weder Tag noch Nacht.“ Wenn nun nach dem Ausspruch des Propheten die gegenwärtige Zeit keine Nacht ist, so ist nothwendig, die Gnade des heutigen Tages etwas Anderes, als dieß, und führt einen andern Namen. Soll ich sagen, was mir in den Sinn kommt? Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat, es ist dieß ein anderer, als die Tage im Anfang der Schöpfung, die als Zeitmaß dienen. Der Anfang einer anderen Schöpfung ist dieser Tag. Denn an diesem Tage macht Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde, wie der Prophet sagt.5 Was für einen Himmel? Das feste Himmelsgewölbe des Glaubens an Christus. Was für eine Erde? Das gute Herz, sage ich, wie der Herr es ausgesprochen hat,6 die Erde, die den Regen trinkt, der auf dieselbe herabkommt, und welche die schwere Ähre zur Reife bringt. In dieser Schöpfung ist Sonne das reine Leben, sind Sterne die Tugenden, ist Luft das hervorleuchtende Leben, Meer die Tiefe des Reichthums der Weisheit und Erkenntniß, Gras und Kräuter die gute Lehre und die göttlichen Glaubenssätze, die das Volk der Weide, das heißt, die Heerde Gottes abweidet, Fruchtbäume aber die Erfüllung der Gebote. An diesem Tage wird geschaffen der wahrhafte Mensch, der nach dem Ebenbild und Gleichniß Gottes gemacht ist. Siehst du, welche Welt diesen Anfang hat, den Tag, den der Herr gemacht hat, von dem der Prophet S. 303 Zacharias sagt, daß er nicht ein Tag ist wie die anderen Tage, noch eine Nacht wie die anderen Nächte?7
Und noch nicht ist in der Rede die Auszeichnung der gegenwärtigen Gnade geschildert. Diese Gnade hat den Schmerz des Todes aufgehoben. Diese hat den Erstgebornen der Todten zum Leben gebracht. Durch diese wurden die eisernen Pforten des Todes zerbrochen, durch diese die ehernen Riegel der Unterwelt zertrümmert. Jetzt öffnet sich das Gefängniß des Todes. Jetzt wird den Gefangenen die Loslassung verkündet. Jetzt wird den Blinden das Gesicht wieder zu Theil. Jetzt sehen die, welche in Finsterniß und im Schatten des Todes sitzen, den Aufgang aus der Höhe.8 Wollt ihr auch Etwas über den dreitägigen Termin erfahren? Es genügt, so viel zu wissen, daß in einem so kurzen Zeitraum die allmächtige Weisheit, die sich im Herzen der Erde befand, der Herr, jenen „großen Sinn“,9 der in ihr sich aufhält, in Thorheit zu verwandeln vermochte. Denn so nennt ihn der Prophet, indem er ihn einen großen Sinn heißt und einen Assyrier. Da nun das Herz gleichsam ein Heerd des Sinnes ist, denn man glaubt, daß in demselben das herrschende Princip wohne, deßhalb befindet sich der Herr im Herzen der Erde, welches der himmlische Aufenthalt jenes Sinnes ist, so daß er seinen Rathschluß in Thorheit verwandelt, wie der Prophet sagt, und den Weisen in seiner Verschmitztheit fängt und seine weisen Unternehmungen ins Gegentheil verwandelt.10 Denn da es unmöglich war, daß der Herrscher der Finsterniß dem ungemischt erscheinenden Lichte nahte, ohne einen Theil des Fleisches an ihm wahrzunehmen, deßhalb hoffte er, als er das göttliche Fleisch sah und auch die Wunder sah, die von der Gottheit selbst gewirkt wurden, er würde, wenn er über das Fleisch im Tode siegte, auch die ganze in ihm ruhende Macht besiegen. Und deßhalb wurde er, da er nach der S. 304 Lockspeise des Fleisches sich gierig sehnte, von der Angel der Gottheit durchbohrt und so wurde der Drache an der Angel geführt, wie Job sagt, der durch dieselbe die Zukunft vorher sagt, indem er spricht: „Du wirst den Drachen an der Angel führen.“11
Wollen wir die Stimme des Propheten hören, was es war, was dieses Herz der Erde gegen das Weltall im Schilde führte, als es gegen das Fleisch des Herrn den Mund öffnete. Was sagt Isaias zu ihm, indem er es tadelt? „Du hast gesagt in deinem Herzen: ich will zum Himmel steigen, über den Wolken werde ich meinen Thron errichten und dem Höchsten gleich sein.“12 Das führte das böse Herz bei sich im Schilde. Und wollen wir noch zuvor wieder aus dem Ausspruch des Isaias hören, was der in der Bosheit große Sinn, der böse Assyrier, ihm vortrug, da er sagte: „Durch die Kraft meiner Hand werde ich es thun, und durch meine weise Einsicht werde ich die Grenzen der Völker wegnehmen und ihre Kraft verheeren und die bewohnten Städte erschüttern und die ganze bewohnte Erde wie ein Vogelnest ergreifen und wie zurückgelassene Eier wegnehmen, und Niemand wird mir entrinnen oder mir widersprechen“.13 Mit dieser Hoffnung nimmt er Den in sich auf, der aus Menschenfreundlichkeit unter den Erdbewohnern lebte. Was ihm aber statt des Gehofften zu Theil wird, setzt die Prophezeiung deutlich auseinander, welche sein Leiden ausspricht, wie Lucifer vom Himmel fiel, wie er auf die Erde geschmettert wurde,14 er, der auf Fäulniß gebettet ist, dessen Kleidung die Würmer sind, und Alles, was er sonst über seine Vernichtung erörtert, was Einer, der es will, aus den Schriften selbst genau erfahren kann.