105.
S. 171 1. Im Psalme heißt es weiter: ‚Du aber, o Herr, halte nicht ferne von mir Deine Hilfe; schaue, mir zu helfen! Befreie vom Schwerte meine Seele und aus des Hundes Pfote meine Eingeborene! Errette mich aus dem Rachen des Löwen, meine Niedrigkeit aus den Hörnern der Einhörnigen!’ Auch mit diesen Worten ist wiederum gelehrt und prophezeit, was es mit Jesus ist, und was er erfahren mußte. Daß er der Eingeborene des Vaters aller war, daß er auf besondere Weise1 aus ihm erzeugt wurde als Logos und Kraft, daß er später durch die Jungfrau Mensch wurde, wissen wir aus den Denkwürdigkeiten und habe ich oben dargelegt2. 2. Auch daß er den Kreuzestod starb, wurde vorhergesagt. Denn wenn es heißt: ‚Befreie vom Schwerte meine Seele und aus des Hundes Pfote meine Eingeborene! Errette mich aus dem Rachen des Löwen, meine Niedrigkeit aus den Hörnern der Einhörnigen!’, so ist ebenfalls angedeutet, an welchem Leiden er sterben werde, das heißt es ist auf den Kreuzestod verwiesen3. Oben4 habe ich ja bereits euch auseinandergesetzt, daß ‚die Hörner der Einhörnigen’ nur das Kreuz darstellen. 3. Seine Bitte, vom Schwerte und vom Rachen des Löwen und von der Hundepfote möchte seine Seele befreit werden, war das Gebet, es möchte sich niemand seiner Seele bemächtigen. Er wollte, daß wir, wenn wir ans Ende des Lebens gelangen, die gleiche Bitte an Gott richten, da er die Macht hat, jeden zudringlichen, bösen Engel zu vertreiben, auf daß er sich nicht unserer Seele bemächtige. 4. Daß die Seelen weiterleben, habe ich euch daraus bewiesen5, daß die Wahrsagerin auf Bitten des Saul die Seele Samuels gerufen hat6. Es S. 171 scheinen aber auch alle Seelen von solchen Gerechten und Propheten unter dem Einfluß von Mächten gestanden zu sein, die ähnlich der waren, welche nach Aussage der Geschichte in jener Wahrsagerin wohnte. 5. Daher belehrt uns auch Gott durch seinen Sohn, wir sollen mit allen Kräften um Gerechtigkeit kämpfen und am Lebensende beten, unsere Seelen möchten nicht solch einer Macht unterliegen. Denn als Jesus am Kreuze seinen Geist aufgab, sprach er7 : ‚Vater, in Deine Hände empfehle ich meinen Geist’, wie mir auch wieder aus den Denkwürdigkeiten bekannt ist. 6. Auch fordert er ja seine Jünger auf, sie sollen in ihrer Lebensführung die Pharisäer übertreffen, andernfalls würden sie nicht, wie sie wissen sollen, das Heil finden; er sagte nämlich nach dem, was in den Denkwürdigkeiten geschrieben ist8 : ‚Wenn eure Gerechtigkeit nicht die der Schriftgelehrten und Pharisäer übertrifft, werdet ihr fürwahr nicht eingehen in das Reich der Himmel.’
-
Vgl. I. Apol. 22, 2: Jesus wurde „auf besondere Weise, entgegen der gewöhnlichen Abstammungsweise, als Logos Gottes aus Gott geboren“. ↩
-
Vgl. 100. ↩
-
Vgl. Barnabas 5,13. ↩
-
91, 2 f. ↩
-
In dem uns überlieferten Text findet sich jedoch dieser Beweis nicht mehr. ↩
-
Vgl. 1Kön 28, 7 ff. vgl. I. Apol. 18 – Im Gegensatz zu Justin nimmt u.a. Tertullian (De anima 57) an, die Seele des Samuel sei nicht wahrhaft, sondern nur durch teuflische Vorspiegelung erschienen. ↩
-
Vgl. Luk. 23, 46. ↩
-
Matth. 5, 20. ↩