32.
1. Da ich in meiner Rede einhielt, nahm Tryphon das Wort: „Mein Herr, die erwähnten Schriften und ähnliche veranlassen uns, daß wir den, der als Menschensohn von dem Bejahrten die ewige Herrschaft erhält, in Herrlichkeit und Größe erwarten. Dieser euer sogenannter Christus aber ist ohne Ehre und Herrlichkeit gewesen, so daß er sogar dem schlimmsten Fluch verfiel, den das Gesetz Gottes verhängt1 : er ist nämlich gekreuzigt worden.“
2. Ich erwiderte ihm: „Ihr Männer, wenn nicht von den vorerwähnten Schriften gesagt würde, daß ‚seine Gestalt ohne Herrlichkeit', ,sein Geschlecht immerdar‘ ist, daß ‚um seines Todes willen die Reichen werden getötet werden‘, ‚wir durch seine Striemen geheilt wurden‘, und er ‚wie ein Lamm abgeführt werden wird‘2, wenn ich nicht erwähnt hätte, daß es zwei Erscheinungen desselben gibt, wobei er das einemal von euch durchbohrt wurde, während das anderemal ihr ihn, den ihr durchbohrt habt, erkennen werdet, und eure Stämme — einer dem anderen, die Weiber für sich und die Männer für sich — klagen werden3, dann wären wohl meine S. 47 Worte dunkel und wertlos. Nun aber gehe ich in der ganzen Darlegung bei allen Beweisen von den prophetischen Schriften aus, welche euch heilig sind, in der Hoffnung, daß einer von euch unter dem Reste gefunden werden könne, der nach der Gnade des Herrn der Heerscharen für das ewige Heil übrig bleibt4.
3. Damit nun das, was wir wissen wollen5, euch jetzt noch verständlicher werde, will ich euch noch andere Worte mitteilen, welche der selige David gesprochen hat. Aus denselben werdet ihr ersehen, daß Christus vom Heiligen Geiste in seiner Prophezeiung Herr genannt wird, und daß der Herr, der Vater des Weltalls, ihn von der Erde emporführt und zu seiner Rechten setzt, bis er die Feinde zum Schemel seiner Füße gemacht hat6. Dies ist eingetreten, seitdem unser Herr Jesus Christus nach seiner Auferstehung von den Toten in den Himmel aufgenommen wurde, und seitdem die Fülle der Zeiten gekommen ist, und der bereits vor der Türe steht, welcher gegen den Höchsten lasterhafte und verwegene Worte sprechen soll und nach der Offenbarung Daniels eine Zeit und Zeiten und die Hälfte der Zeiten herrschen wird!7
4. Da ihr aber nicht wisset, wie lang die Herrschaft des letzteren dauern soll, behauptet ihr anders; die ‚Zeit‘ erklärt ihr nämlich als hundert Jahre. Wenn aber dem so ist, muß der Mensch der Gottlosigkeit8 zum mindesten dreihundertfünfzig Jahre regieren, um die ‚Zeiten‘, welche der heilige Daniel erwähnt, bloß als zwei Zeiten zu zählen.
5. All dies, was ich nebenbei bemerkte, sage ich zu euch auch zu dem Zwecke, daß ihr euch endlich einmal überzeugen lasset von dem Worte, das Gott gegen euch gesprochen hat: ‚Unvernünftige Söhne seid ihr!9 und von dem anderen Worte: ‚Sehet, ich werde darum auch noch dieses Volk versetzen, ja versetzen werde ich sie, S. 48 und die Weisheit der Weisen werde ich wegnehmen und das Verständnis ihrer Verständigen werde ich verbergen‘10, — ich sage es euch, damit ihr von uns lernet, die wir durch die Gnade Christi weise geworden sind, und damit ihr aufhöret, euch und die, welche auf euch hören, in die Irre zu führen.
6. Die Worte Davids lauten nun also11 : ‚Es sprach der Herr zu meinem Herrn: setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache. Aus Sion wird dir der Herr aussenden ein Szepter der Macht. Herrsche inmitten deiner Feinde! Mit dir ist die Macht am Tage deiner Herrschaft12. Im Glanze deiner Heiligen habe ich dich aus dem Schoße vor Luzifer gezeugt. Der Herr hat es geschworen, und nicht wird er es bereuen: du bist der Priester ewig nach der Ordnung des Melchisedech. Der Herr ist zu deiner Rechten, am Tage seines Zornes zerschmettert er die Könige. Richten wird er unter den Völkern, Leichen wird er aufhäufen. Aus dem Gießbach am Wege wird er trinken, daher wird er erheben sein Haupt.‘
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Deut. 21,23: „Verflucht ist von Gott, wer am Kreuze hängt“; vgl. Gal. 3,13. ↩
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Vgl. Is. 53,2-9. ↩
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Vgl. Zach. 12,10-14; Joh. 19,37; Apok. 1,7; Barnabas 7,9 f.; Justin I. Apol. 52,12. ↩
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Vgl. Is. 1,9; 10,22; Röm. 9,27-29; 11,15. ↩
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d.h. daß mit Jesus Christus der Neue Bund begonnen hat. ↩
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Vgl. Ps. 109. ↩
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Vgl. Dan. 7,25. ↩
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Vgl. 2Thess. 2,8. ↩
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Vgl. Jerem. 4, 22. ↩
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Vgl. Is. 29,14. ↩
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Ps. 109. ↩
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Diese Interpunktion ist gefordert durch Mal. 63, 3 und 83, 4. Die Worte „im Glanze der Heiligen“ werden allerdings sonst allgemein in Ps. 109, 3 mit dem vorhergehenden Satze noch verbunden. Selbst die „Communio“ der ersten Messe des Weihnachtsfestes hat jetzt in offiziellen Ausgaben des Missale Romanum die sonst allgemein übliche Interpunktion, obwohl die ganze Communio nur die Worte enthält: „In splendoribus sanctorum, ex utero ante luciferum genui te“. Hier ist aber das Komma nach splendoribus nicht am Platze. Wir haben nämlich in der erwähnten Messe noch die gleiche Auffassung von Ps. 109, 3 wie in Justins Dialog. ↩