Schlussdialog
Eubul.: Liebe Gregorion, Thekla hat mit Recht den ersten Preis errungen!
Greg.: Ja, sicherlich mit Recht.
Eubul.: Aber was mir einfällt! Hat denn Telmesiake, die Fremde, nicht wenigstens von außen zugehorcht? Wie? Es sollte mich wundern, wenn jene auf die Kunde von eurem Mahle hin hätte ruhig bleiben können und nicht gleichwie ein Vögelein zum Futter herzugeflattert wäre euren Worten zu lauschen!
Greg.: Man sagt, sie sei bei Methodius gestanden, als er um eben unsere Sache die Arete befragte. Ach, das ist schön und selig, eine solche Lehrerin und Führerin zu haben wie die Arete!
Eub.: Aber nun, liebe Gregorion, wer ist besser zu nennen: diejenigen, die keine Begierden spüren, sondern S. 394 der Begierden Herr sind, oder diejenigen, die in Begierden jungfräulich bleiben?
Greg.: Selbstverständlich diejenigen, die keine Begierden spüren; denn die besitzen auch im Denken und Fühlen keine Makel und sind völlig vom Verderben frei; sie haben gar keine Sünde.
Eub.: Jawohl, Gregorion, es lebe die Züchtigkeit auch im Denken! Aber bin ich dir nicht lästig, wenn ich mich noch eingehender um die Reden kümmere? Ich möchte noch kräftiglicher lernen, auf daß mich keiner mehr aus der Fassung bringen kann.
Greg.: Nur zu, ganz wie du willst. Ich weiß dir noch genug zu sagen über die These, daß der Begierdenlose besser ist als der Mann der Begierden; da soll dich keiner mehr aus der Fassung bringen.
Eubul.: Potztausend! Das freut mich, daß du mir eine so hochgemute Antwort gibst; man merkt dir an, du hast in der Weisheit gewaltige Fortschritte gemacht!
Greg.: Lieber Eubulius, du scheinst ein recht bissiger Herr zu sein.
Eub.: Wieso?
Greg.: Weil du dies mehr sagst, um mich zu foppen, als um der Wahrheit die Ehre zu geben.
Eub.: Sei getrost, Wohledle! Ich bewundere wirklich deinen Verstand und deinen hohen Sinn nicht wenig. Das vorher habe ich gesagt, weil du in einer Sache, über die viele Gelehrte oft miteinander streiten, nicht bloß selbst klar zu sein, sondern auch andere lehren zu können meinst.
Greg.: Nein, sag mir, bist du wirklich ungehalten darüber, daß die ganz Begierdelosen vor den Leuten, die ihre Begierden im Zaume zu halten wissen, den Vorzug verdienen sollen? Oder tust du mir das alles nur zum Spaß?
Eubul.: Ja, was willst du denn? Wenn ich doch sage, ich verstehe nichts. Nein, nein, sag mir, meine liebe Philosophin, warum übertreffen die begierdelos Keuschen die in Begierden Jungfräulichen?
Greg.: Weil sie fürs erste auch die Seele rein bewahren und der hl. Geist immer in ihr wohnt; sie wird nicht hin und her gezogen und verunstaltet durch un-S. 395züchtige Vorstellungen und Gedanken; auch nicht im Denken befleckt sie sich jemals; nein, die sind ganz und gar, am Fleische und am Herzen, den Begierden unzugänglich; die Leidenschaften halten Meeresstille in ihnen. Aber wer durch das Gesicht von außen mit Vorstellungen verlockt wird, und die Begierde wie einen Strom in sein Herz einströmen läßt, der wird trotz allem immer wieder sich beflecken, auch wenn er vermeint, gegen die Lüste zu kämpfen und zu streiten: im Gedankenleben erleidet er Niederlagen.
Eub.: Also diejenigen, die Meeresstille haben, in denen die Begierden nicht toben, die müssen wir rein heißen?
Greg.: Gewiß, die werden in den Seligpreisungen sogar zu Göttern gemacht, die so sind; der sie zu Göttern macht, Gott, er verspricht ihnen offen, wenn sie zweifellosen Glauben haben, so sollen sie Gott schauen, weil sie zur göttlichen Schau nichts mitbringen, was das Auge der Seele verdunkeln oder trüben könnte, sondern ganz außerhalb der irdischen Begierden stehen und ihr Fleisch nicht nur, wie schon gesagt, rein von der Vermischung bewahren, sondern auch in ihr Herz keinen Gedanken der Unzucht einlassen; in solchem Herzen wohnt und ruht auch ganz besonders wie in einem Tempel der hl. Geist.
Eub.: Halt! (ich glaube, wir kommen beim Suchen des wahrhaft Besseren weiter auf diesem Wege), sag mir, nennst du einen einen guten Steuermann?
Greg.: Ja gewiß!
Eub.: Den, der sein Fahrzeug aus großen und verzweifelten Stürmen gerettet hat, oder den, der ruhige, sturmfreie See hatte?
Greg.: Den Mann der großen und verzweifelten Stürme.
Eub.: Werden wir also auch eine Seele, die die wilden Wogen der Leidenschaften umbrausen und die dennoch nicht ermattet und nachläßt, sondern ihr Fahrzeug, den Leib, mutig in den Hafen der weisen Zucht steuert, werden wir eine solche Seele besser heißen und erprobter als eine, die in Ruhe dahinfährt?
Greg.: Ja. S. 396
Eub.: Es verdient sicherlich größeres Lob, im Andrang und Schnauben des bösen Geistes zu stehen und dennoch keinen Ruck zu weichen und zu unterliegen, sondern allewege auf Christus hinzustreben im mutigen Kampfe mit den Lüsten, — als wenn einer leicht und ohne Sturm seine Jungfräulichkeit bewahrt!
Greg.: Offenbar!
Eub.: Und dann auch der Herr! Weist nicht auch er klar auf den Vorzug dessen hin, der in Begierden züchtig ist, vor dem begierdelos Jungfräulichen?
Greg.: Ja, wo denn?
Eub.: Wo er den klugen Mann vergleicht mit einem Haus, das trefflichen Grund hat, und ihn unerschütterlich heißt, weil er vom Regen und den Strömen und den Winden nicht gestürzt werden kann: hier vergleicht er natürlich die Stürme mit den Begierden und den unbeweglichen, unerschütterlichen Stand der Seele in der Keuschheit mit dem Felsen.
Greg.: Du könntest recht haben!
Eub.: Und wie steht es ferner bei einem Arzte? Nennst du nicht denjenigen den besten, der schon in schweren Krankheiten sich erprobt hat und viele heilte?
Greg.: Ich schon.
Eub.: Und den, der noch gar nichts geleistet hat, ja noch nicht einmal Kranke unter den Händen hatte, den heißest du doch einen ganz unerprobten Mann?
Greg.: Gewiß.
Eub.: Muß man dann nicht auch die Seele, die einen feuchteren Körper ihr eigen nennt, und doch dessen Lustseuchen mit den Arzneien der weisen Zucht gesänftigt hat, muß man die Seele nicht einen größeren Arzt heißen als eine andere, der ein gesunder, leidenschaftsloser [Körper] zur Wohnung zugefallen?
Greg.: Ja freilich.
Eub.: Und wie steht es ferner in der Ringkunst? Ist der ein besserer Ringkämpfer, der viele und starke Partner hat, der unablässig dagegen ringt und sich nicht unterkriegen läßt, oder der, der keine Partner hat?
Greg.: Natürlich der, der Partner hat.
Eub.: Ist also in der Ringkunst der der erprobte Kämpfer, der Partner hat? S. 397
Greg.: Notwendigerweise.
Eub.: Dann muß auch jede Seele, die gegen die Anstürme der Begierde ringt und dabei nicht nieder geworfen wird, sondern sich dagegen stemmt und stellt, offenbar stärker sein als die, die keine Begierden hat?
Greg.: In der Tat.
Eub.: Und Gregorion, wenn man sich kräftig den Wallungen der bösen Lüste widersetzen soll, glaubst du, daß dazu mehr Tapferkeit gehört?
Greg.: Ohne allen Zweifel.
Eub.: Ist dann diese Tapferkeit die Kraft der Tugend?
Greg.: Offenbar.
Eub.: Nun, wenn die Standhaftigkeit dir Kraft der Tugend ist, dann ist also offenbar die Seele, die im Toben der Begierden standhält, mächtiger als die, die jenes Toben nicht kennt.
Greg.: Ja.
Eub.: Und wenn mächtiger, dann auch besser?
Greg.: Ja.
Eub.: Es ist also eine Seele, die Begierden spürt und Herr darüber wird, besser als eine, die keine Begierden hat, und so rein bleibt auf Grund der obigen Einräumungen.
Greg.: Recht hast du und ich möchte noch mehr mit dir darüber reden. Wenn es dir also genehm ist, so werde ich morgen wieder kommen, um weiteres zu vernehmen; denn, siehst du, jetzt ist es Zeit, daß wir uns nunmehr auch zur Arbeit am äußeren Menschen wenden.
