Inhalt
S. 15 Der Inhalt des ersten Buches der Widerlegung aller Häresien ist folgender:
Die Namen und die Lehren der Naturphilosophen, die der Ethiker und die der Dialektiker.
Naturphilosophen sind Thales, Pythagoras, Empedokles, Heraklitus, Anaximander, Anaximenes, Anaxagoras, Archelaos, Parmenides, Leukippos, Demokritus, Xenophanes, Elephantos und Hippo.
Ethiker sind Sokrates, der Schüler des Naturphilosophen Archelaos, und Plato, des Sokrates Schüler. Plato vereinigt die drei Fächer der Philosophie.
Dialektiker ist Aristoteles, Platos Schüler; er schuf ein System der Dialektik; Stoiker sind Chrysippos und Zeno.
Epikur arbeitete ein fast allen anderen Philosophen entgegen gesetztes Lehrsystem aus.
Der Akademiker Pyrrho; er lehrte die Unbegreiflichkeit aller Dinge.
Die Brahmanen bei den Indern, die Druiden bei den Kelten und Hesiodos.
Man darf keine von den Lehren, die bei den Griechen in Geltung sind, mißachten. Denn selbst ihre unwissenschaftlichen Anschauungen erscheinen noch wahrscheinlich, wenn man sie mit der grenzenlosen Tollheit der Häretiker vergleicht, die nur durch Verschweigung ihrer Geheimnisse sich den Ruf der Gottesfurcht erhalten. Ihre Lehrsätze haben wir schon früher1 dargelegt, sie aber, ohne in Einzelheiten einzugehen, nur obenhin widerlegt; denn wir hielten es nicht für angezeigt, ihre Geheimnisse ans Licht zu ziehen; wir hofften, sie würden sich schämen, wenn wir andeutungsweise ihre Anschauungen berührten, und würden ihre unvernünftigen S. 16 Ansichten und ihr unrechtes Beginnen aufgeben aus Furcht, wir könnten ihre Geheimnisse ganz bloßlegen und sie so der Gottlosigkeit überführen. Doch sie achten meine Rücksicht nicht, noch bedenken sie, daß Gott nur darum ihre Lästerungen mit Langmut erträgt, damit sie sich schämen und bekehren oder damit sie als Verstockte ihr gerechtes Urteil erhalten. So gehe ich denn notgedrungen weiter und enthülle die Geheimnisse, die sie ihren Jüngern mit großer Überzeugungskraft anvertrauen; doch darf sie keiner inne werden, bevor sie ihn nicht lange Zeit in Spannung gehalten, zum Gotteslästerer herangebildet und sich ganz unterwürfig gemacht haben und er dann vor Neugierde nach ihren Aufschlüssen brennt. Wenn sie dann überzeugt sind, er sei in die Sünde verstrickt, eröffnen sie ihm den Abgrund der Verworfenheit, weihen ihn ein und verpflichten ihn eidlich, nichts auszusagen oder einem anderen mitzuteilen, wenn sich dieser nicht gleichfalls knechten läßt; ergibt er sich nur einmal, dann war der Eid freilich nicht nötig. Denn wer wirklich ihre tiefsten Geheimnisse über sich ergehen läßt und erlernt, der ist durch diese Tatsache selbst auf Grund seines Schuldbewußtseins gebunden, anderen gegenüber zu schweigen. Denn wenn er einem Menschen dies zügellose Treiben verriete, würde er nicht mehr zu den Menschen gerechnet werden und wert gehalten werden, das Licht zu schauen, [er stünde unter]2 dem unvernünftigen [Tier]3, das solche Frevel, von denen am einschlägigen Ort die Rede sein wird, nicht wagt. Da wir nun aus zwingenden Gründen in eine abgrundtiefe Untersuchung uns einlassen, so wollen wir nichts verschweigen, vielmehr die Lehren aller ausnahmslos darstellen. Wir wollen die Untersuchung, so lang sie auch dauern mag, nicht aufgeben. Wir können den Menschen einen guten Schutz gegen den Irrtum bieten dadurch, daß sie die geheim gehaltenen Kulthandlungen der Häretiker klar sehen, die diese wie einen Schatz hüten und nur den Eingeweihten offenbaren. Es wird sie aber niemand anderer des Irrtums überführen als der in der Kirche gespendete Hl. Geist, den zuerst die S. 17 Apostel empfangen haben und den sie dann den Rechtgläubigen mitteilten. Da wir als deren Nachfolger an derselben Gnade, Hohenpriesterwürde und Lehre teilhaben und zu den Hütern der Kirche gehören, so halten wir die Augen offen und verkündigen die wahre Lehre. Wir wollen, auch wenn wir mit allen Leibes- und Seelenkräften arbeiten müssen, nicht ermüden, sondern in würdiger Weise Gott, unserm Wohltäter, zu vergelten suchen; können wir ihm doch nicht anders in geziemender Weise danken als dadurch, daß wir in der uns anvertrauten Arbeit fortfahren, die uns zugemessene Zeitspanne ausnützen und die Gaben des Hl. Geistes allen neidlos mitteilen. Wir wollen nicht nur Irriges feststellen; es soll auch all das, was die Wahrheit durch die Gnade des Vaters empfangen und den Menschen dargeboten hat, klar gemacht, aus der Schrift bewiesen und rückhaltlos verkündet werden. Wir wollen also die Gottlosigkeit der Häretiker in ihrer Denkart, ihrem Charakter und ihrer Handlungsweise aufzeigen, sowie die Quellen, aus denen sie ihre Erfindungen schöpften. Sie sind ans Erfinden gegangen ohne Anlehnung an die Hl. Schrift, und ohne sich auf einen Heiligen berufen zu können; ihre Lehren stammen aus der Griechenweisheit, aus philosophischen Anschauungen, aus Mysterien4 und aus der Irrwege gehenden Astrologie. Wir legen also zuerst die Lehren der griechischen Philosophen dar und werden unsern Lesern beweisen, daß diese Lehren älter und Gottes würdiger sind als die der Häretiker; dann wollen wir die einzelnen Sekten miteinander vergleichen und sehen, wie sich die Sektenstifter über die griechische Philosophie hermachten, deren Grundlagen für sich verwerteten und immer tiefer sinkend ihre Lehre zusammenschmiedeten. Freilich ist dies Beginnen mühevoll und bedarf eingehender Forschung; doch wollen wir nicht nachlassen; später wird es uns Befriedigung gewähren, wie dem Wettringer der mühsam errungene Kranz, dem Kaufmann der trotz gewaltiger Seenot erzielte Gewinn, dem Landmann die mit vielem Schweiße eingeheimsten Früchte oder wie dem S. 18 Seher die Erfüllung seiner Weissagungen nach erlittener Schmähung und Mißhandlung.
Wir stellen nunmehr die Frage, wer bei den Griechen zuerst Naturphilosophie gelehrt hat. Denn gerade von den Naturphilosophen haben die Sektengründer ihre Lehren gestohlen, wie wir durch Vergleichung feststellen werden. Dadurch, daß wir jedem sein geistiges Eigentum zuteilen, werden wir die Häresiarchen in ihrer schamlosen Nacktheit an den Pranger stellen.