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Um aber die Leidensunfähigkeit der Natur des Wortes und seine wegen des Fleisches ihm zugeschriebenen Schwächen genauer erkennen zu können, ist es gut, den seligen Petrus zu vernehmen. Denn er ist wohl ein glaubwürdiger Zeuge über den Heiland. Er schreibt nun in seinem Briefe also: „Da also Christus für uns im Fleische gelitten hat“1. Wenn es also von ihm heißt, daß er hungere, dürste, müde sei, nicht wisse, schlafe, weine, bitte, fliehe, geboren werde, um Abwendung des Kelches bitte, kurz, wenn ihm einfach alle Zuständlichkeiten des Fleisches zugeschrieben werden können, so kann man mit Recht bei jeder einzelnen sagen; Da also Christus für uns im Fleische hungert und dürstet; da er für uns im Fleische nicht zu wissen gestehen muß und gegeißelt wird und ermüdet; da er wieder im Fleische S. 289 erhöht und geboren wird und zunimmt; da er im Fleische sich fürchtet und verbirgt; da er für uns im Fleische sagt: „Wenn möglich gehe dieser Kelch an mir vorüber“ und geschlagen wird und empfängt und überhaupt bei allem ähnlichen: „für uns im Fleische“. Denn darum hat auch der Apostel selbst gesagt: „Da Christus also gelitten hat“, nicht in der Gottheit, sondern „für uns im Fleische“, damit man nicht die Leiden dem Worte selbst, sondern dem Fleische als natureigen zuerkenne. Man nehme also an den menschlichen Äußerungen kein Ärgernis, erkenne vielmehr, daß das Wort selbst seiner Natur nach leidensunfähig ist, und daß gleichwohl diese ihm wegen des Fleisches, das er anzog, zugeschrieben werden, da sie ja dem Fleische eigen sind, der Leib aber wieder dem Heiland eigen ist. Von Natur leidensunfähig bleibt er, wie er ist, und nimmt an diesen Schwächen keinen Schaden, vielmehr vertilgt und vernichtet er sie. Die Menschen aber, deren Leiden auf den Leidensunfähigen übergegangen und ausgetilgt worden sind, werden nun auch ihrerseits auf ewig leidensunfähig und von den Leiden frei, wie Johannes in den Worten gelehrt hat: „Und ihr wisset, daß jener erschienen ist, um unsere Sünden wegzunehmen; und in ihm ist keine Sünde“2. Da aber dem so ist, so wird kein Häretiker mit dem Vorwurf kommen können: „Warum steht das von Natur sterbliche Fleisch wieder auf? Wenn es aber wieder aufersteht, warum hungert und dürstet und leidet es nicht wieder und bleibt unsterblich? Es ist ja doch aus der Erde entstanden, und wie kann das Naturhafte an ihm aufhören zu sein?“ Dann könnte ja das Fleisch einem solch zanksüchtigen Häretiker die Antwort geben: Ich bin aus der Erde, und damit der Natur nach sterblich, doch später bin ich das Fleisch des Wortes geworden, und dieses trug meine Leiden, obschon es leidensfrei ist. Ich bin von diesem frei geworden, und ich gebe mich nicht dazu her, ihnen fürder zu dienen, weil der Herr mich von ihnen befreit hat. Wenn du mir also vorwirfst, daß ich des natürlichen Verderbens losgeworden bin, so sieh zu, S. 290 daß du es nicht auch tadelst, daß das Wort Gottes meine Knechtsgestalt angenommen hat. Denn wie der Herr mit der Annahme des Leibes Mensch geworden ist, so werden auch wir Menschen vom Worte in seinem Fleische angenommen und vergöttlicht und erben von nun an ewiges Leben.