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Works John Chrysostom (344-407) In epistula ad Romanos commentarius Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer (BKV)
SIEBZEHNTE HOMILIE: Kap. IX, V. 1—33.

5.

Wie löst nun Paulus diese Schwierigkeit? Dadurch, daß er darlegt, wer das Israel ist, dem jene Verheißungen gelten. War das geschehen, dann war zugleich der Beweis erbracht, daß alle Verheißungen Gottes in Erfüllung gegangen seien. Der Apostel tut dies mit den Worten: „Denn nicht alle, die von Israel abstammen, sind echte Israeliten.“ Darum gebraucht er nicht den Namen Jakob, sondern Israel, ein Name, der an Tugend, an einen Gerechten, an ein Geschenk von oben und an Schauen Gottes denken läßt. Aber, wendet man ein, „es haben doch alle gesündigt und entbehren des Ruhmes vor Gott“. Wenn also alle gesündigt haben, wie kommt es, daß die einen das Heil erlangten, die andern aber verloren gingen? — Weil nicht alle kommen wollten. Soviel es auf Gott ankam, gelangten alle zum Heil; denn dazu berufen waren sie alle. Er sagt das aber nicht geradezu heraus, sondern er löst die Frage auf einem weiten Umwege. Er führt andere Beispiele an und stellt eine andere Frage, wie er auch oben eine sehr große Schwierigkeit durch Heranziehung einer andern gelöst hat. Er hatte nämlich die Frage aufgeworfen, wieso infolge der Gerechtigkeit Christi alle übrigen an dieser Gerechtigkeit teilhaben konnten, und hat zur Lösung dieser Frage das Beispiel Adams angeführt, indem er sagte: „Denn wenn durch die Übertretung des einen der Tod herrschte, so werden um so mehr die, welche die überschwengliche Fülle der Gnade empfangen haben, im Leben herrschen.“ Den Fall Adams löst er aber nicht, sondern den des andern mit Hilfe desselben; er macht klar, daß es doch eine größere Berechtigung habe, daß Christus, der für die Menschen gestorben ist, auf sie einen Einfluß habe, wenn er wolle. Daß S. d33 alle gestraft worden seien wegen der Sünde eines einzigen, das kommt vielen unbegründet vor; daß aber alle gerechtfertigt worden seien durch die Gerechtigkeit eines einzigen, das mag begründeter und Gott angemessener sein. Aber gleichwohl klärte er das Geheimnis, das im Falle Adams liegt, nicht auf; denn je unaufgeklärter es blieb, desto mehr waren die Juden zum Stillschweigen gezwungen. Die Schwierigkeit, die im Falle Christi liegt, wird auf den Fall Adams übertragen, und dadurch gewinnt der erstere an Klarheit. So verfährt der Apostel auch hier. Er löst die eine Frage durch eine andere. Er hat es ja mit den Juden zu tun. Daher klärt er die Beispiele, die er (aus ihrer Geschichte) herangezogen hat, nicht vollständig auf; er brauchte es nämlich in einem Wortgefechte mit Juden nicht zu tun. Er benützt aber jene Beispiele dazu, um die eigene Sache klarer zu machen. Was wunderst du dich, will er sagen, daß von den Juden die einen das Heil erlangten, die andern nicht? Sieht man ja doch, daß es in alter Zeit mit den Patriarchen ebenso ging. Warum wird nur Isaak Abrahams Nachkomme genannt, da dieser doch auch der Vater Ismaels und vieler anderer war? (Du wendest ein,) seine Mutter war eine Sklavin? Aber was hat das für einen Bezug auf den Vater? Doch ich will mich bei diesem Fall nicht weiter aufhalten; er mag fallen gelassen werden wegen des Sklavenstandes der Mutter. Was sollen wir aber von den Söhnen der Chettura sagen? Waren sie nicht Freigeborene als Söhne einer Freien? Warum genossen sie nicht dasselbe Vorrecht wie Isaak? Ja, was führe ich diese an? Rebekka war die einzige vollberechtigte Gattin Isaaks, und sie gebar zwei Knaben; beide hatten Isaak zum Vater. Obzwar sie nun beide denselben Vater hatten, von derselben Mutter waren, demselben Mutterschoß entsproßten, väterlicher- und mütterlicherseits leibliche Brüder und noch dazu Zwillingsbrüder waren, genossen sie doch nicht dieselben Rechte. Hier kannst du die Schuld nicht auf den Sklavenstand der Mutter schieben wie bei Ismael, auch nicht darauf, daß sie von zwei verschiedenen Müttern geboren waren wie die Söhne der Chettura und der Sara; sie kamen sogar zur selben Stunde zur S. d34 Welt. Darum greift Paulus gerade dieses Beispiel als das klarste auf: „Nicht allein bei Isaak traf das zu“, „sondern auch Rebekka hatte nur von Isaak, unserem Vater, Kinder.“

V. 11: „Sie waren noch nicht geboren und hatten noch nichts Gutes oder Böses getan, damit der Ratschluß Gottes nach freier Wahl bestehe“,

V. 12 „nicht veranlaßt durch gute Werke, sondern einzig hervorgegangen aus dem freien Willen dessen, der sie berief, da ward ihr gesagt:“

V. 13: „Der Ältere wird dem Jüngeren dienen, wie geschrieben steht: „Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehaßt.“

Warum wurde nun der eine geliebt, der andere gehaßt? Warum war der eine Knecht, der andere der Herr? Weil der eine schlecht, der andere aber gut war. Und doch waren sie noch nicht geboren, wurde der eine schon ausgezeichnet und der andere verworfen; denn sie waren noch nicht geboren, da sagte Gott schon: „Der Ältere wird dem Jüngeren dienen.“ Warum sagte nun Gott das? Weil er nicht wie ein Mensch auf den Verlauf der Dinge zu warten braucht, um zu sehen, was gut und was schlecht ist, sondern weil er schon voraus weiß, daß der gut und der schlecht sein wird. Dasselbe traf bei den Israeliten zu, nur in einer noch auffallenderen Weise. Was rede ich, will der Apostel sagen, von Esau und Jakob, von denen ja der eine schlecht und der andere gut war? Die Israeliten hatten alle dieselbe Sünde; hatten sie ja alle das goldene Kalb angebetet. Und doch fanden die einen (vor Gott) Erbarmen, die andern nicht. Denn es heißt: „Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen will, und begnadigen, wen ich begnadigen will.“ Dasselbe kann man auch an denen bewahrheitet sehen, die von Gott gestraft worden sind. Was sagst du zu Pharao? Warum wurde er so schwer bestraft? Weil er harten Herzens und unbotmäßig war? Aber war er es allein und sonst niemand? Warum wurde also nur er so schwer bestraft? Warum nannte er bei den Juden „ein Nichtvolk sein Volk“, und warum S. d35 würdigte er wieder nicht alle derselben Auszeichnung? „Wenn sie auch sind“, heißt es, „wie der Sand am Meere, so wird doch nur ein übriggebliebener Teil gerettet werden“ 1. Warum nur ein übriggebliebener Teil? Siehst du, wie der Apostel absichtlich Schwierigkeiten in Menge aufwirft? Und ganz mit Recht. Wenn du nämlich den Gegner in Verlegenheit bringen willst, dann halte mit der Lösung der Frage zurück! Wenn es sich zeigt, daß er nicht weiß, wo aus und wo ein, warum sollst du dich in Gefahr begeben? Was sollst du ihn kecker machen dadurch, daß du nur dir die ganze Schwierigkeit aufhalsest?


  1. Is. 10, 22. ↩

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