5.
Denn wie sollte man nicht auf den Gedanken kommen, du seiest weniger ehrenwert, wenn man sieht, daß du so um Lobhudeleien von Seiten anderer stehst, und daß du meinst, es fehle dir etwas, wenn du nicht Ehre von andern empfängst? Siehst du denn, sag’ mir, nach all dem Gesagten nicht ein, daß du, wenn aller Augen auf dich gerichtet sind, auch hundert Ankläger hast, wenn du einmal einen Fehler machst, daß dagegen niemand etwas davon weiß, wenn du in der Verborgenheit bleibst? — Ja, sagst du, schon recht; aber ich habe dann auch hundert Leute, die mich bewundern, wenn ich einmal etwas Gutes tue. — Das ist ja gerade das Schlimme (antworte ich), daß die Krankheit des Ehrgeizes dir in jedem Falle schadet, gleichgültig ob du einen Fehler begehst oder eine gute Tat vollbringst; für den ersten Fall legt sie dir hunderterlei Schlingen, und im andern Fall bringt sie dich um den ganzen Lohn.
Es ist schon vom Übel und trägt nichts weniger als den Namen eines Ehrenmannes ein, wenn man in den Dingen des gewöhnlichen Lebens auf Ruhm ausgeht; was wird dir aber erst für eine Entschuldigung übrig bleiben, wenn du im geistlichen Leben dasselbe suchst? Wenn du Gott nicht einmal dieselbe Ehre zukommen lassen willst, wie sie dir von deinem Hausgesinde zuteil wird? Denn der Sklave schaut auf die Augen seines Herrn, der Lohnarbeiter auf seinen Arbeitgeber, der ihm den Lohn auszahlen soll, der Schüler auf seinen Lehrer; du aber tust das gerade Gegenteil. Gott, den Herrn, der dir deinen Lohn geben soll, läßt du außer acht und schaust auf deinen Mitsklaven, und das tust du, obgleich du recht wohl weißt, daß Gott die Erinnerung an deine S. d68 guten Taten auch nach diesem Leben behält, der Mensch dagegen nur für den Augenblick. Im Himmel ist eine Schaubühne für dich vorbereitet, und du sammelst Zuschauer auf der Erde um dich! Der Wettkämpfer begehrt seinen Ruhm von da, wo er kämpft; du aber kämpfst für den Himmel und willst, daß man dir dafür einen Siegeskranz aufsetze hier auf Erden. Was könnte schlimmer sein als solche Torheit!
Betrachten wir übrigens nur einmal die Siegeskränze, wie sie hienieden gewunden werden? Der eine ist aus Torheit gewunden, ein anderer aus Neid gegen die Mitmenschen, wieder ein anderer aus feinem Spott und aus Schmeichelei, ein anderer aus Trinkgeldern und ein anderer aus (scheinbarer) Dienstbeflissenheit. Wie Kinder bei ihren Spielen einander Kränze aus Gras aufsetzen und den Bekränzten manchmal, ohne daß er es weiß, hinterrücks auslachen, so machen sich oft dieselben Leute, die dir Lobeshymnen singen, bei sich selbst lustig, während sie uns die Krone aus Gras aufsetzen. Und wenn es nur Gras wäre? So aber ist dieser Kranz gar nicht so harmlos, sondern er bringt uns um alle Frucht unserer guten Werke. — Du hast jetzt seine Nichtigkeit erkannt; so fliehe denn auch seine Schädlichkeit!
Macht es die Zahl der Lobhudler aus? Nimm an, es seien ihrer hundert oder noch einmal so viel, ja dreimal und viermal so viel. Ja, nimm, wenn du willst, ihre Zahl noch zehnmal und zwanzigmal größer an; es sollen zweitausend und viertausend, wenn du willst auch zehntausend sein, die dir Beifall klatschen. Eigentlich ist kein Unterschied zwischen ihnen und den Dohlen, die droben in der Luft schreien. Ja, wenn du an die Engel denkst, die im Himmel die Zuschauerschaft bilden, so müssen dir jene Leute armseliger vorkommen als Würmer, ihre Lobhudeleien fadenscheiniger als Spinngewebe und flüchtiger als Rauch und Traumbilder. Höre nur, wie Paulus, der in diesen Dingen gewiß ein genauer Kenner war, nicht allein nicht Ruhm vor Menschen sucht, sondern ihn geradezu von sich abwehrt, wenn er spricht: „Ferne sei es von mir, mich zu rühmen, außer S. d69 im Kreuze Christi“ 1. Eines solchen Rühmens befleiße auch du dich, damit du nicht den Zorn des Herrn erregst. Denn du begehst ein Unrecht auch gegen Gott, wenn du anders handelst, nicht nur gegen dich selbst. Wenn du ein Maler wärest und hättest einen Schüler, der die Erzeugnisse seiner Kunst, ohne sie dir vorher gezeigt zu haben, ohne weiteres den Vorübergehenden zur Schau ausstellte, so wäre dir das gewiß nicht recht. Wenn so etwas aber schon gegen Mitmenschen eine Beleidigung ist, um so mehr gegen Gott.
Willst du aber noch von einem andern Standpunkte aus zur Verachtung menschlichen Beifalls kommen, so führe dir deine eigene Hoheit zu Gemüte, belächle das Treiben auf dieser sichtbaren Welt, mehre in dir Begierde nach wahrem Ruhm, laß dich erfüllen mit einem heiligen Stolz und sprich zu dir selbst, wie Paulus sagt: „Weißt du nicht, daß wir über Engel zu Gericht sitzen werden?“ 2 Wirf dich in die Brust, mach dir selbst Vorwürfe und sprich zu dir: Über Engel sollst du zu Gericht sitzen, und du willst, daß solches Gesindel über dich zu Gericht sitze? Du begehrst Beifall zu ernten mit Tänzern, Schauspielern, Tierkämpfern und Wagenlenkern im Zirkus? Denn solche Leute jagen dem Beifall nach. Du aber schwinge dich empor über solches Gekrächze und nimm dir den Bewohner der Wüste, Johannes, zum Beispiel. Betrachte, wie dieser über den Beifall der Menge erhaben war und sich nicht beeinflussen ließ von Schmeichlern. Er sah die Bewohner ganz Palästinas in ehrfürchtiger Bewunderung zu sich pilgern und wurde durch solche Ehrenbezeigung nicht aufgeblasen, sondern hielt dem ganze Volke Strafreden wie einem Schulknaben und rief ihm zu: „Schlangenbrut und Natterngezücht!“ 3 Und doch waren sie um ihn zusammengelaufen und hatten ihre Städte verlassen, um diesen heiligen Mann zu sehen. Aber das machte keinen Eindruck auf ihn; er war fern von jeder Ruhmsucht und frei von jedem Stolz. — So benahm sich auch Stephanus. S. d70 Er sah, wie das Volk ihm nicht mehr Lobsprüche spendete, sondern gegen ihn wutentbrannt mit den Zähnen knirschte. Er aber, erhaben über ihre Zornesausbrüche, sprach zu ihnen: „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an euren Herzen!“ 4 — So sprach auch Elias in Gegenwart des ganzen Heeres, des Königs und des Volkes: „Wie wollt ihr noch auf beiden Beinen hinken?“ 5 — Wir aber sagen allen Schmeicheleien, machen ihnen Bücklinge, erweisen ihnen sklavische Unterwürfigkeit, um ihr Lob zu erkaufen. Darum geht denn auch alles drunter und drüber; um menschliche Gunst wird die heilige Sache des Christentums preisgegeben, und alles läßt man gehen, wie es geht, um das Lob des großen Haufens zu haben.
Verbannen wir also diese Leidenschaft, und wir werden erfahren, was es heißt, innere Freiheit zu haben und eingelaufen zu sein in den Hafen des Seelenfriedens! Denn der Ehrgeizige gleicht einem Menschen, der auf stürmischem Meere hin- und hergetrieben wird, er ist immer in Angst und Furcht und hat hundert Herren zu dienen; wer dagegen dieser Gewaltherrschaft nicht untersteht, gleicht Schiffern, die im Hafen liegen und goldener Freiheit genießen. Nicht so der Ehrgeizige, sondern der hat so vielen Herren zu dienen, als er Freunde hat. Wie sollen wir uns denn freimachen von so schmählicher Knechtschaft? — Wenn wir nach einer Ehre streben, die wirkliche Ehre ist. Denn gerade so wie die Liebhaber leiblicher Schönheit ein anderes schönes Gesicht von der Verliebtheit in ein früher gesehenes abwendig macht, so ist auch die vom Himmel leuchtende Ehre imstande, die nach irdischer Ehre Gierigen von dieser abzulenken. Laßt uns darum den Blick auf jene gerichtet halten, laßt sie uns immer mehr schätzen lernen, damit wir in der Bewunderung für sie die Häßlichkeit dieser fliehen und im immerwährenden Besitz derselben übergroßer Freude genießen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, durch welchen und mit welchem dem Vater Ehre sei zugleich mit dem Hl. Geiste von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. S. d71