IV.
Pah! welchen Platz weist er denn der Sklaverei an? Gleichwie die Beschneidung Nichts nützt und die Vorhaut Nichts schadet, so verhält es sich auch mit der Freiheit und der Sklaverei. Um Dieses noch weit deutlicher zu zeigen, sagt er: „Kannst du jedoch frei werden, so S. 314 mache dir Das um so mehr zu Nutzen,“ d. h. bleibe um so lieber ein Sklave! Warum will er denn aber, daß Derjenige, der frei werden kann, im Sklavenstand bleibe? Er will zeigen, daß der Sklavenstand Nichts schade, sondern sogar nütze. Wohl weiß ich, daß Einige den Ausdruck: „Mache dir Das um so mehr zu Nutzen!“ von der Freiheit verstehen und sagen: Wenn du frei werden kannst, so mache dich frei! Diese Bedeutung des Wortes wäre aber der gewöhnlichen Redeweise Pauli gänzlich entgegen: denn er würde den Sklaven nicht erst trösten und zeigen, daß der Stand ihm nicht schade, und darauf ihn ermuntern, seine Freiheit zu suchen. Denn leicht könnte Jemand erwidern: Wie aber, wenn ich nicht kann, soll ich dann Unrecht und Schaden leiden? Er sagt also nicht Das, sondern er will, wie ich oben bemerkte, nur zeigen, daß die gewonnene Freiheit (in Bezug auf das Christenthum) weiter keinen Nutzen bringe, und will also sagen: Wenn es auch in deiner Macht stände, die Freiheit zu erlangen, so bleibe doch lieber Sklave! Hierauf gibt er den Grund an:
22. Denn wer als Sklave im Herrn berufen ist, ist ein Freigelassener des Herrn, sowie Derjenige, der als Freier berufen worden, ein Knecht Christi ist.
Denn in Dem, was auf Christus Bezug hat (in der Religion), sagt er, sind Beide gleich: sowohl du bist Christi Knecht als auch dein Herr. Wie ist denn nun der Sklave ein Freigelassener (Christi)? Weil er dich befreit hat nicht allein von der Sünde, sondern auch von der fremden Dienstbarkeit, wiewohl du im Sklavenstande verbleibst; denn er läßt den Sklaven nicht mehr im Sklavenstande und den Menschen nicht mehr in der Dienstbarleit. Das ist nämlich das Wunderbare. Wie wird denn aber der Sklave frei, wenn er Sklave bleibt? Wenn er von den Krankheiten und Leidenschaften der Seele frei wird; wenn er den S. 315 Reichthum verachtet, den Zorn und andere Leidenschaften beherrscht.
23. Ihr seid um hohen Preis erkauft; werdet nicht Sklaven der Menschen!
Diese Rede gilt nicht nur den Sklaven, sondern auch den Freien; denn es kann Einer ein Sklave und doch kein Sklave, ein Freier und doch ein Sklave sein. Und wie sollte Einer, der Sklave ist, kein Sklave sein? Wenn er Alles um Gottes willen thut, wenn er es nicht aus Heuchelei, nicht aus Augendienerei gegen die Menschen thut: das heißt den Menschen dienen und doch frei sein. Und wieder, wie wird denn Einer, der frei ist, ein Sklave? Wenn er den Menschen dient im Schlechten, sei es durch Sucht nach Wohlleben, nach Geld oder Herrschaft: ein Solcher ist, obwohl frei, mehr Sklave als Alle. Siehe Beides an einem Beispiele! Joseph war Sklave, aber nicht ein Sklave der Menschen; darum war er auch in der Sklaverei freier als alle Freien; er gab deßhalb der Gebieterin in Dem, was sie von ihm wünschte, nicht nach. Diese hingegen war eine Freie und doch mehr Sklavin als irgend eine Andere, indem sie ihrem Sklaven schmeichelte und ihn bat; allein sie konnte den Freien nicht überreden, zu thun, was er nicht wollte. Das war also nicht Knechtschaft, sondern die höchste Freiheit; denn was hinderte ihn die Knechtschaft an der Ausübung der Tugend? Mögen es hören Sklaven und Freie! Wer war hier Sklave, Der, den sie hat, oder sie, die ihn hat? sie, die ihm schmeichelte, oder er, der die Schmeichlerin abwies? Die Knechtschaft hat ihre von Gott bestimmten Gränzen, die nicht überschritten werden dürfen; in wie weit man innerhalb derselben Maaß zu halten habe, ist durch Gesetze bestimmt. Wenn der Herr Nichts gegen den Willen Gottes gebietet, so soll man ihm willig gehorchen, nicht aber weiter; denn so wird aus dem Sklaven ein Freier. Überschreitest du aber die Gränze, so bist du, wenn gleich ein Freier, zum Sklaven geworden. Das deutet er S. 316 also an mit den Worten: „Werdet nicht Sklaven der Menschen!“ Wäre nicht dieses der Sinn und wollte er die Sklaven auffordern, ihre Herren zu verlassen und sich in Freiheit zu setzen, wie würde er denn die Ermahnung gegeben und gesagt haben:
24. Ein Jeder bleibe in dem Berufe, in dem er berufen ward!
Und anderswo: „Die als Sklaven unter dem Joche sind, sollen ihre Herren aller Ehre würdig erachten … und Diejenigen nicht mißachten, welche Gläubige zu Herren haben, weil sie Brüder sind, welche an der Wohlthat Theil nehmen.“1 Dasselbe verordnet und gebietet er in den Sendschreiben an die Epheser2 und Kolosser.3 Daraus geht deutlich hervor, daß er diese Sklaverei nicht aufhebt, sondern jene, welcher durch die Sünden auch Freie verfallen, und welche die schlimmste ist, selbst dann, wenn ein Freier ihr dient. Denn was nützte es den Brüdern Josephs, daß sie Freie waren? Waren sie nicht elendere Sklaven als alle, da sie den Vater belogen und zu den Kaufleuten und zu dem Bruder die Unwahrheit sagten? Nicht also handelte dieser Freie: er war stets und in Allem wahrhaft; Nichts vermochte ihn zum Sklaven zu machen, nicht Bande, nicht Knechtschaft, nicht die Liebe seiner Gebieterin, nicht das fremde Land; überall und immer blieb er ein Freier. Das ist die höchste Freiheit, wenn sie selbst in der Sklaverei glänzt.