IX.
Und ist nicht eben Das hohe Weisheit: — das Gegenwärtige verachten, die Tugend hochschätzen, den Lohn nicht hienieden suchen, sondern seine Hoffnungen höher erheben, eine solche Seelenstärke und Festigkeit des Glaubens besitzen, daß man durch kein Übel dieses Lebens in der Hoffnung des zukünftigen wankend werde?
Willst du aber die Kraft der Verheissungen und Weissagungen und die Wahrheit Dessen, was geschehen ist, und was noch erst geschehen soll, kennen lernen? Betrachte, wie Alles vom Anfange an gleich einer goldenen Kette mannigfach in einander geschlungen erscheint. Christus sagte den Aposteln Manches über seine eigne Person, über die Kirche, über zukünftige Dinge, und da er Dieses sagte, wirkte er auch Wunder. Aus der Erfüllung jener Vorhersagungen ist somit offenbar, daß auch die Wunder und die künftigen Verheissungen wahr sind. Damit das Gesagte noch deutlicher werde, will ich es aus der Sache selber erläutern. Durch ein einziges einfaches Wort erweckte er den Lazarus und stellte ihn den Anwesenden lebendig vor Augen; wiederum S. 127 sagte er: „Die Pforten der Hölle werden die Kirche nicht überwältigen;“ und: „Wer Vater oder Mutter verläßt, wird es in dieser Welt, hundertfältig wieder erhalten und das ewige Leben erben.“1 Da ist nun ein Wunder, die Auferweckung des Lazarus, aber zwei Vorhersagungen, wovon die eine in diesem, die andere im zukünftigen Leben erfüllt wird. Nun sieh’, wie das Eine durch das Andere bestätiget wird! Wollte nämlich Jemand an der Auferstehung des Lazarus zweifeln, so soll ihm das Wunder glaubwürdig werden aus der Verheissung in Betreff der Kirche. Denn was vor so langer Zeit vorausgesagt worden, ist eingetroffen und in Erfüllung gegangen: denn die Pforten der Hölle haben die Kirche nicht überwältigt. Derjenige nun, der bei dieser Verheissung die Wahrheit gesprochen, hat nun offenbar auch jenes Wunder gewirkt. Und wenn er Wunder gewirkt und seine Verheissung erfüllt hat, so ist offenbar, daß er auch Wahrhaft ist in der Verheissung des Zukünftigen, da er sagt, daß, „wer das Gegenwärtige verachtet, es hundertfach wieder erhalten und das ewige Leben erben werde.“ Denn was schon verheissen und in Erfüllung gegangen, ist das sicherste Unterpfand, daß auch das Zukünftige werde erfüllt werden. Dieß alles und Ähnliches wollen wir aus den Evangelien sammeln, damit den Heiden antworten und ihnen den Mund stopfen.
Wenn aber Jemand die Frage aufwerfen sollte, warum denn der Irrthum nicht gänzlich vertilgt worden sei, so können wir antworten: Daran seid ihr selbst Schuld, da ihr euch euerem eigenen Heil widersetzet; denn Gott hatte die Sache so eingerichtet, daß keine Spur des Heidenthums mehr übrig bleiben sollte. — Laßt uns nun das Gesagte nochmal kurz wiederholen. Was ist also natürlicher: daß die Schwachen von den Starken besiegt werden, oder das Gegentheil? Welche siegen denn eher, die da Leichtes oder S. 128 die Schweres gebieten? die zu einer gefahrvollen, oder die zu einer gefahrlosen Religion hinüberziehen? die, welche Neuerungen einführen, oder die, welche das Gewohnte festhalten? die, welche einen rauhen, oder die, welche einen bequemen Weg vorschreiben? die, welche von der Religion der Väter abziehen, oder die, welche keine neuen Gesetze einführen? die, welche alles Gute erst nach dem Tode versprechen, oder die, welche es in diesem Leben verheissen? Siegt die größere Anzahl über die Wenigen, oder umgekehrt? — „Aber auch ihr“, heißt es, „habt ja Verheißungen für das gegenwärtige Leben.“ Was haben wir denn hier für Verheissungen? Die Vergebung der Sünden und das Bad der Wiedergeburt. Jedoch die Taufe zeigt erst im zukünftigen Leben ganz besonders ihre Vortheile; auch Paulus ruft aus: „Ihr feid abgestorben, und euer Leben ist mit Christo verborgen bei Gott. Wenn aber euer Leben erscheinen wird, dann werdet auch ihr mit ihm in Herrlichkeit erscheinen.“2 Wenn aber die Taufe auch hier schon Gutes mit sich bringt, wie sie es thatsächlich thut, so ist auch Das ein Beweis eines großen Wunders, daß sie Menschen, welche zahllose Missethaten begangen und darin ihres Gleichen nicht hatten, überreden konnten, daß ihnen Alles erlassen sei und für sie keines ihrer Vergehen mehr Rechenschaft zu geben haben würden. Sie verdienen daher gerade darum die höchste Bewunderung, daß sie Barbaren bewogen, einen solchen Glauben anzunehmen, in Betreff der zukünftigen Dinge gute Hoffnungen zu hegen und dann nach Ablegung der frühern Sündenlast um der Tugend willen sich freudigen Muthes den Mühseligkeiten zu unterziehen; daß diese (Barbaren) nicht mehr an sinnlichen Dingen hangend und über alles Körperliche erhaben die geistigen Gaben empfingen, und daß Perser, Sarmaten, Mauren und Inder mit der Lehre von der Reinigung der Seele, von der Kraft Gottes und seiner unaussprechlichen S. 129 Güte, mit der Philosophie des Glaubens, der Herabkunft des Heiligen Geistes, der Auferstehung der Leiber und vom ewigen Leben bekannt wurden. Denn in allen diesen Lehren und in noch mehreren unterrichteten die Fischer die barbarischen Völker bei ihrer Einweihung durch die Taufe. Dieß alles wollen wir daher genau behalten und den Heiden zur Antwort geben, nebstdem aber auch durch unsern Wandel die Sache beweisen, damit einerseits wir gerettet werden, andererseits aber auch Jene heranziehen zur Verherrlichung Gottes; denn ihm gebührt die Ehre in Ewigkeit. Amen.
