V.
Das kann man auch an allen andern Dingen bemerken. S. 183 Denn eine Pflanze, die frisch in die Erde gesetzt worden ist, läßt sich leicht ausreissen; hat sie aber lange Zeit darin gewurzelt, so bedarf es dazu einer größern Kraft. Ein neu aufgeführtes Gebäude läßt sich von Denjenigen, die es darauf absehen, leicht erschüttern; sobald es aber einmal recht befestiget ist, kostet es für Diejenigen, die es zu Fall bringen wollen, bedeutende Mühe. So lassen sich auch wilde Thiere, wenn sie längere Zeit an einem Orte sich aufgehalten, nicht leicht mehr vertreiben. Darum rathe ich Denjenigen, die noch nicht von dieser Krankbeit befallen sind, sich von ihr nicht ergreifen zu lassen. Denn es ist leichter, sich vor dem ersten Falle zu hüten, als nach dem Falle wieder aufzustehen; Denjenigen aber, welche die Krankheit bereits ergriffen und zu Boden geworfen, verheisse ich durch Gottes Gnade große Hoffnung der Rettung, falls sie sich der Vernunft als Arzt überantworten wollen. Denn wenn sie sich an die Kranken erinnern, die an diesem Übel gelitten und dann davon geheilt worden sind, so werden auch sie große Hoffnung der Wiedergenesung erlangen. Wer war denn dieser Krankheit verfallen, und wurde davon ohne Mühe befreit? Jener Zachäus. Denn wer ist geldgieriger als ein Zöllner? Dennoch wurde er schnell ein Weiser und löschte die ganze Fieberhitze. So auch Mattbäus; denn auch dieser war ein Publikan und lebte von beständigem Raube. Aber auch dieser entzog sich schnell dem Verderben, löschte den Durst und trieb nun Geschäfte geistiger Art. An diese und dergleichen denke nun, und laß auch du den Muth nicht sinken. Denn wenn es dir Ernst ist, kannst du bald genesen; und wenn du willst, so wollen wir dir nach Art der Ärzte genau vorschreiben, was du zuthun hast. Vor allem Andern muß man die Sache so ricktig anstellen: den Muth nicht sinken lassen und an seiner Rettung nicht verzweifeln. Dann soll man nicht nur auf die Beispiele Derjenigen, die sich gebessert haben, sondern auch auf die Leiden Derjenigen schauen, die krank geblieben sind. Denn so wie wir des Zachäus und Matthäus gedacht haben, so müssen wir auch an Judas, Giezi, Achaz und Achab, S. 184 Ananias und Sapphira denken: an die Einen, damit wir nicht verzweifeln, an die Andern, damit wir der Trägheit entsagen, und damit unsere Seele gegen die gegebenen Ermahnungen nicht gleickgiltig werde. Wir wollen uns gewöhnen zu sprechen wie die Juden, die zu Petrus kamen und fragten: „Was müssen wir thun, damit wir selig werden?“1 Hören wir, was zu thun ist. Was sollen wir also thun? Wissen sollen wir, daß Alles vergänglich, daß der Reichthum ein entlaufener und undankbarer Sklave ist, der seine Herren in zahllose Übel stürzt. Dieses Lied wollen wir den Geizigen beständig vorsingen. Gleichwie nämlich die Ärzte ihre Kranken, wenn sie kaltes Wasser verlangen, mit Verheissungen trösten, und bald die Schuld auf die Quelle, bald auf das Gefäß werfen, bald die gelegene Zeit und Ähnliches vorschützen (denn wenn sie ihnen Anfangs dasselbe versagten, so würden sie die Kranken höchlich erbittern), — so wollen es auch wir mit Geldbegierigen machen. Sagen sie: Wir wollen reich werden, so dürfen wir nicht sogleich erwidern, der Reichthum sei eine schlimme Sache, sondern wir sollen ihnen beistimmen und sagen, daß auch wir denselben Wunsch hegen, aber zur rechten Zeit, aber nach wahrem Reichthum, der ewige Freude gewährt, der für uns, nicht für Andere, oft sogar für Feinde gesammelt wird. Auch philosophisch wollen wir (mit ihnen) reden und sagen: Wir verbieten nicht, Schätze zu sammeln, wohl aber, sie auf sündhafte Weise zu sammeln; denn man darf Schätze sammeln, aber ohne Geiz, ohne Raub, ohne Gewaltthätigkeit, ohne sich bei Andern einen schlechten Namen zu machen. Durch solche Reden sollen wir sie vorerst gewinnen) und nicht gleich von der Hölle sprechen; denn der Kranke verträgt eine solche Sprache Anfangs wohl nicht. Deßhalb sollen wir darüber mit ihnen immer nur von dem Gegenwärtigen sprechen und sagen: Warum S. 185 willst du durch Geiz dich bereichern? Auf daß du für Andere Gold und Silber, für dich aber tausend Flüche und Vorwürfe häufest? Daß Derjenige, den du beraubt hast am Nöthigsten Mangel leide und jammere und dir tausend Ankläger zuziehe? Daß er bei anbrechendem Abende auf dem Markte herumschleiche, in den Winkeln der Stadt Alle anbettele und hilflos nicht wisse, was er über Nacht anfangen soll? Denn wie sollte er auch schlafen, da ihn der knurrende Magen wecket, der Hunger quält, oft auch noch Frost und Regen dazu kömmt? Du kömmst aus dem Bade, in warme Kleider gehüllt, und eilest freudig und munter zu einem köstlichen Mahle. Jener aber schleicht, von Kälte und Hunger getrieben, beständig auf dem Markte umher, gebeugt und die Hände ausstreckend, und wagt es aus Furcht nicht, Dich, der du behäbig und satt bist, um die nothdürftige Nahrung zu bitten; oft ist er sogar beschimpft von dannen gezogen. Wenn du nun nach Hause kommst und auf deinem Polster ruhest, und das Haus glänzend erleuchtet ist, und eine köstliche Tafel vor dir steht: Dann gedenke jenes Armen und Unglücklichen, der nach Art der Hunde bei dunkler Nacht und im Kothe in den Gassen herumzieht, und der von dort weg nicht nach Hause, nicht zu seinem Weibe, nicht in’s Bett geht, sondern auf einen Strohhaufen, wie wir es bei Hunden sehen, welche die ganze Nacht hindurch bellen. Du, wenn du nur einen kleinen Wassertropfen durch das Dach rinnen siehst, kehrst das ganze Haus um, rufst die Diener herbei und setzest Alles in Bewegung; Jener aber, in Lumpen gehüllt, im Kothe liegend, auf einem Strohlager, ist der grimmigsten Kälte ausgesetzt.
Apostelg. 2, 37. ↩
