IV.
Was thust du, Freund? Du hältst es für zweckdienlich, das Werk des Mitbruders zu zerstören; aber mehr noch als das seinige zerstörst du dein eigenes. Siehst du nicht die Gärtner, die Landbebauer, wie sie sämmtlich nach einem Ziele streben? Der Eine gräbt, der Andere pflanzt, der Dritte legt Erde um die Wurzel, ein Anderer begießt das Gepflanzte, ein Anderer zieht Zaun und Mauer herum, ein Anderer verscheucht die wilden Thiere; und Alle haben nur ein Ziel im Auge, das Gedeihen der Pflanzung. Hier aber nicht so; sondern ich pflanze, ein Anderer rüttelt und lockert. Laß es nur erst gehörig einwurzeln, damit es den Angriff eher überdauern könne! Du reißt ja nicht mein Werk aus, sondern zerstörst dein eigenes; ich habe gepflanzt, du solltest begießen. Wenn du demnach rüttelst, so reißt du die Wurzel aus, und dann bleibt dir sticht mehr der Ruhm des Begießens.
Aber du siehst ungerne das Ansehen des Pflanzenden! fürchte nicht! weder ich bin Etwas, noch du; denn „weder wer pflanzt, ist Etwas, noch wer begießt;“1 Beides ist S. 436 eines und desselben Werk, Gottes. So ist es also Gott, den du bekämpfst und bekriegst, wenn du das Gepflanzte herausreißest.
So laßt uns denn einmal nüchtern werden und aufwachen. Nicht so sehr fürchte ich den Krieg von aussen, wie den Kampf im Innern; denn es hat ja auch die Wurzel, die wohl im Boden befestigt ist, Nichts von den Winden zu fürchten; wenn aber sie wankt, wenn ein Wurm sie von innen durchnagt, so braucht es zum Falle gar keines Anstoßes von aussen. Wie lange denn noch zernagen wir die Wurzel der Kirche nach Art der Würmer? Denn dem Boden entwachsen sie, solche Gesinnungen, ja nicht einmal dem Boden, sondern dem Miste; denn sie haben die Fäulniß zur Mutter; und sie können sich nicht losmachen von der verwünschten Pflege von Seite der Frauen. So werden wir denn einmal entschlossene Männer, werden wir edle Kämpfer der Tugend und werfen wir die üppige Saat dieses Unheils hinaus! Denn wie einen entseelten Leib sehe ich jetzt die ganze Kirche darnieder liegen; und wie man an einem Leibe, aus dem eben erst das Leben entwichen ist, noch die Augen sehen kann, noch die Hände und Füße, noch Hals und Kopf, wie aber keines der Glieder mehr seinen Dienst versieht, so sind eben auch hier Alle Gläubige, die ich vor mir sehe, aber dem Glauben fehlt das Leben; denn die Wärme haben wir ausgetrieben und dem Leibe Christi das Leben geraubt. Und ist Das schon schrecklich , wenn ich es sage, so wird es noch schrecklicher, wenn es in der Wirklichkeit erscheint. Denn wir haben wohl den Namen von Brüdern, aber die Werke von Feinden; wir heissen Alle Glieder und stehen einander wie wilde Thiere gegenüber.
Dieses sage ich, nicht um Alle mit unserer Lage bekannt zu machen, sondern um heilsam zu beschämen und zur Umkehr zu bewegen. Es tritt z. B. Der oder Jener in ein Haus und wird ehrenvoll empfangen; dafür solltest du S. 437 Gott danken, daß ein Glied von dir so geehrt und Gott verherrlicht wird; nun aber thust du das Gegentheil; du redest ihm übel vor Dem, der ihn geehrt hat, und wirst so Beiden zum Ärgernisse und bringst noch Schmach und Schande über dich selbst. Weßhalb denn, du kläglicher, armseliger Mensch? Du hörst das Lob des Bruders aus dem Munde von Männern oder von Frauen und grämst dich? Füge zu ihrem Lobe noch das deine; so wirst du auch dich loben. Wolltest du aber das Lob des Bruders noch zunichte machen, so hast du erstlich gegen dich selbst gesprochen und dich in schlimmes Ansehen gesetzt, und dann hast du den Bruder noch mehr erhöht. Hörst du Jemands Lob, so stimme in das Gesagte ein, und bist du auch dem Gelobten ungleich an Leben und Tugend, so theile doch die Freude über das fremde Gute. Jemand hat gelobt? so bewundere auch du! Denn so wird der Nämliche auch dich loben als einen rechtschaffenen, edelgesinnten Mann. Fürchte nicht, daß du mit dem Lobe des Nebenmenschen dein eigenes zerstörst; denn nur bei den Anklagen findet Das statt. Es lieben ja die Menschen Recht zu behalten; und wenn Einer deine Lust zu übler Nachrede sieht, so steigert er noch das Lob, um dich auf diese Weise zu kränken, und dann auch, um seine Mißachtung gegen den Ankläger kund zu geben und ihn vor Anderen bloß zu stellen.
Siehst du, welche Beschämung wir uns selbst verschulden? wie wir die Heerde Christi verderben und zerreissen? So werden wir denn endlich Glieder, werden wir ein Leib! Und wer sein eigenes Lob hört, der lehne die Ehre von sich ab und übertrage die Lobsprüche auf den Bruder; und wer das Lob des Anderen hört, der stimme von Herzen bei! Wenn wir so mit einander verbunden sind, so werden wir auch das Haupt auf uns herabziehen; sind wir aber unter einander getrennt, so werden wir auch der Hilfe von oben uns berauben; fehlt uns aber diese, so wird des Verderbens im Leibe kein Ende sein, weil nach S. 438 oben der Abschluß fehlt. Damit nun Dieses nicht geschehe, so laßt uns Neid und Mißgunst aus dem Herzen verbannen und den Ruhm vor der Menge verachten und Liebe und Eintracht pflegen. Denn so werden wir der gegenwärtigen und der künftigen Güter theilhaftig werden. Mögen diese uns allen zu Theil werden durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater zugleich mit dem heiligen Geiste Ruhm, Macht und Ehre jetzt und immer und zu ewigen Zeiten. Amen.
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I. Kor. 3, 7. ↩