3.
In dieser Weise aber drückte er sich aus, nicht aus Mißtrauen zur Gesinnung der Apostel oder deren Unkenntnis, sondern, wie gesagt, lediglich weil es ihm zweckdienlich schien, dergestalt seiner Rede eine andere Wendung zu geben. Um jedoch den Schein zu vermeiden, als stünde er gegen sie und wolle sie deshalb angreifen, und um infolgedessen nicht den Verdacht einer Meinungsverschiedenheit zu erwecken, fügt er sogleich berichtigend die Worte bei: „Mir haben die, so da etwas zu sein schienen, nichts hinzugelegt.“ Was soll das heißen? Was ihr davon haltet, meint Paulus, weiß ich nicht; ich weiß nur das eine recht gut, daß, von einem Gegensatz gar nicht zu reden, die Apostel mir innerlich und äußerlich beipflichteten. Das drückt er durch die Worte aus: „sie gaben Handschlag.“1 Doch spricht er vorläufig noch nicht darüber, sondern versichert nur: sie belehrten nicht, sie berichtigten nicht, sie fügten meinem Wissen nichts bei. S. 63 „Mir haben diejenigen, so da etwas zu sein schienen, nichts hinzugefügt;“ d. h. nachdem sie meine Lehre vernommen hatten, fügten sie nichts hinzu und berichtigten nichts. Und obschon sie wußten, daß ich nur zu dem Zwecke kam, um ihnen Mitteilung zu machen, und daß ich zufolge einer Offenbarung kam, um ihnen Mitteilung zu machen, und daß ich den unbeschnittenen Titus bei mir hatte, haben sie weder meinem Wissen etwas beigefügt, noch auch jenen beschnitten.
V. 7: „Sondern im Gegenteile.“
Was heißt das: „im Gegenteile?“ Einige behaupten, er wolle damit sagen; statt ihn zu belehren, seien sie (selbst) von ihm belehrt worden. Ich möchte dem nicht beipflichten. Was hätten sie von ihm noch lernen sollen? Sie waren ja alle vollendete Meister. Nicht das also meint er mit dem „im Gegenteile“, sondern er will sagen: sie hätten nicht nur keinen Tadel geäußert, sondern, weit entfernt von jedem Vorwurfe, ihm sogar Lob gespendet. Denn das Gegenteil von Tadel ist Lob. — Da lag nun der Einwurf sehr nahe: Wenn sie lobten, warum schafften sie die Beschneidung nicht ab? Denn wenn sie lobten, mußten sie abschaffen. — Zu sagen, sie hätten sie wirklich abgeschafft, erschien ihm doch allzu dreist und als offenbarer Widerspruch mit seiner eigenen Behauptung. Hinwiederum gestehen, man habe die Beschneidung erlaubt, mußte notwendigerweise zu einem weiteren Einwand führen. Man hätte gesagt: Wenn sie deine Haltung billigten und doch wieder die Beschneidung zuließen, dann straften sich die Apostel selber Lügen. Wie zog er sich nun aus dieser Schlinge? Er konnte sagen: sie haben es den Juden zuliebe getan. Allein damit hätte er die kluge Berechnung der Apostel zunichte gemacht.2 Deswegen schweigt er, läßt die Sache im Ungewissen und gleitet darüber hinweg mit den Worten: „von denen, so da etwas zu sein schienen —, S. 64 das tut mir nichts zur Sache.“ Gerade als würde er sagen: ich will jene hl. Männer nicht anklagen, nicht verlästern. Sie wissen selber, was sie getan; sie werden ja vor Gott Rechenschaft ablegen. Was mir am Herzen liegt, ist die Feststellung der Tatsache: sie haben meine Lehre nicht verworfen, nicht berichtigt, nicht ergänzt, als hätten sie dieselbe als unzureichend befunden, nein, es wurde mir Lob, einstimmiges Lob zuteil. Titus und Barnabas können es bezeugen. Demgemäß fährt er fort: „Da sie gesehen, daß ich betraut worden mit dem Evangelium für die Unbeschnittenheit, sowie Petrus für die Beschneidung.“ Beschneidung und Unbeschnittenheit, darunter versteht er nicht die Sache selbst, sondern die Völker, welche hierdurch gekennzeichnet werden. Er fährt also fort:
V. 8: „Denn derjenige, welcher wirksam gewesen für Petrus zum Apostolate der Beschneidung, ist wirksam gewesen auch für mich zugunsten der Heiden.“
Wie er unter Unbeschnittenheit die Heiden versteht, so unter Beschneidung die Juden. Er betont, daß er nunmehr den Aposteln ebenbürtig sei, und stellt sich in eine Reihe nicht mit den übrigen, sondern mit dem Haupte, indem er zeigt, daß sie beide die gleiche Würde empfangen haben. Nachdem er den Beweis für ihre Eintracht erbracht, faßt er im folgenden Mut und redet mit einer gewissen Kühnheit; auch bleibt er nicht mehr bei den Aposteln stehen, sondern lenkt die Rede auf Christus und auf die Gnade, die ihm von Christus geschenkt worden ist. Er ruft dafür die Apostel als Zeugen auf und spricht:
V. 9: „Nachdem sie erkannt hatten die Gnade des Herrn, welche mir zuteil geworden, Jakobus, Kephas und Johannes.“
Er sagt nicht: nachdem sie gehört, sondern: „nachdem sie erkannt“, d. h. aus den Tatsachen selbst gelernt S. 65 hatten. — „Gaben sie mir und Barnabas Handschlag der Gemeinschaft.“ Siehst du, wie er Schritt für Schritt den Beweis erbringt, daß seine Lehre Christus nicht minder als den Aposteln wohlgefällig sei? Denn wenn seine Predigtweise Christus nicht wohlgefällig war, würde die Gnade weder geschenkt noch (in ihm) wirksam geworden sein. — Wo er seine Person in Vergleich bringen mußte, erwähnte er den Petrus allein; jetzt, wo er ihres Zeugnisses bedarf, alle drei zusammen, und zwar in auszeichnender Weise. „Kephas“, sagt er, „und Jakobus und Johannes, welche die Säulen zu sein schienen.“ Wiederum bestreitet er mit den Worten „welche schienen“3 nicht die Tatsächlichkeit, sondern bringt nur die Meinung auch der anderen Leute zum Ausdruck. Er will sagen: jene großen und auserwählten Männer, welche überall in aller Munde sind, sie dienen mir als Zeugen für meine Behauptung, daß meine Lehre auch den Beifall Christi hat. Sie haben diese Kenntnis aus den Tatsachen geschöpft und sind durch die Erfahrung überzeugt worden. „Deswegen gaben sie mir Handschlag“, und nicht allein mir, sondern auch „dem Barnabas“. — „Damit wir uns an die Heiden (wendeten), sie selbst aber an die Beschneidung“. O wunderbare Klugheit, unwidersprechlicher Beweis der Eintracht! Er zeigt nämlich, daß ihre Lehre seine Lehre und seine Lehre ihre Lehre ist. Denn der Beschluß, den beide Parteien faßten, ging dahin: es sollten jene den Juden also predigen, er aber den Heiden. Deshalb fährt er fort: „Damit wir uns an die Heiden wendeten, sie selber aber an die Beschneidung.“ Siehst du, wie er mit dem Worte Beschneidung auch hier nicht die Sache bezeichnet, sondern die Juden? Wenn er nämlich die Sache selbst bezeichnen will, dann stellt er ihr als Gegensatz das Wort „Unbeschnittenheit“ gegenüber; z. B. an der Stelle: „Beschneidung nützt zwar, wenn du S. 66 das Gesetz befolgst; bist du aber ein Übertreter des Gesetzes, so ist deine Beschneidung Unbeschnittenheit geworden;“4 ferner: „Weder Beschneidung hilft etwas, noch Unbeschnittenheit.“5 Wenn er aber die Juden darunter versteht und nicht die Sache, sondern das Volk bezeichnen will, nimmt er als Gegensatz nicht das Wort Unbeschnittenheit, sondern Heiden. Denn der Gegensatz zu Juden ist Heiden, zu Beschneidung Unbeschnittenheit. Wenn er also oben sagt: „Derjenige, welcher wirksam gewesen für Petrus zum Apostolat der Beschneidung, ist wirksam gewesen auch für mich unten den Heiden“, und hier analog: „Damit wir uns an die Heiden wendeten, sie selber aber an die Beschneidung“, so versteht er darunter nicht die Sache selbst, sondern das jüdische Volk, indem er es in Gegensatz zu den Heiden bringt.