3.
Weshalb also murrst du? Weil du arm bist? Aber denke an Job! — Oder weil du krank bist? Wie nun, wenn du krank geworden wärest im Bewußtsein so vieler Tugenden und guten Werke wie jener Heilige? Vergegenwärtige dir ihn abermals, wie er lange Zeit hindurch von Würmern bedeckt auf dem Misthaufen saß und den Eiter (von seinen Geschwüren) schabet! „Denn nachdem eine lange Zeit verstrichen war,“ sagt die Schrift, „da sprach zu ihm sein Weib: Wie lange noch wirst du fortfahren, zu sagen: Ich will noch eine kurze Zeit abwarten? Sprich ein Wort wider den Herrn und stirb1!“ — Oder ist dir ein Kind gestorben? Wie nun, wenn du sie alle verloren hättest, und zwar durch einen jähen Tod, wie jener? Denn ihr wißt ja, daß es großen Trost gewährt, am Bette des Kranken zu sitzen, ihm den Mund zu schließen, ihm die Augen zuzudrücken, ihm die Wange zu streicheln, seine letzten Worte zu hören. Aber nichts von alldem wurde jenem Gerechten zuteil, sondern alle (seine Kinder) wurden zumal unter den Trümmern begraben. — Doch was sage ich? Wenn dir befohlen worden wäre, in eigener Person deinen Sohn zu schlachten und zu opfern und verbrennen zu sehen, wie jenem heiligen Patriarchen? Mit welchen Gefühlen würdest du den Opferaltar errichtet, das Holz darauf gelegt, das Knäblein gebunden haben2? — Oder diese und jene schmähen dich? Wie würde dir da gewesen sein, wenn du von Freunden, die zu trösten kamen, sol- S. 127 che Schmähungen hören mußtest? Wir jetzt sind mit vielen Sünden behaftet und können mit Recht geschmäht werden; jener damals aber war redlich, rechtschaffen, Gott fürchtend, alles Böse meidend und mußte sich von seinen Freunden das Gegenteil von all dem sagen lassen. Oder wie, sag' an, wenn du dein Weib schmähend sagen hörtest: „Ich muß wie eine Sklavin, die keine bleibende Stätte hat, von Ort zu Ort, von Haus zu Haus umherwandern und warten, bis die Sonne untergeht, um mich zu erholen von den Mühsalen, die mich rings umgeben3“? Weshalb sprichst du so, du Unvernünftige? Ist denn dein Mann Schuld daran? Nein, sondern der Teufel. „Sprich ein Wort wider den Herrn,“ sagt sie, „und stirb!“ Wenn der Kranke gegen Gott spräche und stürbe, wäre dir dann leichter zu Sinn? — Es kann keine ärgere Krankheit geben als jene, magst du auch tausend andere nennen. Sie war so schwer, daß er sich nicht einmal im Hause und unter Dach aufhalten konnte; sie war so schwer, daß alle verzagten. Denn hätte seine Krankheit nicht für unheilbar gegolten, so wäre er nicht außerhalb der Stadt gesessen, in schlimmerer Lage als die mit der Elephantiasis Behafteten. Diese wohnen doch in einem Hause und leben in Gemeinschaft mitsammen; er aber brachte die Nacht unter freiem Himmel hin, auf einem Misthaufen, nackt, nicht einmal imstande, ein Kleid zu tragen. Warum wohl? Er würde wahrscheinlich seine Schmerzen noch gesteigert haben. Denn er sagt: „Ich löse die Erdkrusten auf, sie abschabend von den eiternden Wunden4.“ Sein Fleisch ging in Eiterung über und ließ Würmer hervorbrechen, und zwar beständig. — Siehst du, wie jeder von uns erschaudert, wenn er nur davon hört? Wenn es aber unerträglich ist, davon zu hören, sollte es erträglich sein, es zu schauen? Wenn es aber unerträglich ist, es zu schauen. so noch weit mehr, es zu leiden. Aber gleichwohl ertrug der Gerechte jenes Leiden, nicht bloß der Tage zwei oder drei, sondern lange Zeit hindurch, „und er versündigte sich nicht einmal mit seinen Lippen5“. Welche S. 128 Krankheit kannst du mir nennen, die so arg, so schmerzlich wäre? Denn war das nicht schlimmer als Blindheit? „Denn wie Haferschleim“, sagt er, „sehe ich meine Speise6.“ Ja noch mehr: selbst das, was den anderen Erquickung ist, Nacht und Schlaf, brachte ihm nicht die geringste Erleichterung, sondern war (für ihn) die allerschlimmste Qual. Höre nur seine eigenen Worte: „Warum ängstigst du mich durch Träume und erschreckst mich durch Nachtgesichte7?“ „Wenn der Morgen anbricht, sage ich: Wann wird es Abend werden8?“ Und dennoch murrte er nicht. Und nicht dieses allein war's, sondern auch die (schlechte) Meinung der Menge; denn aus seinen Leiden zogen sie den Schluß, er müsse unzähliger Verbrechen schuldig sein. Sogar seine Freunde sprachen diese Überzeugung aus: „Du bist für deine Sünden noch nicht so gezüchtigt, wie du es verdient9.“ Darum sagte er auch selbst: „Und es geben mir Verweise die Niedrigsten, die ich nicht wert hielt, den Hunden meiner Herde gleichzustellen10.“ — Ist das nicht schlimmer als tausendfacher Tod? Allein obschon so gewaltiger Wogenschwall ihn rings umbrandete, obschon von allen Seiten heftiger Sturm sich erhob, dunkles Gewölk, Unwetter, Blitze, Wirbel und Strudel; er blieb unbeweglich, als läge er im windstillen Hafen bei diesem so gefährlichen, so reißenden Orkane — und murrte nicht; und dieses vor der Zeit der Gnade, bevor noch über die Auferstehung, bevor noch über Hölle, Strafe und rächende Vergeltung ein Wort gesprochen war! Wir dagegen hören die Propheten, Apostel und Evangelisten, haben zahllose Musterbilder vor Augen und kennen die Lehre von der Auferstehung: und trotzdem sind wir noch ungeduldig, wiewohl schwerlich einer behaupten kann, daß ihn so schweres Unglück betroffen habe. Denn wenn er Hab und Gut verloren hat, so doch nicht so viele Söhne und Töchter; und hat er sie ver- S. 129 loren, dann vielleicht infolge seiner Sünden; jener aber verlor sie plötzlich, gerade während er opferte, gerade während er dem Dienste Gottes oblag. Und wenn so viele Kinder und ein so reiches Vermögen, was nicht wohl denkbar ist, so war er doch nicht beständig mit Geschwüren bedeckt, so daß er den Eiter hätte abschälen müssen. Und wenn auch dies, so hatte er doch nicht solche Angriffe und Schmähungen auszustehen; gerade das pflegt uns am allermeisten zu schmerzen, mehr noch als Unglücksfälle. Denn wenn wir trotz des Bestrebens der Leute, uns im Unglück zu trösten und (aufzurichten) und uns gute Hoffnung zu machen, gleich so verzagt sind: bedenke dann, wie es erst war, nur Vorwürfe hören zu müssen! Wenn schon das Wort: „Ich hoffte auf Mitleid, aber vergeblich, und auf Tröster, fand aber keine11“, schwer und unerträglich ist: welches Wehe mußte es erst bereiten, statt der Tröster nur bittere Tadler zu finden! „Lästige Tröster“, sagt er, „seid ihr alle12.“