2.
Siehe, wie er alles von Gott abhängig macht und nichts aus eigenem Sinne spricht! Das heißt wenn Gott will.
V. 25: „Ich habe es jedoch für notwendig erachtet, den Epaphroditus, meinen Bruder und Mitarbeiter und Mitstreiter ...“
Auch diesen wiederum sendet er unter den gleichen Lobeserhebungen ab wie den Timotheus. Letzteren nämlich empfahl er aus folgenden zwei Gründen: einmal daß er sie liebe — das besagen die Worte; „der so redlich an eurem Wohl und Wehe Anteil nähme“ —, und dann, daß er im Dienste des Evangeliums sich ausgezeichnet habe. Auch den Epaphroditus seinerseits lobte er aus den nämlichen Gründen, aus derselben Ursache wie den Timotheus. Wieso? Indem er ihn „Bruder“ und „Mitarbeiter“ nennt, ja nicht dabei stehen bleibt, sondern ihn auch „Mitstreiter“ heißt, zeigt er, daß derselbe alle Gefahren redlich mit ihm geteilt habe, und stellt ihm dasselbe Zeugnis aus wie sich selbst. Der Ausdruck „Mitstreiter“ aber besagt mehr als der Ausdruck „Mitarbeiter“. Denn er konnte etwa in leichteren Dingen mitarbeiten, aber nicht mehr in Krieg und Gefahren; durch den Ausdruck „Mitstreiter“ aber gibt er auch dieses zu verstehen. — „... und euren Abgesandten,“ heisst es weiter, „und Diener für meine Bedürfnisse zu euch zu senden.“ Das heißt; ich schenke euch das Eurige wieder; entweder wir schicken euch den Mann aus eurer S. 137 Mitte oder den, der euch Aufschluß geben soll. Abermals setzt er vieles über dessen Liebe hinzu und spricht:
V. 26: „Denn er sehnte sich nach euch allen und war bekümmert, weil ihr gehört hattet, daß er erkrankt war.“
V. 27: „Er war auch wirklich todkrank; allein Gott hat sich seiner erbarmt, und nicht bloß seiner, sondern auch meiner, damit ich nicht Betrübnis über Betrübnis hätte.“
Mit dieser Stelle aber bezweckt er noch etwas anderes, indem er deutlich ausspricht: Epaphroditus weiß ebenfalls recht wohl, wie er von euch geliebt wird. Dies trägt aber nicht wenig zur Liebe bei. Ihr wisset, wie er krank war, meint er; und es schmerzte ihn, daß er nach seiner Genesung euch nicht sofort sehen und euch von der Betrübnis befreien konnte, die ihr wegen seiner Krankheit hattet. — Noch einen andern Zweck verfolgt der Apostel mit dieser Stelle, daß er (nämlich) erst so spät jemanden zu ihnen schickt; aber nicht aus Gleichgültigkeit; sondern den Timotheus behielt er bei sich, weil er sonst niemanden hatte — denn er hatte, sagt er, keinen so Gleichgesinnten —, den Epaphroditus aber wegen seiner Krankheit. Um sodann zu zeigen, daß dieselbe langwierig gewesen und viele Zeit in Anspruch genommen habe, sagt er: „Er war auch wirklich todkrank.“ Siehst du, wie viele Mühe sich Paulus gibt, um jeden argwöhnischen Gedanken an Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit aus der Seele seiner Schüler zu verbannen und (bei ihnen) nicht in den Verdacht zu geraten, als sei er aus Geringschätzung gegen sie nicht gekommen? Denn nichts wird den Schüler so sehr anzuziehen vermögen als die Überzeugung, daß der Vorgesetzte (stets) an ihn denkt und daß er um ihn bangt, was ein Beweis überschwenglicher Liebe ist. — „... weil ihr gehört hattet,“ spricht er, „daß er erkrankt war; er war auch wirklich todkrank.“ Und daß ich nicht leere Ausflüchte mache, so vernehmt: „Allein Gott hat sich seiner erbarmt.“ —
Was sagst du dazu, Häretiker1? Hier nennt es Paulus einen Beweis der göttlichen Barmherzigkeit, daß sie den, der bereits von der Welt abzuscheiden im Be- S. 138 griffe stand, zurückhielt und wieder zur Umkehr nötigte. Und doch — wenn die Welt etwas Böses ist, so kann doch dies kein Beweis von Barmherzigkeit sein, ihn in dieser bösen Welt zu belassen! Indes dem Häretiker gegenüber fällt die Antwort nicht schwer; was aber sollen wir dem Christen entgegnen? Denn auch er mag vielleicht zweifeln und den Einwand erheben: Wenn es „bei weitem das Bessere ist, aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein2“, warum heißt es hier, er habe Barmherzigkeit gefunden? Ich aber will die Gegenfrage stellen: Warum erklärt es derselbe Apostel für „notwendiger, zu bleiben um euretwillen3“? Sowie es nämlich für ihn notwendig war (zu bleiben), so auch für Epaphroditus, da er mit einem reicheren Schatze von Verdiensten und mit größerer Zuversicht zu Gott hinübergehen sollte. Denn dieses mußte, wenn es auch nicht gleich geschah, doch über kurz oder lang geschehen; Seelen gewinnen aber ist hinfort unmöglich, sobald man ins Jenseits hinübergegangen ist. Sehr häufig auch richtet sich Paulus in seiner Ausdrucksweise nach dem unter seinen Zuhörern üblichen Sprachgebrauche; nicht überall bedient er sich der erhabenen Sprache christlicher Weisheit. Er mußte zu Weltleuten reden, die sich noch vor dem Tode fürchteten. Sodann will er zeigen, wie hoch Epaphroditus in seiner Achtung stehe, und dadurch Ehrfurcht gegen ihn erwecken, daß er erklärt, seine Erhaltung sei für ihn selbst von so großem Nutzen, daß in ihm auch er selbst Gottes Barmherzigkeit erfahren habe. — Übrigens ist, auch abgesehen davon, das gegenwärtige Leben etwas Gutes; denn wenn es nichts Gutes wäre, warum erblickt dann der Apostel in dem vorzeitigen Tode eine Strafe? So wenn er sagt: „Deswegen sind unter euch viele Kranke und Schwache und entschlafen so viele4.“ Denn das künftige Leben ist nicht für den Bösen das bessere — für ihn ist es überhaupt nicht gut —, sondern das bessere nur für den Guten. — „Damit ich nicht Betrübnis über Betrübnis hätte“, sagt er; S. 139 nämlich zu der Betrübnis über seine Krankheit auch noch die über seinen Tod. Dadurch zeigt er, wie hoch er den Epaphroditus schätzt.
V. 28: „Um so eiliger sende ich ihn nun ...“
Was bedeutet: „um so eiliger“? Es bedeutet: ohne Aufschub, unverzüglich, in aller Schnelligkeit, mit dem Auftrage, alles liegen und stehen zu lassen, um zu euch zu kommen, damit er von seiner Bekümmernis befreit werde. Denn wenn wir auch hören, daß unsere Lieben gesund und wohl sind, so ist unsere Freude doch nicht so groß, als wenn wir sie sehen, namentlich wenn dies gegen alle Erwartung geschieht, wie es eben bei Epaphroditus der Fall war. — „Um so eiliger sende ich ihn nun,“ spricht er, „damit ihr euch seines Wiedersehens freuet und ich weniger Betrübnis habe.“ Inwiefern weniger Betrübnis? Weil, wenn ihr euch freut, auch ich mich freue und dieser an einer solchen Lust sich freut und ich (dadurch) weniger Betrübnis haben werde. Er sagt nicht: Ich werde ohne Betrübnis sein, sondern: „Ich werde weniger Betrübnis haben“, um anzuzeigen, daß seine Seele nie ganz frei von Betrübnis war. Denn wann wäre er, der da sagt: „Wer wird schwach, ohne daß ich schwach werde? Wer wird geärgert, ohne daß ich brenne5?“ — wann wäre er jemals ganz frei von Betrübnis gewesen? Das heißt6: daß ich wenigstens diesen Kummer ablegen kann.
V. 29: „Nehmt ihn also auf im Herrn mit aller Freude!“
„Im Herrn“, was entweder soviel ist als: in geistlicher Weise, das heißt: mit der größten Aufmerksamkeit; oder besser der Ausdruck „im Herrn“ in der Bedeutung: nach Gottes Willen. Nehmt ihn auf, wie es die Heiligen verdienen, wie es den Heiligen zukommt: „mit aller Freude“.