5.
Warum empfängst du die Taufe? Warum betrittst du die Kirche? Stellen wir dir etwa Ämter und Würden in Aussicht? Unsere ganze Hoffnung beruht auf der Zukunft. Warum also kommst du her, wenn du nicht an die Hl. Schrift glaubst? wenn du nicht an Christus glaubst? Einen solchen kann ich keinen Christen heißen — Gott bewahre —, sondern muß ihn schlimmer nennen als die Heiden. Inwiefern? Insofern als du die Gottheit Christi annimmst und dennoch ihm als Gott keinen Glauben schenkst. Denn bei jenen bleibt die Gottlosigkeit sich konsequent; wer nämlich Christus nicht für Gott hält, der wird ihm notwendig auch den Glauben versagen. Hier aber ist die Gottlosigkeit inkonsequent, indem sie ihn als Gott bekennt und dennoch seine Aussprüche nicht für glaubwürdig hält. Nur die Trunkenheit, die Schwelgerei, die Üppigkeit kann diese Sprache führen: „Laßt uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot1!“ Nicht morgen erst, sondern sobald ihr so sprecht, seid ihr schon tot. Sollen wir uns denn, ich bitte dich, in nichts von den Schweinen und Eseln unterscheiden? Denn gibt es weder Gericht noch Vergeltung noch Richterstuhl, wozu sind wir mit der so herrlichen Gabe der Vernunft ausgezeichnet und stehen über der ganzen Schöpfung? Warum herrschen wir, während sie uns dienen muß? — Beachte, wie der Teufel sich alle erdenkliche Mühe gibt, uns zur Verkennung des göttlichen Geschenkes zu bestimmen! Er sucht den Unterschied zwischen Sklaven und Herrn zu verwischen; er gleicht einem Seelenverkäufer und undankbaren Knechte, der den freien auf dieselbe niedrige Stufe herabzwingen will, S. 267 auf welcher sich der verbrecherische Sklave befindet. Und indem er scheinbar nur das Gericht aufhebt, hebt er in Wirklichkeit das Dasein Gottes auf. Das ist eben stets die Art des Teufels: er greift immer tückisch aus dem Hinterhalte an, nie offen und gerade, so daß wir uns sehr in acht nehmen müssen. Gibt es kein Gericht, so ist Gott nicht gerecht — menschlich gesprochen; ist Gott nicht gerecht, so gibt es überhaupt keinen Gott; gibt es keinen Gott, dann geschieht alles schlechterdings, dann sind Tugend und Laster nichtssagende Begriffe. Aber nichts davon spricht er offen aus. Begreifst du nun, worauf es der Teufel abgesehen hat? wie er den Menschen zum unvernünftigen Vieh, mehr noch zur wilden Bestie, mehr noch zum Teufel machen will? Lassen wir uns darum nicht verführen! Denn es gibt ein Gericht, du Elender und Unseliger! Ich weiß, wodurch du zu solchen Reden kommst: du hast viele Sünden begangen, hast Gott schwer beleidigt, das Vertrauen auf ihn eingebüßt; nun schaffst du dir den Wahn, die Dinge seien wirklich so, wie du sie dir zurechtlegst. —
Vorderhand, sagt man, brauche ich meine Seele nicht zu foltern durch den Gedanken an die Hölle; selbst wenn es eine Hölle geben sollte, will ich ihr doch die Existenz derselben ausreden; einstweilen lasse ich es mir hienieden wohl sein. — Warum häufst du Sünde auf Sünde? Wenn du beim Sündigen an das Dasein der Hölle glaubst, so wirst du nach dem Hinscheiden bloß für deine Sünden büßen; fügst du aber noch diesen Frevel dazu, so wirst du auch für diese gottlose Denkweise härtester Strafe verfallen; und was dir vorübergehend frostigen Trost gewährte, wird für dich die Ursache unaufhörlicher Qual sein. — Gesetzt, du hast gesündigt; warum verleitest du auch die andern zur Sünde dadurch, daß du die Hölle leugnest? Warum suchst du die Einfältigeren irrezuführen? Warum trachtest du den Eifer des Volkes zu lähmen? So viel an dir liegt, ist alle Ordnung zerstört. Die Eifrigen werden nicht eifriger werden, sondern gleichgültig; und die Schlechten werden von der Schlechtigkeit nicht abstehen. Wenn wir andere verderben, haben wir doch nicht Verzeihung unserer Sünden zu gewärtigen! Siehst du nicht, wie der Teufel sich an- S. 268 strengte, den Adam zu Falle zu bringen? Hat er etwa dadurch Verzeihung erlangt? Es wurde Anlaß zu noch größerer Strafe, so daß er nicht für die eigenen, sondern auch für die fremden Sünden gezüchtigt wird. Bilden wir uns also ja nicht ein, wir könnten uns ein gelinderes Gericht erwirken, wenn wir andere in das nämliche Verderben mit uns herabziehen! Dies wird es im Gegenteile nur strenger machen. Warum sollen wir uns selbst hassen und ins Verderben stoßen? Das wäre ja ganz satanisch. — O Mensch, du hast gesündigt? Du hast einen liebevollen Herrn; bitte, flehe, weine, seufze, schrecke die andern ab und warne sie vor dem Sturze in gleiches Unglück! Wenn im Hause ein Sklave, der etwas verschuldet hat, zu seinem Sohne spricht: Kind, ich habe den Herrn beleidigt; bestrebe du dich, ihm zu gefallen, damit du nicht dasselbe leidest! — sage mir, wird er nicht Vergebung finden? Wird er nicht seinen Herrn erweichen und milder stimmen? Wenn er aber statt solcher Worte beispielsweise also spräche: Der Herr vergilt nicht jedem nach Verdienst; jede Grenze zwischen gut und böse ist schlechterdings verwischt; in diesem Hause ist auf Dank nicht zu rechnen, — welche Ansicht, meinst du wohl, wird der Herr von ihm haben? Wird er nicht dafür noch strenger gestraft werden, als für seine eigenen Vergehungen? Mit Recht; denn dort mag die Unüberlegtheit der Leidenschaft entschuldigen, wenn auch nur schwach; hier aber (entschuldigt) nichts. Willst du also sonst niemanden nachahmen, so ahme wenigstens den reichen Prasser in der Hölle nach, welcher ausrief: „Vater Abraham, schicke zu meinen Verwandten, damit sie nicht an diesen Ort kommen2!“ — Da er selbst nicht hingehen konnte, um sie vor dem Sturze in gleiches Unglück zu warnen. Stehen wir ab von solchen satanischen Reden!