3.
Du siehst, will er sagen, daß ich dieses aus dem Grunde erörtert habe, damit ihr nicht von Menschen Aufschluß darüber suchet. — „Betrüge“, sagt er, „durch verführerische Reden (ἐν πιθανολογία)“. Denn wie, wenn einer euch durch Reden verführt (εἰ πιθανοῶς λέγει)?
V. 5: „Denn wenn ich auch dem Leibe nach abwesend bin, so bin ich doch im Geiste bei euch, ...“
S. 305 Nach dem Zusammenhang sollte man folgenden Satz erwarten: Denn wenn ich auch dem Leibe nach abwesend bin, so kenne ich gleichwohl die Betrüger; nun aber schließt er mit einem Lobspruche ab: „... indem ich mich freue und eure Ordnung sehe und die Festigkeit eures Glaubens an Christus.“ — Unter „Ordnung“ meint er die gute Ordnung und Zucht. — „Und die Festigkeit des Glaubens an Christus.“ Damit spricht er ein noch größeres Lob aus. Er sagt nicht: den Glauben, sondern: „die Festigkeit (des Glaubens)“, gleich als redete er zu Soldaten, die in musterhafter Ordnung und fest wie Mauern dastehen. Das Feste bringt nicht List, nicht offener Angriff zum Wanken. Ihr seid nicht nur nicht geworfen worden, versichert er, sondern niemand vermochte auch nur eure Ordnung zu verwirren. Er stellte sich selbst ihnen vor Augen, damit sie denselben Respekt hätten, wie wenn er persönlich anwesend wäre; denn so wird die Ordnung aufrecht erhalten, — Von der Festigkeit hängt der innige dichte Zusammenschluß ab. Denn Festigkeit entsteht auf diese Weise, wenn du viele Bestandteile vereinigst und sie dicht und unzertrennlich zusammenfügst; so entsteht Festigkeit z. B. bei einer Mauer. Das aber ist das Werk der Liebe; denn wenn sie die noch Vereinzelten innig zusammenfügt und verknüpft, so verleiht sie ihnen Festigkeit. Auch der Glaube hinwiederum bewirkt dasselbe, wenn er keine Vernünfteleien eindringen läßt. Denn wie die Vernünfteleien Spaltung und Schwanken erzeugen, so gewährt der Glaube Festigkeit und Standhaftigkeit.
Da nämlich Gott uns Wohltaten erwiesen hat, die jede menschliche Vernunft übersteigen, so hat er mit Recht den Glauben eingeführt. Unmöglich kann der fest sein, welcher Vernunftbeweise dafür fordert. Denn sieh, wie uns die Vernunft bei den erhabensten Wahrheiten unserer Religion, durchaus im Stiche läßt, und wir dabei lediglich auf den Glauben angewiesen sind! — Gott ist nirgends, und er ist überall. Was klingt ungereimter als dies? Jeder Satz für sich birgt ein ungelöstes Rätsel. Gott ist nämlich demzufolge nicht im Raume1, noch S. 306 auch gibt es einen Raum, in dem er ist2. — Er ist nicht geworden, er hat sich nicht selbst erschaffen, er hat keinen Anfang seines Daseins. Wie will die Vernunft dies begreifen ohne Glauben? Muß ihr das nicht lächerlich erscheinen? Stößt sie da nicht auf ein unlösbares Rätsel? — Wenn nun seine Anfangs- und Ursprungslosigkeit, seine Unbegrenztheit und Unendlichkeit der Vernunft solche Schwierigkeiten verursacht, so wollen wir sehen, ob wir vielleicht seine Unkörperlichkeit mit der Vernunft zu ergründen vermögen. Gott ist unkörperlich. Was ist „unkörperlich“? Nur ein bloßes Wort. Denn der Verstand kann sich nichts dabei denken, kann sich keine Vorstellung davon machen. Sobald er sich nämlich eine Vorstellung davon macht, begibt er sich auf das Gebiet der Natur und der Körperbildung. Der Mund spricht also zwar das Wort aus, der Verstand aber weiß nicht, was er spricht, außer nur das eine, daß es kein Körper ist. Das ist aber auch das einzige, was er weiß. — Doch was rede ich von Gott? Worin besteht denn die Unkörperlichkeit der Seele, die doch geworden, endlich und beschränkt ist? Sprich! Erkläre! Aber du wirst es wohl nicht imstande sein. Besteht sie aus Luft? Allein die Luft ist ein Körper, wenn auch kein fester; und es läßt sich vielfach beweisen, daß sie ein lockerer Körper ist. (Oder aus Feuer?) Allein das Feuer ist ein Körper, die Seelenkraft dagegen etwas Unkörperliches. Warum? Weil sie überall durchdringt. Wäre die Seele ein Körper, so würde das Unkörperliche räumlich gebunden sein; folglich wäre es von bestimmten Grenzen umschlossen; das Begrenzte aber findet sich nur in bestimmter Gestalt; die Gestalten aber haben bestimmte Umrisse; die Umrisse aber kommen nur Körpern zu. — Wie soll man sich auf der anderen Seite von etwas Gestaltlosem eine Vorstellung machen? Es hat weder Gestalt noch Form noch Gepräge. Siehst du, wie es dem Verstande schwindelt? — Jene göttliche Natur ist ferner unempfänglich für das Böse. Aber Gott ist doch aus freiem Willen gut; folglich S. 307 müßte sie dafür empfänglich sein. Das kann man aber doch unmöglich behaupten; Gott bewahre! — Ist er ferner mit seinem Willen ins Dasein getreten oder ohne seinen Willen? Doch auch dies läßt sich nicht annehmen. — Weiter: umfaßt er das Weltall oder nicht? Umfaßt er es nicht, so ist er selbst begrenzt; umfaßt er es aber, so ist er seinem Wesen nach unendlich. — Wiederum: begrenzt er sich selbst? Wenn ja, dann ist er folgerichtig nicht anfangslos für sich, sondern nur für uns, demnach wäre er nicht von Natur aus ohne Anfang. — Überall stößt man hier auf Widersprüche. Siehst du, wie dunkel alles ist, und daß es überall des Glaubens bedarf? Nur dieser verleiht Festigkeit. — Doch wir wollen, wenn es euch recht ist, auf untergeordnetere Punkte übergehen! Jede Natur hat eine Wirksamkeit. Worin besteht nun bei Gott die Wirksamkeit? Etwa in einer Art von Bewegung? Demnach wäre er nicht unveränderlich; denn was in Bewegung gerät, ist nicht unveränderlich; geht es doch aus dem Zustande der Unbeweglichkeit in den der Bewegung über. — Mag er indes immerhin sich bewegen und niemals stille stehen: sage mir aber, wie haben wir uns diese Bewegung zu denken? Denn bei uns gibt es eine siebenfache Bewegung: abwärts, aufwärts, einwärts, auswärts, rechts, links, kreisförmig; von einem andern Gesichtspunkte aus: Wachstum, Abnahme, Entstehen, Vergehen, Veränderung. — Oder haben wir an keine von diesen zu denken, sondern an eine Bewegung ähnlich der des menschlichen Geistes? Doch auch dieser Vergleich paßt nicht; Gott bewahre! Denn der menschliche Geist wird auch in ungehöriger Weise bewegt. — Ist bei Gott Wirken gleichbedeutend mit Wollen oder nicht? Wenn Wirken gleichbedeutend mit Wollen ist, Gott aber will, daß alle Menschen gut seien und gerettet werden, warum geschieht es nicht? Oder ist etwas anderes das Wollen, etwas anderes aber das Wirken? Dann reicht also das Wollen nicht zum Wirken hin. Wie kann nun die Schrift sagen: „Alles, was er will, führt er aus3“?, und wie kann wiederum der Aussätzige zu Christus sprechen: „Wenn du willst, so kannst du mich rein S. 308 machen4“? Denn wenn dem Willen die Wirksamkeit auf dem Fuße folgt, was soll man da sagen? — Soll ich noch andere Fragen aufwerfen? Wie ist aus dem Nichts das Seiende geworden? Wie kehrt es ins Nichts zurück? Was ist höher als der Himmel? Und was ist wiederum höher als das? Und was höher als das? Und was kommt nach diesem? Und so fort bis ins Unendliche. Was ist tiefer als die Erde? Das Meer; und was nach diesem? Und was wiederum nach diesem? Wenden wir uns aber nach rechts, nach links: besteht nicht dieselbe Schwierigkeit?