II.
Wie steht es also mit den Jungfrauen? mit den Unfruchtbaren? mit den Wittwen, denen die Männer starben, bevor sie selber Mütter geworden? Sind diese verloren? Haben sie keine Hoffnung? Und die Jungfrauen stehen doch im höchsten Ansehen? Was will also der Apostel sagen? Einige meinen, daß, gleichwie er dem ganzen Geschlechte mit Rücksicht auf die Erschaffung eine untergeordnete Stellung angewiesen — da nämlich Eva an zweiter Stelle erschaffen worden, so nahm sie einen tieferen Platz ein und mit ihr das ganze weibliche Geschlecht — gerade so habe, nachdem die Eva einen Fehltritt gethan, auch das ganze Geschlecht einen solchen gemacht. Aber Das hat keinen Sinn. Denn im ersteren Falle handelt es sich um einen göttlichen Gnadenakt (die Erschaffung), im zweiten um die Sünde des Weibes. Was also der Apostel sagen S. 112 will, ist Folgendes: Gleichwie alle Menschen dem Tode verfallen sind wegen des Einen, da dieser Eine gesündigt hat, so hat auch das ganze weibliche Geschlecht einen Fehltritt gethan, da das eine Weib einen solchen gemacht hat. Das Weib soll also nicht betrübt sein. Gott hat ihr einen nicht kleinen Trost verliehen: das Kindergebären. Aber Das ist ein bloß natürlicher Vorgang, sagt man. Auch das Andere (die Abstammung) ist ein solcher. Es handele sich ja nicht bloß um den natürlichen Vorgang, sondern auch um das Geschenk der Kindererziehung.
Wenn sie verharren im Glauben und in der Liebe und Heiligung mit Ehrbarkeit,“ d. h. wenn sie nach der Geburt auf den Wegen der christlichen Liebe und Heiligkeit bleiben. Dann werden sie keinen geringen Lohn dafür empfangen, sondern einen sehr großen, weil sie Kämpfer Christi erzogen haben. Unter „Heiligung“ (ἁγιασμός) versteht der Apostel den frommen Lebenswandel, unter „Ehrbarkeit“ (σωφροσύνη) die gute Sitte.
Es ist ein wahres Wort.
Das bezieht sich auf das Vorhergehende, nicht das Folgende: „Wenn Jemand nach dem Bischofsamte trachtet.“ Da nämlich das Vorhergehende streitig war, deßhalb sagt der Apostel: „Es ist ein wahres Wort,“ daß die Väter einen Nutzen ziehen können von der Tugend ihrer Kinder und ebenso die Mütter, wenn sie dieselben gut erziehen. Wie aber, wenn die Mutter selbst schlecht ist und voll Sünden? Hat sie dann einen Gewinn von ihrer Kindererziehung? Ist es nicht vielmehr wahrscheinlich, daß sie dieselben zu eben solchen Menschen erzieht, wie sie selber ist? Freilich. Nur von der tugendhaften Mutter behauptet der Apostel, nicht von jeder beliebigen, daß sie hohen Lohn und hohe Vergeltung empfangen wird.
S. 113 Höret Das, ihr Väter und Mütter, damit euere Kindererziehung nicht unbelohnt bleibe! Davon spricht der Apostel auch weiter unten: „(Eine Wittwe werde gewählt,) die das Zeugniß von guten Werken hat darüber, ob sie Kinder erzogen.“ Unter Anderem stellt er auch diese Forderung auf. Es ist ja von Belang, daß die von Gott geschenkten Kinder auch wieder Gott geweiht werden. Denn wenn die Eltern eine gute Basis und einen guten Grundstein legen, dann wird ein großer Lohn ihnen zu Theil werden, andererseits, wenn sie Das übersehen, eine schwere Strafe. Auch Heli ist durch seine Söhne zu Grunde gegangen. Er hätte sie nämlich zurechtweisen sollen, d. h. er wies sie zwar zurecht, aber nicht in der richtigen Weise. Er wollte ihnen nicht wehe thun und hat sie und sich selbst zu Grunde gerichtet. Höret Das, ihr Väter. Erziehet euere Kinder in der Erziehung und Ermahnung des Herrn mit aller Sorgfalt! Die Jugend hat etwas Unbändiges, sie bedarf gar Vieler, die sie beaufsichtigen, belehren, erziehen, ihr nachgehen, sie großziehen. Sie läßt sich mit so vieler Mühe kaum im Zaume halten. Wie ein unbändiges Pferd, wie ein wildes Thier, so ist die Jugend. Wenn wir also gleich von vorn herein und von den ersten Jahren an ihr die richtigen Schranken stecken, dann brauchen wir uns hernach nicht mehr so viel Mühe zu geben. Die Gewohnheit wird ihnen für die Folge zum Gesetz. Lassen wir ihnen keine Freude, die ihnen schadet, und behandeln wir sie in diesem Stücke nicht wie liebe Kinder! Gewöhnen wir sie an Enthaltsamkeit! Denn in diesem Punkte verfehlt sich die Jugend am meisten. Zu diesem Zwecke bedarf es vieler Kämpfe, vieler Aufmerksamkeit. Verheirathen wir die Söhne bald, damit die Braut einen reinen und unberührten Mann bekömmt! Die Liebe ist dann wärmer. Wer vor der Ehe sich rein hielt, der thut es um so mehr in der Ehe. Wer vorher mit Huren umging, der thut es auch nachher. „Einem verhurten Manne,“ heißt es, „schmeckt S. 114 jedes Brod.“1 Deßhalb hat der Bräutigam2 einen Kranz auf dem Haupte, ein Symbol des Sieges, ein Beweis, daß er nicht überwunden wurde; so tritt er an’s bräutliche Lager als Einer, der von der Begierde nicht unterjocht worden. Wenn er jedoch als Sklave der Begierde sich den Buhlerinen hingibt, warum hat er dann einen Kranz auf dem Kopfe, er, der Besiegte? Solche Ermahnungen, solche Lehren wollen wir den Kindern geben; kommen wir ihnen auch mit Schrecken und Drohungen, bald so, bald so. An den Kindern haben wir ein heiliges anvertrautes Pfand. Kümmern wir uns also um sie und thun wir alles Mögliche, damit der Böse sie uns nicht stiehlt!
Freilich geschieht von unserer Seite ganz das Gegentheil. Daß unser Gütchen in Ordnung ist, daß wir es einem verlässigen Manne anvertrauen, dafür ist uns keine Mühe zu groß; wir suchen den besten Eseltreiber, den besten Maulthierwärter, den besten Aufseher und Verwalter. Was aber das Wichtigere für uns ist, nämlich daß wir unsern Sohn einem Manne anvertrauen, der denselben in guter Zucht zu erhalten vermag, darauf sehen wir nicht. Und doch ist dieser Besitz werthvoller als jeder andere, und seinetwegen ist der andere überhaupt vorhanden. Für den Besitz unserer Kinder also sind wir besorgt, für sie selber nicht. Siehst du das Ungereimte darin? Bilde das Herz des Kindes, und das Andere wird dann sich von selber finden. Ist das Herz nicht gut, so hat das Geld keinen Werth für dasselbe. Ist das Herz in Ordnung, dann schadet ihm auch die Armuth nicht. Willst du ihm Reichthum hinterlassen? Lehre das Kind gute Sitte! Denn auf solche Weise wird es den Besitz zusammenhalten, und wenn es Nichts besitzt, sich nicht schlechter befinden als die Besitzenden. Ist es aber schlecht geartet, und du S. 115 hinterläßest ihm Millionen, dann hast du ihm keinen Wächter hinterlassen, sondern es unglücklicher gemacht als den ärmsten Bettler. Denn für die Kinder, die nicht richtig erzogen wurden, ist Armuth besser als Reichthum. Jene hält sie nämlich selbst wider Willen auf dem Pfad der Tugend fest. Dieser aber läßt sie nicht enthaltsam leben trotz guter Vorsätze, sondern treibt sie hinaus, stürzt sie in’s Unglück und bereitet ihnen zahllose Gefahren.
Ihr Mütter, erziehet besonders eure Töchter gut. Es ist Das keine schwere Aufgabe für euch. Sehet darauf, daß sie gern zu Hause bleiben. Vor Allem erziehet sie zu eingezogenen, gutgesitteten Mädchen, die nicht geldgierig, nicht gefallsüchtig sind. So erzogen übergebet sie einem Bräutigam. Wenn sie eine solche Bildung genossen haben, dann werdet ihr nicht bloß sie selber, sondern auch ihren zukünftigen Mann glücklich machen. Und nicht bloß den Mann, sondern auch die Kinder, und nicht bloß die Kinder, sondern auch die Enkel. Denn wenn die Wurzel gut ist, dann werden auch die Zweige sich schön entfalten, und ihr werdet von all Diesem den Lohn haben. In dem Bewußtsein, daß wir nicht bloß eine einzige Seele, sondern gar viele durch diese einzige retten, wollen wir unser Möglichstes thun. So muß die Tochter aus dem väterlichen Hause an den Trauungsaltar schreiten, wie ein Athlet aus der Ringschule, im Besitze einer sorgfältigen Bildung des Geistes; die Erziehung sei der Sauerteig, der das Gebäck ihres Lebens mit seiner Güte durchdringt.
Und was die Söhne betrifft, so sollen sie so gesittet sein, daß man sie mehr an ihrer Wohlgezogenheit und Ehrbarkeit erkennt, damit sie bei den Menschen und bei Gott Wohlgefallen erwecken. Sie sollen lernen, die Eß- und Trinklust zu zähmen, keine Verschwender zu werden, gute Haushälter, zärtliche Söhne und Brüder zu sein, sie sollen Gehorsam lernen. Auf solche Weise wer- S. 116 den sie im Stande sein, ihren Eltern übergroße Belohnung zu verschaffen. Auf solche Weise wird Alles zur Ehre Gottes und zu unserm Heile gereichen, in Christus Jesus, unserm Herrn, mit welchem dem Vater sammt dem heiligen Geiste sei Herrlichkeit, Macht und Ehre jetzt und alle Zeit und in alle Ewigkeit. Amen.